Viel ist in den vergangenen Wochen (wieder einmal) über den Linux-Desktop und dessen ausbleibenden Erfolg am Massenmarkt gesprochen - oder besser: gestritten - worden. Gerade über die Ursachen für diesen Umstand herrscht in der Community alles andere als Einigkeit. Während manche im Fehlen einer stabilen Anwendungsplattform das entscheidende Defizit ausgemacht haben wollen, geben andere aktuellen Desktop-Konzepten wie GNOME3 oder Ubuntus Unity die Schuld.
Krise?
Gerade für das GNOME-Projekt stellt sich die Situation derzeit alles andere als leicht dar: Nicht nur, dass die Kritik an GNOME3 nicht so recht verstummen will - eher das Gegenteil ist der Fall - geht der einst wichtigste Partner Ubuntu mittlerweile eigene Wege. Zudem sieht man sich mit einer Reihe von GNOME2- und GNOME3-Abspaltungen konfrontiert, und als ob das nicht schon genug wäre, hat vor einigen Wochen dann auch noch ein Projekt-Insider eine handfeste Krise des neben KDE jahrelang am meisten genutzten Linux-Desktops attestiert - eine Einschätzung, der das Gros der GNOME-EntwicklerInnen allerdings ganz und gar nicht zustimmen will.
GNOME 3.6
Ein schwieriges Umfeld, in dem man nun versucht auf jenem Weg, den man am besten beherrscht, ein Zeichen zu setzen: Mit der Veröffentlichung einer neuen Generation der eigenen Software: GNOME 3.6 folgt im gewohnten sechsmonatigen Abstand dem im Frühjahr freigegeben GNOME 3.4, und steht ab sofort in Form des Source Codes der Einzelkomponenten von der Seite des Projekts zum Download. Mit dabei eine Fülle an neuen Funktionen und Verbesserungen am Bestehenden, die in Folge etwas näher betrachtet werden sollen.
GNOME Shell
Den Kern von GNOME3 bildet bekanntlich die GNOME Shell, die für Panel, Anwendungsstart und die grundlegend Desktop-Interaktion zuständig ist. Nach einem etwas ruhigeren GNOME-3.4-Zyklus gibt es mit dem aktuellen Update wieder größere Änderungen für die "Shell" zu berichten: So ist der Mechanismus zur Bildschirmsperre nun direkt in die GNOME Shell übernommen worden, wodurch der alte GNOME Screensaver obsolet geworden ist. In diesem Zuge wurde der "Lock Screen" auch gleich grafisch neu gestaltet und mit frischen Funktionen angereichert.
Gesperrt
Ist der Bildschirm gesperrt, werden zunächst lediglich Datum und Uhrzeit sowie ein reduziertes Panel dargestellt, konzeptionell ist dies als eine Art "Vorhang" gedacht, der vor den Desktop gezogen wird. Zur Passworteingabe kommt man entsprechend erst nachdem dieser "Vorhang" per Maus nach oben gezogen wird, unerfahrene NutzerInnen weist man mit einer Pfeilanimation auf diesen Umstand hin. Zudem hebt sich der Vorhang bei jeder Tasteneingabe leicht an, was ebenfalls als visueller Hinweis gedacht ist.
Pro und Contra
Das Ganze ist optisch durchaus gelungen umgesetzt, umgekehrt ist allerdings nicht zu verleugnen, dass dadurch vor dem Eintippen des Passworts eine zusätzliche Aktion nötig geworden ist. Dafür dass dies mit der Zeit dann aber trotzdem kaum negativ ins Gewicht fällt, sorgt, dass sich der "Vorhang" auch auf zwei andere Weisen "lüften" lässt: Ein kurzer Druck auf die "Esc"- oder "Return"-Taste führt ebenso direkt zur Passworteingabe wie eine kurze Drehung des Mausrads nach "oben".
