Elena Messner: "Der gesamte Balkanraum wird oft auf die politische Dimension reduziert, auf den Krieg. Die Literatur kommt da oft zu kurz."

Foto: daStandard.at/Mascha Dabić

Der serbische Stand auf der Leipziger Buchmesse.

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163.000 Besucher zählten die Veranstalter heuer.

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Serbien war Gastland der Leipziger Buchmesse 2011. In einem Gespräch mit daStandard.at erzählt Elena Messner, die Koordinatorin des serbischen Standes, von den Reaktionen des Publikums auf den serbischen Gastauftritt. Elena Messner lebt derzeit in Belgrad.

daStandard.at: Sie haben den serbischen Stand im Rahmen der Leipziger Buchmesse koordiniert. Wie kommt es, dass eine Österreicherin den serbischen Messeauftritt koordiniert?

Messner: Im Rahmen meines Disserationsprojekts habe ich mich mit der Rezeption der Literatur aus Ex-Jugoslawien im deutschsprachigen Raum beschäftigt. Dann wurde ich vom Kulturministerium gebeten, Vorträge darüber zu halten. Im Rahmen der Buchmesse in Wien habe ich einige Veranstaltungen organisiert, und dann entstand die Idee, auch den Auftritt Serbiens auf der Buchmesse zu koordinieren.

daStandard.at: Was wollte Serbien mit seinem Gastauftritt auf der Buchmesse erreichen? Wollten die Organisatoren mit Vorurteilen brechen?

Messner: Es ging in erster Linie darum, diese Literatur sichtbar zu machen. In den Neunziger Jahren gab es einen Boom an Übersetzungen aus dem Serbokroatischen, weil die Kriege waren, aber da ging es weniger um Literatur im engeren Sinne, sondern eher um Fachliteratur. Diese Entwicklung flaute rasch ab. Natürlich gibt es Vorurteile gegenüber dem Balkan-Raum, die man durch diesen Gastauftritt vielleicht nicht entkräften, aber zumindest offen thematisieren wollte.

daStandard.at: Welche Vorurteile gibt es gegenüber dem Balkan?

Messner: Der gesamte Balkanraum wird oft auf die politische Dimension reduziert, auf den Krieg, das ist schon mal ein Vorurteil für sich. Die Literatur kommt da oft zu kurz. Man interessiert sich nicht für Gender-Fragen oder intime Literatur, sondern eher für den Krieg oder die Geschichte des Balkans, die Frage nach Europa und Balkan.

daStandard.at: Gibt es auch Vorurteile, die spezifisch Serbien betreffen?

Messner: Bei Serbien ist es die Schuldfrage, die Frage nach der Täterschaft und nach dem Opferstatus, sie steht stark im Vordergrund. Nachdem Serbien sich derzeit sicherlich auf dem Weg in die EU befindet, erfüllt dieser Gastauftritt auch eine diplomatische Funktion, auch als ein Bekenntnis zu Werten, zu einer bestimmten Kulturszene, zu bestimmten Autoren vielleicht auch, aber jedenfalls zu einer Vielfalt. Es gibt vielleicht keine klare, einheitliche politische Aussage, aber der Gastauftritt ist sicherlich ein Ja zur Vielfalt. Pluralismus ist sicher ein Wert, den ein modernes Serbien vertritt.

daStandard.at: Wie waren die Reaktionen des Publikums auf das Programm des serbischen Standes? Sind Sie zufrieden mit der Messe?

Messner: Wir sind alle sehr positiv überrascht. Der Schwerpunkt Serbien wurde medial sehr stark wahrgenommen. Bei der Messe selbst waren die Sitzplätze immer durchwegs besetzt, der Andrang war groß. Das haben wir nicht erwartet.

daStandard.at: Warum nicht? Schließlich ist Serbien Gastland. Kann es sein, dass die serbische Literaturszene unter einem gewissen Minderwertigkeitskomplex leidet und sich deshalb einen Erfolg gar nicht zugetraut hat?

Messner: Ich glaube schon. Das beginnt schon damit, dass viele Autoren immer wieder betonen, dass sie in einer kleinen Sprache schreiben. Und die deutsche Sprache sei so groß, und jetzt werde ich in eine große Sprache übersetzt. Immer wieder dieses groß und klein.

daStandard.at: Wird von den serbischen Autoren erwartet, sich mit dem Krieg auseinanderzusetzen?

Messner: Die Erwartungshaltung ist schon da, die Autoren stehen gewissermaßen unter Druck und müssen sich fragen, ob es Eskapismus ist, wenn sie nicht über den Krieg schreiben, sondern sich auf private oder intime Themen konzentrieren.

daStandard.at: Was ist mit der Stimme der Frauen in der serbischen Literatur?

Messner: Einige serbische Autorinnen haben sich auch über das Thema weibliches Schreiben unterhalten. Frauen haben oft einen anderen Blick auf das Leben, sie nehmen den Krieg vielleicht auch anders wahr und erleben einen anderen Alltag darin, aber dieser Standpunkt kommt oft zu kurz. Dabei sind solche Geschichten genauso notwendig. (Mascha Dabić, daStandard.at, 22.3.2011)