Hier geht's ins angeblich beste Restaurant der Welt: Noma.

Und hier gibt's ein komplettes Noma-Menü in Bildern - leider ohne Geschmack und Geruch.

Foto: Katharina Schell

Shrimps aus dem Roskildefjord wurden uns angetragen. Und zwar lebendig. Kreisch!

Foto: Katharina Schell

Wir erinnern uns an den Vulkan? Der Eyjafjallajökull steht in Island, und das ist den Dänen (mittlerweile) herzlich wurscht. Aber als die Asche den Flugverkehr lahmlegte, ging ein Raunen durch Kopenhagen: "Hast du gehört? Im Noma gibt‘s Tische!" Die betuchte Kundschaft konnte nicht landen, die Kopenhagener Klientel sich bei René Redzepi niederlassen. So wird es erzählt in den örtlichen Beisln, mit leuchtenden Augen.

Frokost

Unsereins kann natürlich nicht auf Vulkanasche hoffen. Mit dem Auto ist es dann doch recht weit an den Øresund. Also hofft man auf die Warteliste. Hofft und wartet, die Abreise rückt näher, nein, man hat eh nicht damit gerechnet, aber wenn schon der Tivoli zu ist... Und 18 Stunden vor dem Abflug ruft eine nette Dänin an. Ob man denn am nächsten Tag im Noma das Frokost nehmen, auf Deutsch, zu Mittag essen will? Man will.

Es ist nicht so, dass man erst ans Noma denkt, seit es auf der Pellegrino-Liste als weltbestes Restaurant firmiert. Schon seit längerem wird an jeder kulinarischen Ecke von der "New Nordic Cuisine" geschwärmt, als deren Messias Redzepi gilt. Der hat einen schicken Multi-Kulti-Hintergrund und setzt deshalb, oder trotzdem, oder wie auch immer, auf ausschließlich skandinavische Zutaten.

Zwischen Blutpudding und Fleischlaberln

Na und, mag man da murmeln, vor allem wenn man die skandinavische Küche von Blutpudding bis Biksemad (dänischer Grenadiermarsch) durchgekostet hat, ja, auch Smørrebrød fällt uns ein, Dillsill oder Köttbullar, was einfach lächerlich kleine Fleischlaberln sind. Bäuerliche Küche, die satt macht, aber nie durch besondere Rafinesse auffiel. Auffallen ist in Skandinavien auch nicht so ein Muss, außer es ist Samstag und man darf saufen.

Aber erstens war Dänemark immer schon ein klein wenig europäischer als der Rest des Nordens; und zweitens war es eigentlich schon längst an der Zeit, dass der Hang zur regionalen Kulinarik auf fast schon übertriebenen Niveau in einem Land ankommt, in dem man den Weihnachtsbaum mit der Landesflagge schmückt. Drittens sind die Skandinavier bekanntermaßen designmäßig ziemlich auf Zack, warum sollten sie nicht auch beim Essen Geschmack beweisen?

Genug über dänische Küche und Mentalität geschwätzt. Rein in den Flieger, raus aus dem Flieger, rüber nach Christianshavn, ran an den Tisch. Der erste Eindruck, er soll ja so wichtig sein: Ist das hier? Ist das die Tür? Ein alter Speicher, heute ein Kulturzentrum für den Nordatlantikraum. Direkt am Wasser, schön renoviert, umgeben von einer Gstettn. Ein schmuckloser verglaster Eingang. Aber es ist die Tür, und schon sind wir drin.

Schick und schlicht und lässig

Alles so schön schlicht hier! Ins Noma möchte man gerne einziehen - zumindest, wenn man nicht auf Kristallluster, gestärkte Tischbekleidung und barocke Sitzmöbel steht. Nordisches Design at its best: Wunderschöne Holzmöbel stehen einladend herum, die Holzbalken des Packhauses sind gekonnt unverputzt, die Fensterfronten bieten Blick aufs Wasser und das neue Schauspielhaus. Das Personal ist so gut und lässig angezogen, wie man das in Skandinavien bitte auch erwarten kann. Und außerdem von einer professionellen Lockerheit, dass man gar nicht so recht glauben kann, dass Redzepi manchmal ein höchst ungemütlicher Chef sein soll.

Zu unserer freudigen Überraschung teilt uns der eine nette Kellner mit dem Tattoo (sogar die Peckerl atmen Understatement pur) mit, dass wir aber gerne das große Menü haben können, trotz Frokost. Es wird dann halt bisschen schnell hintereinander serviert, deutet er an. Das ist uns nur recht, und die nächsten dreieinhalb Stunden sind ein reines Vergnügen.