Nachrichten
Die Neugestaltung des Lock-Screens bringt aber auch neue Funktionen mit sich: Wer will kann hier nun Desktop-Benachrichtigungen anzeigen lassen, wie man es von manchen mobilen Betriebssystemen gewohnt ist. Um die Privatsphäre der NutzerInnen zu wahren, ist diese Funktion optional, muss also bei Wunsch erst über die Systemeinstellungen aktiviert werden. Das bereits erwähnte reduzierte Panel beherbergt einen kombinierten Eintrag für Lautstärke, Netzwerk und Akkustand, womit beispielsweise auch ohne eingeloggt zu sein, laufende Musik leiser oder lautlos gedreht werden kann.
Ziele
Aus einer technischen Perspektive verfolgt der neue Lock-Screen vor allem zwei Ziele: Einerseits die Vereinheitlichung mit dem Login-Bildschirm, der entsprechend grafisch ebenfalls gleich angepasst wurden. Andererseits birgt eine solch zentrale Implementation aber auch Privacy-Vorteile: Während es bei der bisherigen Umsetzung als externe Komponente gerade beim Aufwachen aus dem Schlafzustand schon mal dazu kommen konnte, das noch vor der Passwortabfrage kurz ein Blick auf den Desktop erspäht werden konnte, sollte dies nun nicht mehr passieren. Zumindest theoretisch: In der täglichen Nutzung zeigte sich ab und zu noch ein kleiner Bug bei der konkreten Implementation.
Message Tray
Die zweite große Neuerung der GNOME Shell 3.6 ist die Umgestaltung des Benachrichtigungsbereichs, mit der man auf die Kritik der NutzerInnen an der ursprünglichen Umsetzung reagiert. Der neue "Message Tray" (in dem verpasste Benachrichtigungen nachgelesen werden können, Anm.) setzt auf wesentlich größere Icons, die dafür aber nun fix positioniert sind, sich also nicht mehr unter dem Mauszeiger herumbewegen. Auch sonst ist die Umsetzung optisch anders gestaltet, einmal aufgerufen wird der restliche Bildschirm leicht abgedunkelt und nach oben geschoben. Es gibt einen dezidierten Schließknopf für Benachrichtigungen, bei Instant-Messenger-Nachrichten wird direkt der aktuelle Online-Status des Gegenübers dargestellt.
Aufruf
Aufgerufen wird der Benachrichtigungsbereich nicht länger über eine "Hot Corner" rechts untern sondern wahlweise mit der Tastenkombination Super+M oder indem der Mauszeiger ein zeitlang an den unteren Bildschirmrand bewegt wird. Mit dieser Änderung will man eigentlich das unabsichtliche Öffnen des "Message Trays" verhindern, über das NutzerInnen immer wieder geklagt haben. In der aktuellen Implementation gelingt dies aber nur begrenzt, wie der Test zeigt. Das Problem: Gerade bei Schreibarbeiten bewegt sich das Geschehen oft am unteren Bildschirmrand. Beim raschen Wechsel zwischen Tastatur und Maus landet der Zeiger schnell mal unbeabsichtigt ganz unten - was unweigerlich den Message Tray auslöst und den Schreibfluss abrupt unterbricht, da dabei der Fokus auf die aktuellste Benachrichtung wechselt. Umgekehrt sorgt das Timeout des neuen Mechanismus dafür, dass es eine gewisse Verzögerung gibt, wenn man den Benachrichtigungsbereich einmal beabsichtigt aufrufen will - nichts für ungeduldige Naturen.
Ausblick
Alles Tücken, die allerdings mit der nächsten Ausbaustufe der Software behoben werden sollen: Für diese ist nämlich geplant, den Message Tray nur dann zu öffnen, wenn der Mauszeiger mit etwas "Nachdruck" gegen den Rand des Bildschirms geschoben wird. Um dies möglich zu machen braucht es Änderungen am Grafikserver, die erst mit dem kommenden xorg-server 1.14 Einzug halten sollen - womit auch erklärt wäre, warum diese Funktion nicht schon in GNOME 3.6 enthalten ist.
