Bild nicht mehr verfügbar.

Zur Person:

Peter Woodard Galbraith (59) war von 1993 bis 1998 US-Botschafter in Kroatien. Davor beriet er den Washingtoner Senat in außenpolitischen Fragen und gilt als ausgewiesener Kenner des Nahen Ostens. Im Frühling 2009 wurde der Demokrat und enge Vertrauter von Obamas AfPak-Spezialisten Richard Holbrooke von den Vereinten Nationen als Vize-Sondergesandter nach Kabul geschickt. Ende September wurde er abberufen. Galbraith ist verheiratet und lebt im Ostküstenstaat Vermont.

Foto: AP/Talbot

Ende September verließ der US-Diplomat Peter Galbraith Hals über Kopf seinen Posten als Vize-Sondergesandter der UNO in Afghanistan. Dem Rauswurf war ein Streit mit seinem Vorgesetzten Kai Eide vorangegangen, bei dem es um die massiven Wahlfälschungen in der ersten Runde der afghanischen Präsidentenwahl gegangen sein soll. Im Interview mit derStandard.at schildert Galbraith seine Sicht der Dinge und erklärt, warum zusätzliche NATO-Truppen im Afghanistan des Hamid Karzai wenig ausrichten können.

***

derStandard.at: In einem Kommentar für die New York Times haben Sie vergangene Woche eine Katastrophe für Afghanistan prophezeit, sollte es auch in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zu Fälschungen kommen. Ist nun, wo die zweite Runde abgesagt wurde, alles gut?

Peter Galbraith: Nein, natürlich nicht. Es gab schon bisher eine korrupte und ineffiziente Regierung unter Präsident Karzai. Nun wird diese Regierung auch noch von einem großen Teil der afghanischen Bevölkerung als illegitim angesehen. Außerdem hat sie in den Ländern, die Truppen nach Afghanistan entsenden, eine hoffnungslos negative Schlagseite und gilt als betrügerisch.

derStandard.at: US-Präsident Barack Obama hat Karzai in einer ersten Reaktion dazu aufgerufen, die Korruption zu bekämpfen. Kann der Kampf auf zwei Fronten, also gegen die Taliban und gegen die Korruption, eigentlich gewonnen werden?

Peter Galbraith: Diese zwei Dinge lassen sich nicht trennen. Es sind ja genau die Korruption und der Machtmissbrauch, die den Taliban in die Arme spielen. Das Problem ist, dass der größte Anteil an der Korruption von Karzai selbst und seinen Anhängern ausgeht. Sie haben im Grunde eine Wahl gestohlen.

derStandard.at: Ist es angesichts aller Vorwürfe angebracht, Milliarden Dollar auszugeben, um Karzai im Amt zu halten?

Peter Galbraith: Auf keinen Fall. Aber das ist es auch nicht, was die Internationale Gemeinschaft macht. Die involvierten Länder tun das schon aus eigenem Interesse, sie wollen die Taliban und Al Kaida bekämpfen und eine gewisse Stabilität nach Afghanistan bringen. Karzais Macht alleine wäre keinen einzigen Dollar wert. Aber ganz im Ernst, es gibt jetzt keine Rechtfertigung, zusätzliche Truppen nach Afghanistan zu schicken. Damit ausländische Truppen erfolgreich arbeiten können, brauchen sie einen vertrauenswürdigen Partner vor Ort. Und genau der fehlt jetzt.

derStandard.at: Wäre Abdullah Abdullah ein besserer Partner?

Peter Galbraith: Darauf kann ich keine Antwort geben. Nicht, dass ich keine Meinung dazu hätte, aber mein Job war es, ehrliche Wahlen zu gewährleisten, nicht den einen oder anderen Kandidaten zu unterstützen.

derStandard.at: Was wäre denn Ihrer Ansicht nach notwendig, um ehrliche und faire Wahlen in Afghanistan durchzuführen?

Peter Galbraith: Es war vor vornherein klar dass das nicht so gut über die Bühne gehen würde wie etwa bei Ihnen in Österreich. Aber es gibt schon Konzepte, an die man sich hätte halten können. Zum Beispiel hätte man eine unabhängige und neutrale Wahlkommission installieren können, anstatt einer Pro-Karzai-Organisation, wie es der Fall war. Zweitens hätte man ganz einfach die so genannten Geisterwahllokale schließen können. Das waren Wahllokale, die so positioniert waren, dass niemand hinkommen konnte. Hunderttausende Stimmen wurden dort gefälscht.