Erlebnis gibt's auch anderswo

Die Speisefolge wird angesichts überbordender Schwafel- und Schwärmerei in diesem Text im Einvernehmen mit Chefschmeckser Fidler in eine Ansichtssache ausgegliedert. Darum bleibt praktischerweise hier ein wenig Platz für grundsätzliche Überlegungen.

Essen im Noma ist ein Erlebnis, keine Frage. Sollte es auch für rund 150 Euro pro Menü. Aber so what? Das können andere Sterneschuppen auch - man gibt ihnen viel Geld und sie inszenieren einem einen ordentlichen Abend. Was jetzt am Noma so anders oder gar „besser" sein soll, ist nicht so einfach zu erklären.

Radikal lebendig

Versuchen wir es einmal mit "radikal": Ein abgenudeltes Adjektiv, aber es passt. Ein Beispiel sind die Shrimps. Sie werden unaufgeregt als Tiere aus dem nahe gelegenen Roskilde-Fjord angekündigt, im Rex-Glas auf Eis serviert und sehen schmuck und roh aus.

Sehr roh. Sie leben nämlich noch. Unsouveräne Gäste wie wir versuchen denn auch mit ziemlich viel Getue, uns mit dieser Tatsache abzufinden und die zappelnden Dinger zu verspeisen. Dreimal hat der Kellner im Vorbeigehen ein wachsames Auge auf das unwürdige Schauspiel. Dann der hilfreiche (?) Tipp: Wir können die Kleinen auch köpfen vor dem Runterschlucken. "Sie sind dann tot, aber immer noch ziemlich frisch."

Immer noch ziemlich frisch. Das klingt kokett, doch vor Ort, zwischen (reichlich) Sauerampfer und Brot im Filz, sagt es viel über Redzepis Konzept. Erstens: Es soll aus der Nähe sein (relativ, Skandinavien ist groß), und frisch, und möglichst unverfälscht. Und zweitens: Liebe Leute, ihr esst hier Tiere. So ist das, und wir lassen euch eh keine Ente abschlachten. Aber wenn ihr so auf Frische steht, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen. Haben übrigens gut geschmeckt, die Shrimps.

Unisex pinkeln

Im Kontext der Spitzengastronomie versucht sich das Noma außerdem an einer Neudeutung des Elite-Begriffs. Willkommen im besten Restaurant der Welt, nein, Tischtücher brauchen wir nicht, blöder Schnickschnack. Solche Messer verwenden die Leute in Lappland seit Jahrhunderten, dann könnt ihr das auch tun. Damen- und Herrenklo? Fehlanzeige, bitte unisex pinkeln. Gleiche Klobrille für alle.

Demokratische Sterneküche scheint das Motto. Das ist angesichts der Preise - über die für den Alkohol wollen wir am liebsten gar nicht schreiben, die Weinbegleitung im Oktober übrigens ausschließlich Österreicher - natürlich Augenauswischerei. Aber halt auch sehr skandinavisch, in einem egalitären Selbstverständnis, wonach es gewisse Distinktionsmerkmale und Statussymbole nicht braucht und man ins Noma will, weil dort etwas Aufregendes, Neues passiert - und nicht, um dort gewesen zu sein.

Noch nie zuvor so gegessen

Und so ist es auch. Nicht jeder Gang reißt einen vom Hocker. Insgesamt aber hat man noch nie zuvor so gegessen. Insgesamt hat man ein paar unvergessliche Stunden erlebt. Sogar der berüchtigte Filterkaffe zum Abschluss (Espresso? Hamma net in unserem Land!) gehört dazu.

Der steht außerdem exemplarisch für eine saloppe Interpretation eines nordischen Nationalstolzes, der für Außenstehende üblicherweise schwer nachzuvollziehen ist. Schon mal bei einer Landpartie durch Schweden Fahnenstangen gezählt? Hunderte! In Privatgärten! Mit gehisster Flagge! Und: Redzepi biedert sich nicht an Traditionen an. Was den Dänen gemütlich, hyggelig, aber auch ein bisschen altmodisch ist, wird bei ihm kompromisslos und modern.

Erst Tisch buchen, dann Flug

Ist das Noma das beste Restaurant der Welt? Nicht zu sagen, wenn man nicht in allen Restaurants der Welt war. Lohnt es sich, fürs Noma auf die Warteliste zu hoffen? Unbedingt. Noch besser: Erst den Tisch buchen und dann den Billigflug. Oder aber: Nach Dänemark ziehen und einen guten Job suchen. Dann muss man aber eventuell auf den Vulkan warten.

--> Ansichtssache des Menüs

--> Vom Norden hoch da komm ich her