Überblick
Ebenfalls neu ist der "Modeless Overview" der GNOME-Shell: Die gewohnten "Tabs" zum Wechsel zwischen Anwendungs- und Fensteransicht im "Activities Overview" wurden entfernt, statt dessen gibt es jetzt einen kombinierten Knopf als untersten Eintrag im Icon-Dash / Schnellstarter am linken Bildschirmrand. Dadurch wirkt der Overview etwas aufgeräumter, das Suchfeld kann zudem nun größer dargestellt werden und wandert in die Mitte.
Shutdown!
Das "User Menu" des Panels wurde ebenfalls umgekrempelt, auch dies als direkte Reaktion auf die Kritik vieler NutzerInnen. Die wohl wichtigste Änderung dabei: Der "Power Off"-Eintrag wird mit GNOME 3.6 wieder von Haus aus dargestellt. Bisher war dieser hinter dem Suspend-Eintrag versteckt, wurde erst angezeigt, wenn die Alt-Taste gedrückt wurde. Diesen Mechanismus hat man nun exakt umgedreht. Auch sonst wurde das User-Menü aufgeräumt, der Link auf die Online-Account-Einstellungen wurde entfernt (diese sind ohnehin in den Systemeinstellungen zu finden), zudem werden "Switch User" und "Logout" jetzt nur mehr bei jenen Rechnern dargestellt, bei denen mehr als eine Nutzerin und/oder Session (also etwa Xfce, KDE zusätzlich zu GNOME3) vorhanden sind.
Vermischtes
Zu den vermischten Verbesserungen der GNOME Shell 3.6 gehört, dass in der Vollbildschirmansicht ausschließlich kritische Benachrichtigungen eingeblendet werden. Das Netzwerkmenü ist jetzt nach Signalstärke sortiert, bei VPN-Verbindungen über WLAN werden beide betreffenden Icons dargestellt, damit die Information über die Verbindungsqualität nicht verloren gehen. Dazu kommt diverser Feinschliff am Styling, etwa an den Dialogen, den Benachrichtungen und dem Mini-Kalender im Panel. Entfernt wurde hingegen die "Open Search"-Unterstützung mit der über die GNOME Shell eine Suche auf Google oder Wikipedia initiiert werden konnte. Kein wirklicher Verlust, wurde dies doch wohl ohnehin zumeist unabsichtlich aufgerufen, und fand nie so recht einen Platz im restlichen Konzept des Desktops.
Nautilus wird "Files"
Noch umfangreicher als bei der Shell sind die Umbauten beim Dateimanager Nautilus verlaufen, bei dem man praktisch keinen Stein auf dem anderen gelassen hat. Ziel war es die Anwendung nach den GNOME3-Design-Prinzipien umzubauen, Veraltetes wegzuschmeißen, um für Neues Platz zu machen, wie der dafür zuständiger Designer William Jon McCann unlängst in einem Interview mit dem WebStandard erläuterte. Das Resultat dieser Bemühungen heißt nun schlicht "Files" und hatte schon im Verlaufe der Entwicklung für heftige Kontroversen - und einen Fork in Form von "Nemo" - gesorgt.
Zusammengestrichen...
Die Kritik: GNOME würde sich einmal mehr im sinnlosen Streichen von Funktionen betätigen. Und tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass mit Files 3.6 so manch altbekanntes Feature gestrichen wurde: So gibt es etwa keine alternativen Ansichten mehr für den Sidebar, die Baumansicht ist ebenso verschwunden wie eine separate "kompakte" Darstellung von Icons oder die "Split View" (eigentlich "Extra Pane"). Vor allem Letzteres hatte für Entrüstung gesorgt, war dieses Feature doch erst vor einigen Versionen hinzugekommen, und vor allem von Power-UserInnen gerne genutzt. Von Seiten der EntwicklerInnen betont man, dass man ohnehin mit dem Desktop-weiten "Window-Tiling" ein ähnliches Setup erstellen kann. Ein vollständiger Ersatz für die "Split View" ist dies allerdings nicht, insofern ist die Kritik zumindest in diesem Punkt durchaus nachvollziehbar.
...oder ausgebaut?
