Wie geht man mit einem Protest um, der sich antihierarchisch über Onlineplattformen verbreitet? Und wie nützt man dieses Potenzial als politische Partei? Diesen Fragen wird sich die Politik in den kommenden Jahren widmen müssen.

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"Die Politik ist eine formalisierte Kommunikation gewohnt, Parteien mit ihren Pressesprechern passen nicht zur offenen Kommunikationskultur im Internet. Hier treffen hierarchisch-traditionelle Strukturen auf eine Netzwerkorganisation", sagt David Röthler, Blogger zum Thema Politik und Internet. Erstmals in größerem Ausmaß bemerkbar macht sich dieser Strukturwandel bei den aktuellen Studentenprotesten. In Zukunft werden die Politiker lernen müssen, ständig mit neuen, in kurzer Zeit organisierten und starken Bewegungen umzugehen. derStandard.at sprach mit Bloggern, Experten und Partei-Strategen über die neuen Formen der Politikkultur.

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Schon seit Beginn der Studentenproteste organisieren sich die Studierenden über das Internet und nicht über offizielle Vertretungen. Den Politikern steht somit eine heterogene Masse an Studenten gegenüber, die sich nicht ohne weiteres in eine ideologische Schublade stecken lässt. "Traditionelle Parteien und institutionelle Einrichtungen kommen bei einer solchen Form der Kommunikation nicht mit. Sie haben gewisse Zielvorgaben, die sie erreichen müssen, das ist alles. Da der Protest weit weg von traditionellen Strukturen verläuft und auch die ÖH bei den Studentenprotesten kaum eingebunden ist, haben sie ein Problem", sagt Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten und Buchautor zum Thema "Paralleluniversum Web 2.0 - Wie Online-Netzwerke unsere Gesellschaft verändern".

Entwicklung verschlafen?

Hat die Politik den Einzug der neuen Kommunikationsformen verschlafen? "Verschlafen kann man so nicht sagen. Die Parteien haben kurzfristig taktisch richtig, aber langfristig strategisch falsch gehandelt. Sie haben sich in den Wahlkämpfen auf die Generation Fünfzig-Plus konzentriert, da dies die größte Wählergruppe ist", sagt Filzmaier. Es sei aber für die Parteien auch nicht sinnvoll jetzt alles über das Internet zu machen. "Auch Obama hat seinen Wahlkampf nicht über das Internet gewonnen. Der beste Medienmix ist entscheidend. Das haben alle Parteien erkannt. Aber das Internet mit zum Teil wenig Ressourcen oder aus taktischen Gründen nach hinten gerückt."

Filzmaier sieht bei der Organisation und dem basisdemokratischen Austausch über das Internet sowohl Vor- als auch Nachteile: "Positiv ist sicher der offene Austausch, sowie das beim Idealbild, dem antiken griechischen Marktplatz der Fall war und auch bei Kantonsversammlungen in der Schweiz lange praktiziert wurde. Man trifft sich und diskutiert intensiv. Heute ist das nur mehr im Internet möglich." Die große Frage sei aber, ob sich aus dem Diskussionsprozess auch ein Entscheidungsprozess ableiten lasse.

Wie reagieren die Parteien auf die Proteste?

Aus der ÖVP-Zentrale heißt es, dass die Proteste von der Onlineabteilung sehr wohl beobachtet würden, aber keinesfalls in die Kommunikation auf Facebook eingegriffen werde. "Das geht von den Studierenden aus, so soll es auch bleiben. Da muss nichts geschürt werden, der Dialog passiert ohnehin offline im direkten Gespräch. Unsere Telefonnummern und Mailadressen stehen auf unserer Website und sind bekannt. Darum wenden sich auch immer wieder Studenten an uns. Der Minister hat sich auch mit den offiziellen Studentenvertretungen getroffen."

Bei den Grünen findet man die Proteste "spannend und super". So haben sich Politiker mit den Studenten solidarisiert, auch auf Facebook. "Bei uns ist die Solidarisierung aber ohnehin Parteilinie, was unsere Abgeordneten also auf Facebook und Co. schreiben ist in deren eigener Verantwortung. Es wäre ja absurd ein Redeverbot zu erteilen, schließlich waren ja auch Vertreter unserer Partei bei der Demonstration dabei", sagt Reinhard Pickl-Herk aus der Grünen-Medienabteilung. Ob man auch die Bewegung "Studieren statt blockieren" verfolge, die jüngst von der ÖVP-Rückendeckung bekam? "Vielleicht machen das einzelne von uns,  generell machen wir das aber nicht. Deren Argumente sind ja nicht neu."

Medienkompetenz als Erfolgsfaktor

Marko Zlousic, in der Kommunikationsabteilung der SPÖ für das so genannte "Web 2.0" zuständig, beobachtet die Entwicklungen in den sozialen Medien ebenfalls. Die Bereitschaft der SPÖ-Politiker in den neuen Medien zu kommunizieren sei aber sehr unterschiedlich, als positives Beispiel nennt er Laura Rudas. Die Gründe warum die Organisation der Proteste bei den Studenten klappt, die Parteien sich aber schwer tun, sieht Zlousic in der Medienkompetenz. "Studenten sind es gewohnt mit dem Netz umzugehen, sie sind eine internetaffine Gruppe. Auch bei Obama hat das nicht einfach so funktioniert. Da wurde viel Geld in Schulungen gesteckt. Außerdem hatten die Studenten große Hilfe von Experten, die sich auch sonst viel im Web 2.0 bewegen und haben somit die kritische Masse erreicht."

