"Die Vorderräder sind fixiert und erlauben nur eine Vor- oder Rückwärtsbewegung. Sonst würde sich der Rollstuhl bei jeder Topspin-Vorhand durch den Körperschwung drehen."

Foto: Gerry Frank

"Man muss aus jeder Situation das Beste machen. Durchbeißen oder aufgeben. Der Kampfgeist war immer in mir."

Foto: Gerry Frank

Doris Mader beim Training mit Andreas Vevera. Er spielt in einer anderen Klasse und ist in der Bewegung eingeschränkter.

Foto: Gerry Frank

Wien - Am 26. August reist Doris Mader zur den Paralympics nach London mit dem Ziel, ihren fünften Platz von Peking 2008 zu toppen. Davor sprach die Tischtennisspielerin mit Philip Bauer.

derStandard.at: Ich möchte einen Rollstuhlfahrer im Tischtennis bezwingen. Verraten Sie mir den gemeinsten Trick?

Mader: Am besten spielen Sie kurze Bälle mit viel Winkel. Kurz alleine reicht nämlich nicht, das beherrschen die guten Spieler. Sie müssen ihn kurz und mit viel Seitenschnitt spielen. Je gemeiner, desto besser. (lacht)

derStandard.at: Das überfordert wohl meine bescheidene Technik. Haben Sie einen anderen Vorschlag?

Mader: Probieren Sie es doch mit langen Bällen an die Grundlinie, spielen Sie zur Schulter der Schlägerhand. Da kann der Gegner weder Vor- noch Rückhand spielen, da bekommt jeder Rollstuhlfahrer Probleme.

derStandard.at: Dann habe ich die Katze, also den Rollstuhlfahrer, im Sack?

Mader: Nicht ganz. Die meisten Spieler bringen auch diese Schläge zurück, aber nur passiv. Eine aktive Eröffnung ist aus dieser Position kaum möglich.

derStandard.at: Mit wie viel Dynamik muss ich bei einem Rollstuhlfahrer im Tischtennis rechnen?

Mader: Das hängt von der Behinderungsklasse ab. Ich spiele in Klasse 3, das sind jene Aktiven, die nicht nur gelähmte Beine, sondern auch keine Bauch- und Rückenmuskeln haben. Ich bewege mich zur Seite, lasse mich leicht rausfallen und ziehe mich dann mit den Händen wieder in den Stuhl zurück.

derStandard.at: Gerät der Rollstuhl dabei nicht außer Kontrolle?

Mader: Die Vorderräder sind fixiert und erlauben nur eine Vor- oder Rückwärtsbewegung. Sonst würde sich der Rollstuhl bei jeder Topspin-Vorhand durch den Körperschwung drehen.

derStandard.at: Man hört, Ihre Konkurrentinnen spielen alle mit Noppenschlägern. Sie halten am glatten Belag fest. Warum?

Mader: Ich spiele seit meiner Kindheit Tischtennis und habe immer nur glatte Beläge genutzt. Noppenspieler gehen es eher passiv und zerstörerisch an.

derStandard.at: Und Sie?

Mader: Ich versuche mit aggressiven Topspin-Bällen den Punkt zu machen.

derStandard.at: Das bringt Sie bereits zu Ihren zweiten Paralympics. Sind die Spiele Ihr sportliches Highlight?

Mader: Absolut. Die Atmosphäre ist beeindruckend. Dafür trainiert und schwitzt man vier Jahre. Wir spielen normalerweise nicht vor vielen Zusehern. In Peking waren 5.000 in der Halle, da war es unglaublich laut, der Aufsprung des Balls kaum zu hören. Das erschwert das Timing.

derStandard.at: Und was lernt man daraus?

Mader: Man trainiert mit Ohropax, um diese Situation zu simulieren.

derStandard.at: Bringen Sie Österreich die ersehnte Medaille aus London zurück?

Mader: Ich muss das erste Match überstehen, dann ist alles möglich. Leider fehlen in Österreich die Trainingspartnerinnen auf Olympia-Niveau. 

derStandard.at: Kann man nicht einfach eine gute gehende Tischtennisspielerin in einen Rollstuhl setzen?

Mader: Unser Nationalcoach setzt sich auch in den Rollstuhl. Die Bewegungen sind aber einfach anders. Ich erkenne bei Rollstuhlfahrern den Schlag später.

derStandard.at: Sie haben als gehendes Kind mit dem Sport begonnen. Wie hat sich die Veränderung in Ihrem Leben abgezeichnet?

Mader: Meine Beine wurden immer langsamer. Der Trainer schrie: "Mach den Sidestep!" Und ich habe geantwortet: "Ich will, aber es kommt in den Füßen nicht an." Damals war ich 14 Jahre alt.

derStandard.at: Wie ging es weiter?

Mader: Ich war bei hunderttausend Ärzten. Aber der Tumor war auch in der Magnetresonanz nicht zu sehen. Als er letztendlich sichtbar wurde, war er schon sehr groß. Nach der Operation war der Rollstuhl da.

derStandard.at: Wie schnell konnten Sie sich auf diese neue Situation einstellen?

Mader: Ich war schon als Gehende in der Rehabilitation am Weißen Hof, damals nach der Entfernung einer Zyste. Ich habe gesehen, was Rollstuhlfahrer alles leisten können, das hat mir sicher geholfen.

derStandard.at: Gab es da eine Art Schlüsselerlebnis?