Was in der Diskussion über das vorgeworfene, notorische Entfernen von Features allerdings nur all zu leicht übersehen wird: Files 3.6 bringt darüber hinaus eine Vielzahl von tatsächlichen Verbesserungen und neuen Features. Die Oberfläche der Anwendung wurde vollständig umgekrempelt, präsentiert sich in Folge nun wesentlich übersichtlicher und schlanker. So gibt es etwa keine Menüzeile mehr, die entsprechende Funktionalität wurde in das App-Menü im Panel bzw. zwei Menüknöpfe in der Navigationszeile aufgeteilt. Dort finden sich nun auch Buttons mit denen schnell zwischen Listen- und Icon-Ansicht gewechselt werden kann. In der neuen Version werden durchgängig "symbolische" Icons verwendet, am deutlichsten zeigt sich dies beim Sidebar, auch wurde das Aussehen der Navigation angepasst. Und beim Maximieren der Anwendung wird die Titelzeile ausgeblendet, was zusätzlichen Platz für die tatsächlich relevanten Inhalte bietet.
Recent Files und Suche
Neu hinzugekommen ist eine Ansicht der zuletzt benutzten Dateien, hier werkt im Hintergrund die Desktop-Suche Tracker. Apropos: Die Suchfunktion von Files wurde mit der neuen Version massiv verbessert. Sie wird nun - wie bei anderen GNOME3-Anwendungen auch - direkt beim Lostippen aufgerufen, und kann dabei wahlweise nur das aktuelle Verzeichnis oder die gesamte Platte durchstöbern. Zudem dient der Nautilus nun auch als "Search Provider" für die GNOME Shell. Das heißt: All die von Tracker indizierten, lokalen Dateien sind auf diesem Weg nun direkt über die Suche der Shell auffindbar. Bislang wurden in der Shell lediglich die von "Documents" identifizierten Dateien angezeigt - was allerdings nur einen Bruchteil aller auf der Platte befindlichen Dateien darstellt. Eine sehr erfreuliche Verbesserung also, einziger Wehrmutstropfen dabei: Für manche Dateien werden jetzt zwei Ergebnisse geliefert, also sowohl von "Documents" als auch von "Files". In einer späteren Version sollen diese Duplikate dann ausgefiltert werden - immerhin sind noch mehr Spezialanwendungen a la "Documents" geplant, etwa "Photos" oder "Music", die dann jeweils Vorrang genießen sollen.
Dateimanagement
Es gibt jetzt einen "Copy to" / "Move to"-Eintrag im Kontextmenü, über den ausgewählte Dateien mithilfe eines Dateiauswahldialogs gezielt an einen neuen Platz verschoben / kopiert werden können. Bei Bildern wird im Kontextmenü nun ein Eintrag gelistet, um diese zum Wallpaper zu machen, Tabs lassen sich per Drag&Drop aus dem Originalfenster "herauslösen". Mehrere ausgewählte Dateien können per Kontextmenü in ein gemeinsames neues Unterverzeichnis verfrachtet werden, der "Connect to Server"-Dialog wurde ebenfalls neu (sprich: "schlanker") gestaltet. Ob allen die gar spartanische Reduktion auf das Eintippen entsprechender URLs gefällt, sei allerdings dahin gestellt.
Einschätzung
Und nicht zuletzt: Mit der neuen Version wurden mehr als 800 Bugs geschlossen (und damit fast die Hälfte aller offenen Bug Reports), darunter auch zahlreiche lang stehende, konkrete Verbesserungswünsche der Community. Angesichts all des Gesagten empfiehlt sich dem neuen Nautilus zumindest mal ein paar Tage lang eine Chance zu geben. Und allen die sich dann noch immer nicht so recht mit dem umgestalteten Dateimanager anfreunden können, bleibt die Erkenntnis, dass es sich dabei nur um eine simple Einzelanwendung handelt (und nicht mehr um eine unerlässliche Kernkomponente des Desktops), die rasch ausgetauscht werden kann. Zudem betonen die GNOME-EntwicklerInnen, dass für die kommende Version weitere Optimierungen an Nautilus / Files vorgenommen werden sollen.