Organisation und Aufmerksamkeit

Einer von diesen Experten ist Luca Hammer. Er ist unter anderem für den Livestream aus dem Audimax verantwortlich. "Schon am Freitag habe ich mit meinem Handy einen Livestream gemacht, um der Welt zu zeigen was passiert. Am Samstag war ich dann mit mehr Equipment vor Ort und habe die Plenarsitzungen komplett übertragen", schreibt er in seinem Blog. Gegenüber derStandard.at sagt er, dass die Live-Übertragung mittlerweile schon über 250.000 Zugriffe habe, die Website "unsereuni.at" über 500.000.

Die administrative Abwicklung und Übertragung der Proteste habe mehrere Vorteile: "Das wichtigste ist die Transparenz. Besonders nach den Partys und den angeblichen Beschädigungen der ersten Tage  konnten sich Menschen so überzeugen, dass auch konstruktiv gearbeitet wird. Außerdem sind wir nicht mehr an die traditionellen Medien wie Zeitungen gebunden, um unsere Statements zu transportieren." Besonders Twitter sei wichtig für die Organisation. Wenn etwas fehle, sei es innerhalb von Minuten beschafft. Doch nicht alle sind mit dem Streamen der Proteste einverstanden, wie auch Plakate im Audimax zeigen.

Unabhängig von Zeit und Ort

David Röthler hat von den Protesten über den Kurznachrichtendienst "Twitter" erfahren. "Soziale Medien erzeugen vor allem mehr Aufmerksamkeit, so war ich per Stream gemeinsam mit 2700 anderen Menschen live im Wiener Audimax dabei." Das sieht auch Hammer als Stärke des Protests: "Wir diskutieren mittlerweile wie die Plena in Zukunft abgehalten werden können, da im Audimax zu wenig Platz ist. Darum sollen die Diskussionen auf andere Medien wie das Wiki  übertragen werden." (Anmerkung: Ein Wiki ist ein System für Webseiten, bei dem jeder Inhalte nicht nur lesen sondern auch verändern kann. Vergleiche: Wikipedia) Das Wiki würde den Protest vollkommen zeit- und ortsunabhängig machen. "Auch bei einer allfälligen Räumung könnten sich die Studenten in Kürze wieder formieren und andere Räume besetzen", glaubt Hammer.

Was kann die Politik tun?

Die Politik ist ratlos, eine solche Form des Protests ist in den Parteien unbekannt. Für Filzmaier liegt die Erklärung darin, dass Politiker einen steuerbaren Kommunikationsprozess wollen. Das Plenum der Besetzer aber fordert, dass sich Politiker bereiterklären ins Audimax zu kommen. "Das stell ich mir zwar schwierig vor, da die Stimmung aufgeheizt ist. Aber so kann ein Politiker zeigen, dass er ein Politiker ist", so Hammer. Die Besetzer weigerten sich auf Wunsch von Hahn einen Vertreter oder eine Vertreterin zu ernennen. Hintergrund dieser Entwicklung ist laut Filzmaier die bedingte Legitimation der ÖH durch die geringe Wahlbeteiligung der letzten beiden Wahlen. Würde für die Besetzer ein Dialog auf Facebook auch genügen? "Das stell ich mir schwierig vor. Die Glaubwürdigkeit von Politikern ist gering, es müsste klar sein, dass kein Pressesprecher oder gar ein ganzes Team hinter den Einträgen steht", so Hammer.

Politikwissenschaftler Filzmaier sieht schnelle Maßnahmen allgemein kritisch: "Kurzfristige Anbiederungsaktionen helfen nichts. Solidarisierungserklärungen können funktionieren, aber zumindest unterbewusst herrscht bei Protestgruppen immer ein gesundes Misstrauen gegenüber parteipolitischer Instrumentalisierung." Er glaubt, dass hier langfristige Gespräche und Dialogbereitschaft jenseits des Anlassfalles gefordert wären, um glaubwürdig zu wirken. Auch Zeger glaubt, dass sich die Politiker zurückhalten sollen. "Wenn sich beispielsweise die SPÖ auf das Thema draufsetzen würde, dann nimmt das keiner ernst." Er glaubt aber, dass für die Zukunft die  traditionellen Parteien sehr wohl die Debatte zu sich holen könnte. Die Politik könnte die technische Infrastruktur für solche Diskussionen bereitstellen, damit die Debatten bei den Parteien ablaufen. "Die Kontrolle über die Kommunikation müssen sie aber abgeben und können nur beschränkt eingreifen. Da müssten sich die Parteien öffnen. Internetnutzer sind diesbezüglich sehr kritisch." (Anita Zielina, Michael Kremmel, derStandard.at, 3.11.2009)