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Mitglied eine türkischen Spezialeinheit mit M16-Gewehr im Istanbuler Stadtteil Gazi

Foto: REUTERS/ Fatih Saribas

Wien/Berlin – Die deutsche Bundesregierung sieht trotz der dramatischen Entwicklungen der vergangenen Monate keine Veranlassung für ein generelles Waffenexportverbot in die Türkei. Die Türkei sei ein "wichtiger Partner in gemeinsamen internationalen Einsätzen sowie im gemeinsamen Kampf gegen den IS", erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministerium in Berlin gegenüber dem Standard auf eine entsprechende Frage, ob die Regierung eine Veranlassung sieht, die Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern in die Türkei grundsätzlich zu beschränken.

Die Türkei habe "das Recht und sogar die Pflicht, sich und ihre Bürger – oder beispielsweise auch deutsche Touristen – vor Gewalt und Terrorismus zu schützen." Es finde für jeden Ausfuhrantrag eine Einzelfallprüfung statt. "Dabei ist das konkrete Risiko eines Missbrauchs der zur Ausfuhr bestimmten Güter im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen oder internen Konflikten wesentlicher Gegenstand der exportkontrollpolitischen Risikoprüfung jedes einzelnen Ausfuhrantrags".

Steyr-Gewehre via Deutschland in die Türkei

In Beantwortung einer schriftliche Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, die sich auf Berichte des Standard bezog, erklärte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Maria Böhmer vergangene Woche, dass der Bundesregierung "der genannte Artikel bekannt" sei. Wie berichtet, waren in den Jahren 2011 und 2012 hunderte Scharfschützengewehre der Type SSG08 des österreichischen Herstellers Steyr Mannlicher über eine in Deutschland ansässige Firma an eine türkische Polizei-Spezialeinheit geliefert worden. Böhmer erklärte nun, dass im Jahr 2015 zwei weitere Steyr-Gewehre eine Exportgenehmigung der deutschen Regierung in die Türkei erhalten haben. Dabei handelt es sich um ein Gewehr der Type SSG04 und um ein .50 HS M1, eine großkalibrige Mehrladewaffe mit Fünffachmagazin, die auch gegen leichtgepanzerte Fahrzeuge eingesetzt werden kann.

Vom österreichischen Wirtschaftsministerium wurde bestätigt, dass die Ausfuhr des SSG04 nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigt wurde. Das .50 HS M1 fällt jedoch unter das Kriegsmaterialgesetz und damit in die Zuständigkeit von Außen-, Verteidigungs- und Innenministerium. Dem Sprecher des Innenministeriums Karl-Heinz Grundböck zufolge gab es in den vergangenen Jahren allerdings weder direkt noch indirekt eine Genehmigung zur Ausfuhr von Kriegsmaterial in die Türkei. Genauere Angaben seien jedoch nur möglich, wenn die individuelle Nummer der Waffe bekannt sei.

Keine Genehmigungen mehr für Waffenexporte aus Österreich

Das österreichische Parlament hatte im vergangenen November mit einem gemeinsamen Sechs-Parteien-Entschließungsantrag aller Fraktionen die Regierung aufgefordert, keine Exportgenehmigungen für Waffen in die Türkei mehr zu erteilen.

Wo die deutsche Regierung eine "rote Linie" sehe, ab der ein generelles Ausfuhrverbot von Rüstungs- und Kriegswaffen gegen die Türkei in Betracht gezogen wird, wollte das Berliner Bundeswirtschaftsministerium auf die Standard-Anfrage ebensowenig beantworten wie die Frage, ob der Export von Gewehren der genannten Typen in die Türkei aktuell genehmigt würde: "Hypothetische Fragestellungen werden von der Bundesregierung nicht beantwortet."

Keine Erkenntnisse

Böhmer zufolge geht die deutsche Regierung "davon aus, das türkische Sicherheitskräfte im Anti-Terror-Einsatz auch Präzisionsgewehre einsetzen." Ob die türkischen Sicherheitskräfte derartige Waffen auch gegen die Zivilbevölkerung einsetzen, ist in Berlin jedoch nicht bekannt: "Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen Erkenntnisse vor", erfuhr der Standard aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Für Dağdelen bedeutet jedoch "jeder weitere Export von Waffen an Erdoğans Türkei angesichts des massiven Krieges gegen die Kurden ein Verbrechen." Wer "trotz der Verbindungen Erdoğans zum islamistischen Terrorismus weiter Waffen an die Türkei liefert", handle unverantwortlich und mache sich "im Kampf gegen den Terror auch vor dem Hintergrund des jüngsten Anschlages in Berlin völlig unglaubwürdig", sagte die Linken-Abgeordnete.

Millionengeschäft

Im Jahr 2016 wurden jedenfalls von der deutschen Regierung Exporte für Gütern im Wert von mehr als 98 Millionen Euro in die Türkei genehmigt, die unter die EG-Dual-Use-Verordnung fallen. Das geht aus einer weiteren aktuellen Anfrage Dağdelens und der Linksfraktion im Bundestag hervor. In Anhang I der Dual-Use-Verordnung werden Güter und Ausrüstungsgegenstände aufgelistet, die militärisch relevant sein können und daher einer Genehmigung bedürfen.

Kein pauschales Verbot von Folterwerkzeugen

Auch die Ausfuhr von Gütern in die Türkei, die in der Anti-Folter-Verordnung geregelt sind, genehmigte die deutsche Regierung im laufenden Jahr. Der Wert dieser Exporte beträgt mehr als 88.000 Euro, es handelt sich dabei um Güter, die gemäß der Anti-Folter-Verordnung für "Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" verwendet werden können.

Eine Gefahr, dass diese Güter zur Repression in der Türkei verwendet werden könnten, sieht die Bundesregierung offenbar nicht: "Wenn ein hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass die im konkreten Einzelfall zur Ausfuhr bestimmten Güter im Bestimmungsland missbräuchlich im Sinne der Anti-Folter-Verordnung verwendet werden könnten, wird eine Ausfuhrgenehmigung verweigert. Eine Initiative zum pauschalen Verbot von Ausfuhren von Gütern, die auch zu interner Repression missbraucht werden könnten, ist daher nicht geplant." (Michael Vosatka, 24.12.2016)