Control Center
Kommen wir zu den Systemeinstellungen: Dessen Übersicht wurde in einigen Punkten angepasst, es gibt jetzt größere Icons und eine klarere Kategorientrennung - übrigens alles Verbesserung die von Ubuntu übernommen wurden. Ebenfalls von Canonical stammen Umbauten am Sound-Einstellungstool, die den bisherigen Hardware-Tab nicht mehr nötig machen. Der Dialog für die Wahl des Bildschirmhintergrunds wurde ebenso grundlegend neu gestaltet wie die Einstellungen für Maus und Touchpads - für letztere gibt es nun Optionen für "Natural Scrolling" und die Möglichkeit ein Zwei-Finger-Geste zum Scrollen zu nutzen. Die Druckeinstellungen bieten mit der neuen Version die Möglichkeit diverse erweiterte Optionen zentral festzulegen, etwas wofür bislang externe Tools bemüht werden mussten. Auch der Dialog zum Einrichten eines neuen Druckers wurde umgestaltet. Die WLAN-Einstellungen wurden ebenfalls umgebaut, dies mit dem Ziel mehr Netzwerke auf einmal im Blickfeld zu haben, aber auch um die Modifikation der Einstellungen für gerade nicht in Reichweite befindliche Access Points zu erleichtern.
Aufnahme
Mit GNOME 3.6 werden einige bisher nur extern verfügbare Funktionalitäten direkt in den Desktop integriert: Allen voran die Unterstützung für unterschiedliche Eingabemethoden (etwa für japanische/chinesische Schriftzeichen) via IBus. Diese lassen sich zunächst über einen neuen Tab namens "Input Sources" in den Spracheinstellungen konfigurieren, später über einen eigenen Eintrag im Panel schnell wechseln bzw. im Bedarfsfall in Texteingabefeldern aufrufen. Vor allem für den Enterprise-Bereich wichtig: Über die Online-Accounts können mit der neuen Version Kerberos/Active-Directory-Anmeldungen eingerichtet werden. Apropos Online-Accounts: Hier können nun auch zentral Exchange-Accounts für den Desktop autorisiert werden, was dann etwa vom Mail-Client Evolution automatisch genutzt wird. Zudem wurde die Autorisierung bei Google, Facebook und Microsoft erleichtert, da hier nun jeweils die mobilen Webseiten eingebettet werden.
Umbauten
Der Evolution verwendet mit der Version 3.6 Webkit statt der Eigenlösung gtkhtml für die Darstellung von HTML-Mails. In der kommenden Version soll Webkit dann auch für die Nachrichtenerstellung verwendet werden, gtkhtml endgültig in die schon längerem anvisierte Software-Pension geschickt werden. Der Bereich des Account-Managements wurde vollständig neu geschrieben, die entsprechenden Einstellungen werden nun nicht länger in GConf gespeichert, sondern liegen zentral bei den anderen Evolution-Daten, was nicht zuletzt das Backup erleichtern soll.
Speed Dial
Beim Browser Epiphany/Web gibt es die Anfänge der neuen "Overview"-Ansicht für neue Tabs zu vermelden. Derzeit präsentiert sich dies als eine Art Speed Dial, wie es auch von anderen Browsern her bekannt ist. Zu den weiteren Neuerungen gehört die Unterstützung für die Privacy-Einstellung "Do not track", die Anfänge einer Webkit2-Portierung und ein verbessertes Interface im Fullscreen-Modus. Darüber hinaus werden jetzt automatisch die zuletzt geschlossenen Seiten wiederhergestellt, und wer es gern besonders schlank hat, kann die Tab-Darstellung vollständig deaktivieren.
Dokumente
Die GNOME Documents, die sowohl lokale als auch in der Cloud abgelagerte Dokumente zentral zusammenführen, haben eine Anbindung an Microsofts SkyDrive spendiert bekommen. Dazu kommt viel Feinschliff an der Oberfläche wie etwa die Einführung von Menü- und Suchknöpfen in der Vorschau. Dort funktioniert außerdem jetzt "Find as you type", für eine Suche kann also einfach drauflosgetippt werden. Ebenfalls neu ist der Support für Google Drawings.
