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Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts, wie bei Pablo Picassos "Guernica" von 1937.

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Angehörige der republikanischen Bürgerwehr auf der Terrasse des Hotel Colon in Barcelona im Juli 1936 (oben). Anhänger Francos auf einer Militärparade in Katalonien (oben Mitte). Opfer im Spanischen Bürgerkrieg, erschossen in einem Innenhof in Madrid, auch im Juli 1936 (unten).

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Was haben der Stiller von Max Frisch und Rick, Cafébesitzer aus Casablanca, gemeinsam? Sie gehören zu den viel besprochenen fiktionalen Figuren, die neben allem anderen auch noch eines waren: sogenannte Spanienkämpfer.

Bereits mit seinem Beginn im Juli 1936 gehörte der Spanische Bürgerkrieg zu einem wichtigen und aus der europäischen Geistesgeschichte nicht mehr wegzudenkenden Gegenstand von Film, Literatur und bildenden Künsten. Nicht zuletzt den vielen an Kampfhandlungen beteiligten KünstlerInnen und Intellektuellen ist es zu verdanken, dass Motive des Bürgerkriegs zu Motivationen künstlerischer Produktion wurden. Von dem Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman (1942), der im Dienste der US-amerikanischen Anti-Nazi-Propaganda stand, über die Identitätsproblematik beim Schweizer Romancier Max Frisch (1954) bis zu Pablo Picassos "Guernica" (1937) und Hemingways "Wem die Stunde schlägt": Bezugnahmen auf den Bürgerkrieg finden sich in den berühmtesten Werken des 20. Jahrhunderts.

Kein Vergleich dazu: die Soziale Revolution. Sie gehört zu dem, was der französische Soziologe "vergessen gemachte Geschichte" genannt hat. Als Reaktion auf den Putsch der rechten Generäle brach in weiten Teilen Kataloniens und Andalusiens eine libertäre Revolution aus, landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und kollektiviert, städtische Fabriken von den ArbeiterInnen übernommen und gemeinschaftlich geführt. Die schwarz-rote Fahne der AnarchosyndikalistInnen prägte das Stadtbild von Barcelona. Zum Abschied grüßte man mit "Saludos" ("Grüße") statt mit "Adios", weil man den antifaschistischen Kampf auch als einen gegen Gott ("dios") und vor allem gegen die katholische Kirche begriff.

Sperrzonen des Erinnerns

Auch über solch revolutionären Alltag ist einiges geschrieben worden: Der Augenzeuge George Orwell befand bekanntlich, dass die Menschen in den ersten Wochen der Revolution endlich aufgehört hätten, sich wie Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu benehmen. Und der Poptheoretiker Greil Marcus wertete mehr als fünfzig Jahre später im Rückblick die radikalen kulturellen Avantgarden des 20. Jahrhunderts (wie die SituationistInnen) oder auch das Aufkommen von Punk als Effekt der uneingelösten Versprechen von Barcelona 1936. Auch wenn in Songs von Punk-, Hardcore- oder Pop-Bands wie Crass, The Ex, Sin Dios oder Chumbawamba die Spanische Revolution seit den späten 1970er-Jahren immer wieder gefeiert wurde, an die Popularität des Bürgerkrieges im kollektiven Gedächtnis kommt sie doch nicht annähernd heran. So ergibt sich für die Erinnerung an die Revolution das Gleiche, was schon für das Verhältnis von Revolution und Krieg galt: Gegen Letzteren hat Erstere keine Chance.

Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann bemerken in ihrem Buch über die Folgen des Spanischen Bürgerkrieges, dass es wegen der starken Orientierung auf einen demokratischen Konsens im postdiktatorischen Spanien zu bestimmten "Sperrzonen des Erinnerns" gekommen sei. Als Beispiel für solche Sperrzonen nennen sie die Schuldfrage oder die Frage der Monarchie.

Die Revolution ist offenbar dermaßen ab- und aus der Erinnerung ausgesperrt, dass selbst die beiden Fachhistoriker sie in diesem Kontext nicht erwähnen. (Den Verlauf der Revolution hingegen würdigen sie kritisch und ausführlich).

Das kollektive Gedächtnis in Spanien hat sich nach Francos Tod (1975) hinsichtlich der Jahre 1936-1939 in der Formel der "nationalen Tragödie" eingerichtet. In dieser Formel aber – der auch Bernecker und Brinkmann zuzustimmen scheinen – findet die Revolution keinen Platz. Die Rede von der "nationalen Tragödie" schließt nicht nur Errungenschaften der Revolution aus, sondern leugnet auch die internationale Dimension der Ereignisse.

Selbst als im Jahr 2011 die soziale Bewegung der Empörten mit dem Hashtag #spanishrevolution mobilisierte, war von 1936 nicht die Rede. In den Verlautbarungen der Demokratiebewegung standen zwar auch Kapitalismus und Repräsentationspolitiken zur Debatte. Bezugnahmen auf die libertäre Revolution 75 Jahre zuvor gab es so gut wie gar nicht.

