"Wie konnten wir nur so dumm und grausam sein" : Foer (32) isst heute kein Fleisch mehr.

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Um die Wahrheit zu sagen, dieser amerikanische Schriftsteller, Jonathan Safran Foer, der ist rein gar nichts Besonderes. Er ist schrecklich klein, trägt eine Brille, und seine Haare stehen auf seinem Kopf wie eine Pelzmütze. Als ich ihn sah, war ich maximal unterwältigt."

So schreibt Foer über Foer. Die Passage stammt aus seinem ersten Roman Alles ist erleuchtet, mit dem der Autor im Alter von 25 Jahren zum erfolgreichsten litera-rischen Aufsteiger der USA wurde. Für sein Debüt erhielt er wichtige Auszeichnungen und sehr viel Kritikerlob. Jetzt, mit 32 Jahren, erscheint sein drittes Werk auf Deutsch, Tiere essen, ein kluges Sachbuch, das jeden Leser zum Vegetarier macht - zumindest für ein paar Stunden.

Jonathan Safran Foer recherchierte drei Jahre lang für Eating Animals, so lautet sein Buch im englischen Original. Er drang in eine Hühnerfabrik ein, sprach mit Biobauern und Fließbandschlachtern und schrieb ein Buch, das einem die Augen öffnet und den Magen umdreht: "Der Blutgeruch macht einen ganz aggressiv" , sagt im Kapitel "Geschichten erzählen" ein Arbeiter, der im Akkord Schweine tötete. Er gesteht: "Einmal habe ich mein Messer genommen - es ist ziemlich scharf - und einem Schwein ein Stück von der Nase abgeschnitten, als wär's eine Scheibe Mortadella. Das Schwein ist ein paar Sekunden lang durchgedreht. Dann ist es bloß noch dagehockt und hat irgendwie dumm geguckt. Also nehme ich eine Handvoll Salz und reibe es ihm in die Nase. Da ist das Schwein richtig ausgeflippt und hat die Nase wie wild durch die Gegend geschüttelt. Ich war nicht der Einzige, der solche Sachen gemacht hat. Ein Schlachter treibt die Schweine manchmal noch lebend in das Brühbad. Und alle - die Treiber, die Anhänger, die Saubermacher - schlagen Schweine mit Metallrohren."

Standard:Seit ich Ihr Buch gelesen habe, konnte ich kein Fleisch mehr anrühren. Vielleicht werde ich durch Sie zur Vegetarierin.

Foer: Warten wir einmal zwei, drei Wochen ab. Mir ging's ja lange Zeit genauso. Ich sagte mir: Das war's, ich hab genug gehört: Nie mehr Fleisch! Und kurz darauf ertappte ich mich dabei, wie ich im Restaurant ein Schnitzel bestellte. Vegetarier zu werden ist wie aufhören zu rauchen. Mark Twain sagte: "Es gibt nichts Einfacheres. Ich tue es die ganze Zeit."

Standard: Aber man kann nur das eine oder das andere sein: Raucher oder Nichtraucher, Vegetarier oder Fleischesser. Es gibt kein dazwischen.

Foer: Ich wünschte mir, Leute würden mein Buch lesen und sagen: Ab jetzt esse ich nur noch am Wochenende Fleisch. Das würde mich schon sehr freuen. Wenn die Amerikaner eine Fleischmahlzeit pro Woche weglassen würden, dann wäre das, als würde man fünf Millionen Autos von der Straße wegnehmen. Die Umweltverschmutzung durch die Fleischindustrie ist immens.

Standard: Wenn ich an meine verstorbene Großmutter denke, erinnere ich mich zuerst daran, dass sie mir beim Abschied jeweils eine Wurst in die Tasche steckte und mir verschwörerisch zuflüsterte: für deinen Freund, damit er dir nicht davonrennt. Fleisch ist etwas hoch Emotionales. Kein Fleisch mehr zu essen ist ein persönlicher Verlust, wenn nicht gar ein kultureller.

Foer: Aber die Menschheit verzichtet andauernd auf Dinge, von denen man dachte, sie seien untrennbar mit uns verbunden, die es aber wert sind, dass wir sie aufgeben. Nur weil Frauen stets zweitrangig behandelt wurden, müssen sie nicht für immer und ewig diskriminiert werden.

Standard:Wir sitzen hier in einem jüdischen Kulturzentrum in Jerusalem, wo Sie an Ihrem neuen Roman schreiben. Von der Terrasse aus sieht man am Horizont die Sperrmauer zum Westjordanland, eine gute Autostunde weiter südlich, im Gazastreifen, sind Lebensmittel knapp. Aus dieser Perspektive erscheint das Problem der Massentierhaltung, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, weniger dringend.