Virtualisierung
Bei GNOME Boxes wurde vor allem viel "unter der Haube" gearbeitet, was sich nicht zuletzt positiv auf Performance und Stabilität der bewusst simpel gehaltenen Lösung für Virtualisierungaufgaben auswirken soll. Zudem können nun Einstellungen für Speicher, Diskplatz und Co. einer virtuellen Maschine schon vor dem ersten Start festgelegt werden. Die Express-Installation wurde auf weitere Gastsysteme ausgedehnt, für Windows lassen sich zudem zusätzliche Images mit Extra-Treibern einbinden. Virtuelle Maschinen können jetzt nachträglich umbenannt werden, und es gibt ein integrierte Suchfunktion - nützlich für alle, die hier besonders viele Systeme konfiguriert haben. Besonders nett: Diese Suchinformationen werden an die GNOME Shell weitergereicht, wer will kann einzelne virtuelle Maschinen also direkt über die Shell-Suche aufspüren und gleich starten.
Disks
Das GNOME Disk Utility hat ein eigenes Tool zum Einbinden von Disk-Images spendiert bekommen, das auch separat aufgerufen werden kann. Auf Wunsch der UserInnen gibt es die Rückkehr des Benchmark-Dialogs, in Kombination mit Änderungen an Udisks ist es jetzt möglich USB-Sticks fix an einen "Seat" zu binden, so dass er für anderer Sitzungen am selben Rechner nicht sichtbar ist. Beim sicheren Löschen von Datenträgern nutzt "Disks" die neuen "Inhibitor"-Funktionen des Boot-Systems Systemd. Diese sind dazu gedacht Abschalten oder "Einschlafen" des Systems während kritischer Funktionen (also bei denen es durch abruptes Beenden zu Beschädigungen kommen kann, Anm.) zu unterbinden.
Misc
Der GNOME Font Viewer wurde ebenso vollständig neu gestaltet wie Baobab, das Tool zum Analysieren des Speicherplatzverbrauchs auf der Festplatte. Baobab wurde in diesem Zuge gleich vollständig neu geschrieben, wovon nicht zuletzt die Performance profitieren soll. Die GNOME Contacts können mit der Version 3.6 neue Avatare per Webcam aufnehmen und hinzufügen. Der Instant Messenger Empathy hat eine vollkommen neu gestaltete Kontaktliste spendiert bekommen, und folgt dem Trend, statt der bisherigen Menüzeile ein App-Menü zu verwenden. Zudem werden die Kontakte hier nun nach ihrer Relevanz sortiert, um diese Reihung vorzunehmen, bedient man sich des Zeitgeist-Frameworks - das es somit nach mehrfacher Ablehnung in der Vergangenheit auf diesem Weg doch noch in den Desktop geschafft hat. Der dconf-editor für all die kleinen, versteckten Einstellungsoptionen bietet nun eine Suchfunktion, diverse Umbauten am Interface gab es beim Archiv-Manager File Roller und bei der Webcam-Anwendung Cheese. Unter dem GNOME Keyring arbeitet jetzt die neue libsecret, eine Implementation des desktopübergreifenden Secret Service API.
Clocks
Noch nicht ganz fertig ist "Clocks", entsprechend legt man darauf Wert, dass die neue GNOME-Komponente derzeit nur als "Preview" enthalten ist. Wie der Name eigentlich schon verrät, handelt es sich dabei um ein Tool zur Anzeige der Zeit in mehreren Zeitzonen / Regionen der Welt, wobei auch gleich Zusatzinformationen wie Sonnenaufgangs- und -untergangszeiten geboten werden. Zudem beinhaltet "Clocks" eine Stoppuhr, eine Alarmfunktion und einen Timer.