Wenn an revolutionäre Errungenschaften und transnationale Verflechtungen in Spanien selbst kaum gedacht wird, dann natürlich noch viel weniger im deutschsprachigen Raum. Angesichts weit folgenreicherer Interventionen der deutschen Wehrmacht im Anschluss an die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica (1937) durch die "Legion Condor", nahm der Spanische Bürgerkrieg nie eine wichtige Rolle in der deutschsprachigen kollektiven Erinnerung ein.

Verlor die nationalsozialistische Beteiligung rückblickend an Gewicht, kamen die AkteurInnen der Gegenseite kaum dazu, ihre Sicht der Dinge im kollektiven Gedächtnis zu verankern: Viele deutschsprachige SpanienkämpferInnen überlebten die nationalsozialistischen Konzentrationslager nicht. Die überlebenden KommunistInnen wurden in der DDR zwar gefeiert, auch in Österreich wurden ihre Geschichten dank des unermüdlichen Engagements einiger ihrer ProtagonistInnen zumindest in Kreisen von HistorikerInnen und linken AktivistInnen immer wieder erzählt, im westdeutschen Alltag konnten sich Erfahrungen aus Spanien mangels ErfahrungsträgerInnen aber nicht etablieren. Etwa 5000 ÖsterreicherInnen und Deutsche hatten in den Internationalen Brigaden gekämpft, um die 15.000 waren als Teil der "Legion Condor" in Spanien.

Das Wissen über den Bürgerkrieg verblieb in Fachkreisen, selbst Anspielungen wie die in Casablanca blieben der deutschsprachigen Öffentlichkeit oft erspart: Der Film war auf Deutsch bis 1975 nur in einer entpolitisierten, zerstückelten und falsch synchronisierten Fassung zugänglich: Der Widerstandskämpfer Victor László war bis dahin der Atomphysiker Victor Larsen, die Figur des Nazi-Majors Strasser hatte man ganz herausgeschnitten.

Die zentrale Frage

Und was die Revolution betrifft, hatte Walter Haubrich sicher auch 1994 noch recht, als er in der FAZ Abel Paz' große Biografie des Anarchisten Buenaventura Durruti eine "spannend zu lesende Einführung in einen in Deutschland vielleicht gar nicht so bekannten Bereich der ideologischen Diskussion und Geschichte unseres Jahrhunderts" nannte.

Die zentrale Frage, warum die Revolution keinen festen Platz im kollektiven Gedächtnis hat und bestenfalls in subkulturellen Formen existiert, ist nicht schwer zu beantworten.

Bernecker und Brinkmann stellen fest, dass der Wunsch, eine Neuauflage der Konflikte der 1930er-Jahre zu verhindern, in Spanien "beinahe zur Obsession" wurde. Ein Gedenken, das an Ereignisse jenseits des parlamentarisch-demokratischen Konsenses gemahnte, musste dieser Obsession widersprechen. Genau dafür steht aber die von den AnarchistInnen getragene Revolution. Schon den AnarchistInnen von 1936, obwohl sie mit der CNT die damals mitgliederstärkste Gewerkschaft der Welt stellten, waren international isoliert.

Diese Isolierung setzt sich in der Marginalisierung anarchistischer Positionen heute fort. Wie die damaligen Errungenschaften müssen aber auch die Erinnerungen verteidigt werden. Das kollektive Gedächtnis ist ja kein statisches Gebilde, sondern stets in Bewegung und vor allem permanent umkämpft. Zur Durchsetzung oder auch nur zur Verteidigung von Erinnerung braucht es Subjekte, die für bestimmte Inhalte eintreten und gesellschaftliche Bündnisse, die sie mittragen. Eine wirkmächtige soziale Bewegung, die das Gedenken an die Spanische Revolution gegenüber jenem an den Bürgerkrieg starkmachen könnte, existiert nicht.

Der Anarchismus in Deutschland und Österreich hat als Massenbewegung den Nationalsozialismus nicht überlebt. Die libertären Bewegungen der Nachkriegszeit waren im deutschsprachigen Raum marginalisiert, nicht nur was ihren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis betrifft. (Umso wichtiger werden die in Sub-, Nischen oder Avantgardekulturen gelegten Spuren, auch wenn sie nach Greil Marcus so wenig beständig sind wie "lipstick traces on a cigarette ...") Libertäre Gedanken erlangten erst im Kontext der Revolte von 1968 wieder größere Bedeutung.

Dieser Bedeutungsgewinn allerdings ging gerade einher mit der allgemeinen Abkehr der Neuen Linken von einem Revolutionsmodell, das IndustriearbeiterIn und Bauer/Bäuerin als Subjekte favorisierte. Genau diese aber hatten Anarchismus und Revolution in Spanien geprägt und getragen. Die Erinnerung an die Spanische Revolution fand also auch in den revoltierenden StudentInnen und ArbeiterInnen der 1960er-Jahre keine ProtagonistInnen.

