Von der Entwicklung zum Neutralitätsgesetz bis zum EU-Beitritt kann Österreich ein Modell für die Ukraine sein. Warum? Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Österreich von den westlichen Siegermächten und im Osten von der Sowjetunion besetzt. Es bestand die Gefahr einer Teilung wie in Deutschland. Österreich verzichtete 1955 mit dem Neutralitätsgesetz darauf, einem Militärbündnis beizutreten, und versprach, keine militärischen Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Territorium zuzulassen. Österreich behielt seine Einheit. Mit Österreichs Neutralität war aber keine ideologische Äquidistanz zwischen dem Westen und dem Osten verbunden. Österreich übernahm schnell die Werte des Westens, was letztlich die Möglichkeit der EU-Mitgliedschaft eröffnete. Die Sowjetunion war aber dadurch zufriedengestellt, dass Österreich nicht der Nato beitreten würde.

Dieses Modell ist für die Ukraine interessant. Mit Bekenntnissen von Politikern der EU und der Nato, dass ein Beitritt der Ukraine zur Nato nicht auf der Tagesordnung steht, wird sich Russland wohl kaum zufriedengeben, mit einer völkerrechtlichen Garantie wahrscheinlich schon. Die Nachbarschaftspolitik der EU war angetreten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und liberale Marktwirtschaft in geografischer Nähe der EU zu fördern. Das ist für die Ukraine durchaus anstrebenswert.

Die Betonung der EU, dass man aber Russland einbeziehen muss, müsste mit etwas Konkretem verbunden werden. Ein derartiges Angebot kann lauten: ein Vertrag, in dem der Beitritt zu einem Militärbündnis ausgeschlossen wird. In Österreich wurden in dem vom Neutralitätsgesetz formal unabhängigen Staatsvertrag 1955, der auch das Anschlussverbot an Deutschland enthält, Fragen der Minderheitenrechte und gewisse militärische Beschränkungen geregelt. Ähnlich müssten in einem bilateralen Staatsvertrag zwischen der Ukraine und Russland dann die Minderheitenrechte und der Status der Krim mit den darauf befindlichen militärischen russischen Anlagen geregelt werden. Eine Vereinigung mit Russland müsste ausgeschlossen werden.

Kein Gegensatz

Eine marktwirtschaftlich orientierte und demokratische Ukraine wird auch die vielzitierten europäischen Werte akzeptieren. Diese müssen aber nicht notwendigerweise im Gegensatz zu Russland stehen. Den Kommunismus gibt es nicht mehr, und Russland ist den Prinzipien der OSZE zumindest formal verpflichtet. Wirtschaftlich kann eine entwickelte Marktwirtschaft in der Ukraine für Russland durchaus von Vorteil sein. Wirtschaftshilfe der EU und der USA im Sinne eines Marshall-Planes werden aber als Basis notwendig sein. Die Teile im Osten müssten, wie damals in Österreich, miteinbezogen werden.

Die Kombination von Neutralität und Marshall-Plan war für Österreich eine Erfolgsgeschichte. Das österreichische Neutralitätsgesetz war der Beginn der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Die Ukraine sollte sich dieses Modell ansehen. (Heinz Gärtner, DER STANDARD, 4.3.2014)