Übergreifend
Alle Anwendungen profitieren von weiteren Verfeinerungen am Desktop-Theming, die durch den Ausbau des CSS-Supports im Toolkit GTK+ möglich wurden. Auffällig ist zudem die neue Art "modale" Dialoge darzustellen: Wird nun beispielsweise ein Dateiauswahldialog geöffnet, wird das zugehörige Programm im Hintergrund deutlich abgedunkelt dargestellt, um zu symbolisieren, dass dieses gerade nicht zur Verfügung steht. Für eine bessere Einpassung älterer Anwendungen in den allgemeinen Desktop-Look sorgt, dass man in Form von Bridge ein neues GTK+2-Theme integriert hat, welches versucht das Aussehen des GNOME3-Themes Adwaita so gut wie möglich nachzuempfinden. Der Vereinheitlichung zuträglich ist zudem, dass die meisten Anwendungen nun zumindest ein einfaches "App Menü" bieten. Und natürlich gibt es auch wieder einen neuen Bildschirmhintergrund.
Barrierefreiheit
GNOME 3.6 stellt darüber hinaus einen großen Schritt für den Bereich Barrierefreiheit dar, sind all diese Funktionen nun nämlich erstmals von Haus aus aktiviert, stehen also umgehend zur Verfügung. Dazu passend wurden gleich die entsprechenden Einstellungen umgearbeitet und erweitert. So können etwa bei der Zoom-Funktion ab sofort diverse zusätzliche Effekte wie das Erhöhen des Kontrasts oder das Invertieren der Farben festgelegt werden. Allgemein wurden Icons und Themes für die verschiedenen Barrierfreiheits-Modi signifikant erweitert.
Frühjahrsputz
Neben all dem Erwähnten gab es noch eine Fülle von weniger sichtbaren Verbesserungen: Dazu gehört etwa, dass nun die meisten GNOME-Anwendungen den XDG-Standard zum Speichern von Einstellungsdateien, Cache und lokalen Daten einhalten. Für die NutzerInnen heißt dies, dass das Home-Directory künftig "aufgeräumter" wird, weniger versteckte Dateien im Hauptverzeichnis herumlungern und klarer ist, welche Dateien problemlos gelöscht werden können - und welche eben nicht. Diese Initiative geht übrigens über GNOME-Anwendungen hinaus, aktuell wurde etwa selbst die Versionsverwaltungssoftware Git entsprechend angepasst.
Multimedial
Zudem wurden alle Programme auf GStreamer 1.0 und damit auf die neue Generation des Multimedia-Frameworks portiert. Das aktuelle Konfigurationssystem Dconf wurde in Teilen umgeschrieben, um die Grundlage für künftige Verbesserungen zu legen. Für die Anwendungen ändert sich dadurch allerdings nichts, da hier die Kompatibilität gewahrt wurde.
Fazit
Bleibt zum Schluss die Erkenntnis: Wenn GNOME 3.6 stellvertretend für ein "Projekt in einer tiefen Krise" steht, dann wünscht man sich fast schon mehr Existenzkrisen in der freien Softwarewelt. Allein der Umfang der Neuerungen ist für den kurzen Zeitrahmen seit der Veröffentlichung von GNOME 3.4 wirklich beeindruckend. Klar gibt es in dieser Release auch wieder die eine oder andere kontroverse Änderung - allen voran am Dateimanager - gleichzeitig ist aber unverkennbar, dass es eine einheitliche Vision gibt, an deren Umsetzung konsequent gearbeitet wird.
Ausblick
Und auf diesem Weg verspricht auch der nächste Releasezyklus wieder viel Neues: So wird derzeit bereits mit GNOME Photos und GNOME Calendar an zwei neuen Kernanwendungen gearbeitet, der Videoplayer Totem soll ebenfalls grundlegend umgestaltet werden. Für ordentlichen Gesprächsstoff wird zudem die anvisierte Entscheidung über die weitere Zukunft des "Fallback"-Modus sorgen. Dieser soll entweder besser gewartet - oder lieber gleich ganz fallen gelassen werden. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 26.09.12)
tl;dr: GNOME 3.6 bringt eine beeindruckende Fülle von Neuerungen, viele davon tatsächliche Verbesserungen, es sind aber auch wieder einige kontroverse Änderungen mit dabei, die nicht überall für Begeisterung sorgen werden.