Foer: Wir müssen uns doch nicht zwischen Grausamkeiten entscheiden! Ich finde beides schlimm, den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Tierfabriken.

Standard: Wann haben Sie das letzte Mal Fleisch gegessen?

Foer: Das war, bevor mein Sohn Sasha geboren wurde, also vor über vier Jahren.

Standard: Kommen Sie manchmal noch in Versuchung, in eine Wurst zu beißen?

Foer: Natürlich, ständig! Aber ich treffe auch täglich Frauen, mit denen ich gern ins Bett gehen würde und tue es nicht. Ich bin ein erwachsener, zivilisierter Mensch, der sich aus Überzeugung an gewisse Regeln hält.

Standard: Wie hat Ihre Großmutter reagiert, die immer wieder eine Rolle in Ihren Büchern spielt, als Sie von Ihrem berühmten Brathuhn nur noch das Beigemüse aßen?

Foer: Sie hat neue Rezepte erfunden. Früher kochte sie Hühnersuppe, heute kocht sie vegetarische Hühnersuppe. Oder geschnetzelte Leber ohne Fleisch, dafür mit grünen Bohnen, Mandeln und Auberginen. Sie püriert das Ganze. Grauenhaft, ich mag es nicht, aber dafür schmeckt es allen anderen Familienangehörigen.

Standard: Dieser Brei mag ja super gesund sein, aber Hand aufs Herz, Ihr Sohn Sasha würde bestimmt viel lieber einen Hotdog essen.

Foer: Nein, das glaub ich nicht. Zugegeben, einmal kam er von der Schule heim und sagte: "Ich will Fleisch essen." Okay, antwortete ich. Aber lass uns zuerst darüber reden. Und schon war's kein Thema mehr. Es ging ihm um meine Reaktion und nicht um die Wurst.

Standard: Wie überzeugten Sie ihn davon, dass er kein Fleisch essen soll?

Foer: Das war ganz leicht. Es geht nicht darum, was richtig ist oder falsch, sondern darum, welche Geschichte wir erzählten. Die Helden in den Kinderbüchern sind meist Tiere. Wieso sollte er sie essen wollen?

Standard: Weil Fleisch gut schmeckt. Vielleicht besser als alles andere. Und weil es alle anderen essen. Was füttern Sie eigentlich Ihre Hündin George? (Jonathan Safran Foer vergöttert seinen Labrador. Er behauptet, dass sie sich Zungenküsse geben.)

Foer:Sie isst Fleisch aus tierfreundlicher Haltung, ein Spezialhundefutter. Wir versuchten, ihr nur vegetarische Nahrung zu geben, aber die bekam ihr nicht.

Standard: Was für ein Widerspruch, Ihr Hund verschlingt Unmengen von Fleisch, und Sie ermutigen die Leute, weniger oder keines mehr zu essen. Vielleicht sollten wir einfach damit beginnen, keine Hunde und Katzen mehr zu halten.

Foer: Ich finde auch, dass man keine Hunde züchten sollte. Haustiere zu halten ist unsinnig. Aber George wurde ausgesetzt, wir fanden sie auf dem Park Slope in Brooklyn, unweit von unserem Haus entfernt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Standard: Biofleisch zu essen, so sagen Sie in Ihrem Buch "Tiere essen" , sei keine befriedigende Lösung.

Foer: Nein, das ist es wirklich nicht. Heute wird fast ein Drittel der Landoberfläche unseres Planeten für Viehzucht genutzt. Massenweise Biobauernhöfe würden noch viel mehr Land verschwenden. Zudem ist die Umweltverschmutzung dieser Höfe annähernd gleich hoch wie von herkömmlichen Betrieben. Die Antwort lautet also nicht bio, sondern schlicht und einfach: weniger Fleisch essen. Oder am besten gar keines, aber das wird die Menschheit in den nächsten zwanzig Jahren nicht schaffen.

Standard:Sie sind also pessimistisch, was die Zukunft anbelangt?

Foer: Nicht unbedingt, denn immerhin sind zwanzig Prozent aller College-Schüler in Amerika schon Vegetarier. Eines Tages werden wir uns an die Tierfabriken erinnern und denken, wie konnten wir nur so dumm, so grausam sein. (Barbara Achermann, DER STANDARD Printausgabe, 21.8.2010)