VW-Fahrzeuge vor dem Export: Die Deutschen arbeiten, die anderen fahren.

Foto: AFP/Stollarz

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss, der 2016 einen neuen Rekord erreicht hat, ist ein echtes weltwirtschaftliches Problem. Weil die größte europäische Volkswirtschaft um fast ein Zehntel mehr exportiert als importiert, zwingt es andere Staaten zu einer negativen Leistungsbilanz. Diese lässt sich nur durch eine immer höhere Auslandsverschuldung finanzieren. Das hat entscheidend zum Entstehen der Euro-Schuldenkrise im vergangenen Jahrzehnt beigetragen.

Dazu kommt, dass Deutschlands Exportüberschüsse den Protektionismus bei den Handelspartnern anheizen, vor allem in den USA, wo Präsident Donald Trump schon massive Strafzölle gegen deutsche Autobauer angedroht hat. Zwar gilt sein Hauptzorn China, aber dessen Leistungsbilanzüberschuss ist inzwischen schon viel kleiner als der deutsche – nach den jüngsten Zahlen des Economist liegt er für 2016 bei 2,4 Prozent, in Deutschland bei 8,9 Prozent.

Es wäre der ganzen Weltwirtschaft geholfen, wenn Deutschland ähnlich wie China seine Leistungsbilanz stärker ins Gleichgewicht bringen würde.

Politisch sehr schwer durchzusetzen

Doch das geht nicht so einfach, wie es sich Kritiker, die Deutschland Währungsmanipulation (Trump-Berater Peter Navarro) oder aggressives Lohndumping (Peter Michel Lingens im aktuellen Profil) vorwerfen.

Das Problem ist ja nicht, dass Deutschland zu viel exportiert, sondern dass es zu wenig importiert. Niemand will, dass die deutsche Industrie schlechter arbeitet, was deutsche Experten und Politiker den Kritikern oft unterstellen. Deutschland müsste stattdessen seine Importe erhöhen. Das wäre durch eine Erhöhung der Binnennachfrage erreichbar, indem etwa Löhne schneller steigen oder die Mehrwertsteuer gesenkt wird, oder durch einen Anstieg staatlicher Investitionen. All das ist allerdings in Deutschland politisch sehr schwer durchzusetzen.

Höhere Löhne helfen nicht immer

Das ist kulturell und psychologisch bedingt – die Deutschen sind geborene Sparmeister und fürchten sich vor einer undisziplinierten Ausgabenpolitik – und lässt sich durch Entscheidungen an der Regierungsspitze nur langsam ändern. So müssen Infrastrukturinvestitionen nicht nur finanziert werden .- und das Geld wäre ja da – sondern auch bewilligt. Und das ist in demokratischen Rechtsstaaten nicht immer leicht.

Es ist auch unklar, ob stärkere Reallohnerhöhungen tatsächlich den Leistungsbilanzüberschuss deutlich schrumpfen lassen würden. Kein anderes Land hat in Europa ein so hohes Lohnniveau wie die Schweiz, auch wegen der Aufwertung des Schweizer Franken. Aber die Schweizer Leistungsbilanz war 2016 mit 9,4 Prozent noch mehr im Plus als die deutsche. Bloß ist die Schweizer Volkswirtschaft kleiner, weshalb dieser Überschuss andere Länder weniger stark trifft.

Die Kritiker der deutschen Wirtschaftspolitik haben grundsätzlich recht, aber können keine Lösungen vorweisen.

Den größten Schaden haben die Deutschen

Ihr größter Gedankenfehler aber ist es zu behaupten, dass Deutschland durch ihre merkantilistische Exportpolitik auf Kosten anderer profitiert. Den größten Schaden fügen sich die Deutschen selbst zu.

Ein anhaltender Leistungsbilanzüberschuss bedeutet ja, dass ein Land mehr produziert als es konsumiert – und im Gegenzug anderen Staaten ermöglicht, über seine Verhältnisse zu leben. Die Deutschen haben besonders viele Arbeitsplätze, aber einen geringeren Lebensstandard, als ihnen auf Grund ihrer Produktivität zustehen würde. Und das Ziel wirtschaftlichen Handelns ist es nicht, besonders viel zu arbeiten, sondern davon gut zu leben.

Großgläubiger mit unklarem Nutzen

Die überschüssigen Einnahmen aus dem einseitigen deutschen Außenhandel fließen wieder ins Ausland – das müssen sie, weil per Definition Leistungsbilanz und Kapitalbilanz einer Volkswirtschaft sich ausgleichen müssen. Deutschland wird so zum Großgläubiger. Aber das macht es nicht reich. Denn es ist unsicher, ob all diese Schulden je wieder zurückgezahlt werden.

Es war kein Zufall, dass deutsche Anleger vor 2008 besonders viele amerikanische Suprime-Papiere und griechische Anleihen in ihren Portefeuilles hatten. Und es war nur logisch, dass sie dann besonders viel Geld verloren haben – und es in Zukunft auch wieder verlieren werden.

Wer ist das wahre Opfer?

Länder mit ständigen Leistungsbilanzüberschüssen sind die Ausgebeuteten der Weltwirtschaft, die sich noch dazu reich fühlen, obwohl sie eigentlich arm sind. Dass sich ihre privilegierten Partner dafür als Opfer fühlen, wie man an der Trump-Rhetorik sehen kann, zeigt, wie schädlich solche Ungleichgewichte sind.

Es wäre daher vor allem im Interesse Deutschlands, seine Wirtschaftspolitik zu ändern. Dass ein primitiv-gefährlicher US-Präsident, der von Volkswirtschaft überhaupt nichts versteht, die Deutschen zu ihrem Glück zwingen könnte, ist ein besonderer Treppenwitz der Geschichte. (Eric Frey, 12.2.2017)