Und die SpanienkämpferInnen selber? In der DDR galten sie als Helden/Heldinnen und waren für die antifaschistische Staatsdoktrin bedeutsam, wichtige Mitglieder des Politbüros (wie etwa Erich Mielke) waren Spanienkämpfer. Das für sie errichtete Denkmal in Berlin-Friedrichshain (von Fritz Cremer, 1966/68) verschafft wohl kaum mehr den Schatten eines Eindrucks davon. Anders als in Westdeutschland ist auch in Österreich ihr Schicksal bestens dokumentiert und im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) öffentlich zugänglich. Geprägt von kommunistischen InterbrigadistInnen, blieb das Bild des Bürgerkrieges aber sowohl in der DDR als auch in Österreich frei von Erinnerungen an die Revolution. Denn die Internationalen Brigaden formierten sich erst ab Ende 1936, als die Revolution bereits zurückgedrängt wurde, und sie waren stark kommunistisch geprägt.

Das (Ver)Schweigen brechen

Die KommunistInnen, nicht zu vergessen, verfolgten im Spanischen Bürgerkrieg ausdrücklich antirevolutionäre Ziele. Der surrealistische Dichter Benjamin Péret, der zeitweise in anarchistischen Milizen kämpfte, kritisierte die im Laufe der ersten Kriegsmonate dominanter werdenden KommunistInnen schon früh und warnte vor den Stalintreuen.

Im Mai 1937 schossen in Barcelona dann KommunistInnen auf AnarchistInnen, mittem im antifaschistischen Kampf gegen die Franco-Truppen. Einem deutschsprachigen Publikum, dem in Zeiten des Kalten Krieges kaum die historische Tatsache des Bürgerkriegs zugemutet wurde, auch noch den linken "Genossenmord" zu erklären, erscheint undenkbar.

Verschwiegen wurde also nicht nur die Revolution, sondern auch die mörderische Politik der stalinistischen KommunistInnen, der u. a. viele AnarchistInnen zum Opfer fielen. Um das (Ver-)Schweigen zu brechen, fehlte es eben an sozialen Kräften, die daran ein Interesse hätten haben können – auch innerhalb der radikalen Linken.

Als Beitrag im Kampf um die Erinnerung kann diesbezüglich auch das Vorwort gelten, das der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1986 für das Buch des Spanienkämpfers Fritz Teppich verfasst hatte (und das 1996 unverändert wiederaufgelegt wurde). Hinsichtlich der Kritik am kommunistischen Vorgehen im revolutionären Spanien meint Gremliza, sie zielte darauf, "eine real mögliche Befreiung von jener Mehrwertegemeinschaft zu verhindern, in deren Dienst der s. g. freiheitliche, demokratische oder libertäre Sozialismus steht." Es genügt freilich ein Blick auf die historischen Quellen, um zu belegen, dass gerade nicht der libertäre Sozialismus, sondern die Politik der KommunistInnen explizit antirevolutionär war. Dass kommunistische Propagandalügen wie diese vom Herausgeber der größten linken Monatszeitung in Deutschland verbreitet werden, macht nur ein weiteres Mal die Defensive deutlich, in der anarchistische Geschichtsschreibung sich befindet.

Aufgabe für die Forschung

Das kollektive Gedächtnis kommt nicht allein in Filmen oder Büchern zum Ausdruck, sondern auch im Alltag. Im Gegensatz zu jenen lässt sich dieser aber weder nach BesucherInnenzahlen oder Auflagenstärke abfragen und so wie Hans-Magnus Enzensbergers Buch Der kurze Sommer der Anarchie (1972) oder der Film Land and Freedom (1995) von Ken Loach als vergleichsweise libertäre Erfolge verbuchen. Danach zu suchen wäre demnach eine Aufgabe für die Kultur- und Sozialforschung, die auch an emanzipatorischen politischen Alternativen interessiert ist. Denn letztlich, schrieb schon Maurice Halbwachs 1925 in Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, gibt es "keine soziale Idee, die nicht zugleich eine Erinnerung der Gesellschaft wäre."

Die meisten der von der Historikerin Vera Bianchi beschriebenen, alltäglichen Errungenschaften der Mujeres Libres – mit rund 20.000 Mitgliedern sicherlich eine der größten feministischen Organisationen aller Zeiten – fielen wohl der Franco-Diktatur zum Opfer. Dass die erste Ministerin auf europäischem Boden seit der Pariser Kommune 1871, mit Federica Montseny paradoxerweise ausgerechnet eine Anarchistin, oder die erste gesetzliche Legitimierung der Abtreibung (in Katalonien) spätere feministische Kämpfe beflügelt haben, ist zwar anzunehmen, lässt sich aber kaum belegen.

Anders die Erfolge der revolutionären Alphabetisierungskampagnen: Sie wieder rückgängig zu machen hätte selbst – wie der Hispanist Martin Baxmeyer betont – die blutigste Diktatur nicht geschafft. Zwar haben es die frisch Alphabetisierten im Laufe des Bürgerkriegs zu einer historisch einmaligen Versproduktion gebracht. Um in Film und Fernsehen repräsentiert zu werden, hat es aber nicht gereicht. Mit solchen Leuten hatten Typen wie Stiller oder Rick Blaine wohl auch zu wenig Kontakt, um von ihnen zu erzählen. (Jens Kastner, 9.7.2016)