Ich habe das im Juli angeprangert und wurde von Kai Eide (norwegischer Diplomat, UN-Sondergesandter und Chef der UNO-Mission in Afghanistan, Anm.) gestoppt. Weiters hätte man dafür sorgen können, dass die Mitarbeiter, die in der ersten Runde den Betrug durchgeführt haben, nicht wieder herangezogen werden. Auch das ist nicht geschehen. Meiner Meinung nach hat sich Abdullah Abdullah zu Recht geweigert, da mitzumachen. Er hätte sonst das Leben der afghanischen und ausländischen Truppen riskiert, die Wahlen zu schützen hätten, die nicht fair sind. Abdullah hatte leicht zu erfüllende Forderungen, es wurde ihnen nicht entsprochen.

derStandard.at: In einem Times-Interview werfen Sie Kai Eide vor, den Betrug heruntergespielt zu haben. Warum sollte er das tun?

Peter Galbraith: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist meiner Ansicht nach, dass er Karzai nicht vor den Kopf stoßen wollte, weil sein eigener Einfluss in Afghanistan zu einem großen Teil von seinem guten Verhältnis zu Karzai abhängt. Und tatsächlich hat ihn Karzai als die Person in der internationalen Gemeinschaft betrachtet, die ihm am freundlichsten gesinnt war. Aber es reicht nicht mit jemandem reden zu können, wenn man ihm nichts zu sagen hat. Ein Beispiel: Kai Eide wollte Karzai davon abbringen, Muhammad Qasim Fahim (früherer Verteidungsminister, Anm.) und Rashid Dostum (Milizenführer und Verbündeter Karzais im Norden Afghanistans, Anm.) zurück auf die politische Bühne zu bringen. Das Resultat war, dass Karzai Fahim als Vizekandidat präsentierte und Dostum trotzdem zurückgekommen ist. Das ist schon ziemlich seltsam.

Das passiert aber vielen Diplomaten: sie hören auf, ihre Organisation gegenüber einem ausländischen Staatschef zu repräsentieren und werden zu einem Vertreter des ausländischen Staatschefs bei ihrer Organisation. Kai argumentierte sein Verhalten damit, dass er eine Spaltung des Landes befürchtete, wenn die UNO die Wahlfälschungen aufdeckte. Meine Sichtweise war eher die, dass wir uns damit zu beschäftigen haben, wenn bei einer Wahl in so großem Maße betrogen wird.

derStandard.at: Die Macht von Präsident Karzai wird als so begrenzt beschrieben, dass er vielerorts als "Bürgermeister von Kabul" bezeichnet wird. Wie stehen die Zeichen für Karzai in den Regionen nach der umstrittenen Wahl?

Peter Galbraith: Im Süden und Osten kontrollieren die Taliban weitgehend die ländlichen Gebiete, sogar einen Teil von Karzais Heimatstadt Kandahar. Im Norden machen die Tadschiken und die Hazara ohnehin ihr Ding. Der Norden Afghanistans wird sicher auf Dauer nur noch autonomer, weil die Schlüsselfiguren die Legitimität Karzais nicht anerkennen. Und nach dieser Wahl noch weniger.

Ich unterstütze Abdullah Abdullahs Ideen hinsichtlich einer Verfassungsänderung. Das afghanische System ist angesichts der geographischen und ethnischen Diversität des Landes viel zu zentralistisch. Alle Macht ist, zumindest in der Theorie, im Amt des Präsidenten gebündelt. Das kann nicht funktionieren, dafür sind die Regionen viel zu unterschiedlich. Was helfen könnte ist ein starker, neu zu schaffender Premierminister oder sogar, um noch weiter zu gehen, lokale Steuer- und Gesetzgebungsbehörden.

derStandard.at: Ihnen schwebt also ein föderales Afghanistan vor?

Peter Galbraith: Föderal ist in Afghanistan ein böses Wort, weil sofort alle Angst haben, so etwas könnte zur Spaltung des Landes führen. Ich hingegen bin sicher, dass das der einzige Weg ist, das Land zusammenzuhalten. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 3.11.2009)