Mader: Ich habe mir das Zimmer mit einer Rollstuhlfahrerin geteilt, die sich völlig hängen ließ, die frustriert und depressiv war. Sie wollte nicht außer Haus gehen, weil es ihr peinlich war. Sie schrie ihre eigenen Kinder an, weil die mit ihrem Rollstuhl spielten. Dabei ist der für Kinder doch cool. Er hat Räder und rollt wie ein Auto. Ich habe mir geschworen, niemals in ein solches Loch zu fallen, sollte mir Ähnliches passieren.

derStandard.at: Und dann ist es wirklich passiert. Haben Sie daran gedacht, mit Tischtennis aufzuhören?

Mader: Tischtennis gehört am Weißen Hof zur Therapie, um die eigene Beweglichkeit zu verbessern. So bin ich nahtlos in das Rollstuhl-Tischtennis hineingerutscht. Man muss die Technik natürlich etwas anpassen, das braucht seine Zeit.

derStandard.at: Haben sich durch die Behinderung auch Türen geöffnet?

Mader: Neue Türen, neue Perspektiven. Der Leistungssport ist jetzt noch wichtiger für mein körperliches Wohlbefinden. Das Ganze ist - und das klingt vielleicht komisch - nicht negativ behaftet. Man muss aus jeder Situation das Beste machen. Durchbeißen oder aufgeben. Der Kampfgeist war immer in mir.

derStandard.at: Waren Sie niemals geknickt?

Mader: Doch. Als ich mir einmal beim Basketball den Finger verstaucht habe, da ging alles schwieriger. Die Leute haben mich gefragt, ob ich jetzt völlig bescheuert wäre. Sitzt im Rollstuhl und jammert wegen einem Finger. (lacht) Aber durch diese schmerzende Verletzung fühlte ich mich wirklich behindert.

derStandard.at: Und nicht durch den Rollstuhl?

Mader: Mit dem komme ich immer von A nach B. Es ist fast alles möglich, es ist nur ein bisschen anders und komplizierter. Man muss als Rollstuhlfahrer locker bleiben, dann macht man es auch für sein Umfeld einfacher.

derStandard.at: Sie halten auch Vorträge vor Kindern, wie reagieren die?

Mader: Das ist sehr spannend. Kinder sind sehr offen, interessiert und haben keine Berührungsängste. Da kommen Fragen à la "Wie ziehst du eigentlich deine Hose an?". Das würde sich ein Erwachsener kaum trauen.

derStandard.at: Wie ziehen Sie eigentlich Ihre Hose an?

Mader: Ich muss gleichzeitig den Hosenbund und den Rollstuhl halten und dann hochstützen und so gleichzeitig die Hose hochziehen. Klingt kompliziert, ist es manchmal auch!

derStandard.at: Sind wir einfach zu verkrampft im Umgang mit Behinderten?

Mader: Wenn Kinder auf der Straße fragen, warum ich im Rollstuhl sitze, sagen die Eltern: "Das fragt man nicht!" Oder sie sagen: "Schau nicht so hin!" Aber Kinder interessiert das doch. Man sollte offener damit umgehen und Behinderungen den Kindern unverkrampft als "normal" vermitteln.

derStandard.at: Vermutlich wollen viele nicht hinschauen, um eben die Normalität zu wahren.

Mader: Es gibt einen Unterschied zwischen sensationsgeilem Starren und interessiertem Hinschauen. Manche fragen mich auf der Straße, wie ich meinen Rollstuhl ins Auto kriege. Ich zeige es ihnen, damit habe ich kein Problem.

derStandard.at: Wie lange haben Sie gebraucht, um all diese neuen Handgriffe wie "Rollstuhlverstauen" zu optimieren?

Mader: Am Weißen Hof lernt man recht schnell. Aber dort ist natürlich alles perfekt ausgerichtet. Am Fliesenboden rollt man ganz leicht, die Bäder und WCs sind optimal groß, das Umfeld ist geschult. Man lebt in einer optimierten Welt, das ist für den Anfang sehr wichtig. In der freien Wildbahn sieht es aber gleich anders aus.

derStandard.at: Wo liegen die größten Schwierigkeiten?

Mader: Ich habe damals im 17. Bezirk gewohnt, dort gab es viel Kopfsteinpflaster. Man steht auch vor Türen mit zu hohen Klinken, Stufen an allen Ecken und Enden. Das kann man aber mit Hilfe von Leuten überwinden. Man fragt einfach: "Tschuldigung, können Sie mir helfen?" Man darf auf keinen Fall schüchtern sein, dann geht das schon.

derStandard.at: Und das größte Ärgernis?

Mader: Die zugeparkten Behindertenparkplätze. Ich ärgere mich grün und blau. Ich brauche den Parkplatz nämlich nicht, weil er so schön nahe beim Eingang ist, wie viele glauben, sondern weil er breiter ist, um seitlich den Rollstuhl auszuladen. Ich habe schon erlebt, dass sich ein Motorradfahrer neben mir auf den Parkplatz gestellt hat. Schreiben Sie das bitte, das ist mir ein echtes Anliegen. (Philip Bauer, derStandard.at, 22.8.2012)