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Gleichgültig, ob ich versuche, Konsumenten zum Kauf von mehr Marken oder meine Kinder zum Kauf von weniger Marken zu bewegen – immer stellt sich mir die Kantsche Grundsatzfrage: "Was soll ich tun?" Führen oder verführen? Einpeitschen oder einflüstern? Diktatur oder Demokratie? Die salomonische Antwort: "Beides!" Also: "Diktokratie" – ein Unwort, aber mit Zukunft. Das lässt sich bestens am Beispiel der Markenführung betrachten.

1 Markenführung muss demokratisch sein: Verbraucher wissen, was sie wollen, und besitzen eine Macht, die nicht ignoriert, sondern aktiviert werden sollte. Verbraucher können wählen: Unter dem Damoklesschwert der Aldisierung verlieren schwache Marken zugunsten von Handelsmarken. Verbraucher können werten: Durch Stiftung Warentest oder durch die globale Mundpropaganda über ciao.com werden sie darin zunehmend unterstützt. Verbraucher können handeln: Ungeliebte Markenprodukte werden kreativ neu genutzt oder auch boykottiert.

So wird das tragbare Heimtelefon ohne Aus-Knopf nachts im Ofen ruhig gestellt oder der Gabelstapler von der falschen Marke mit einem Kugelschreiber im Tank vom Fahrer lahm gelegt. Mit dem Internet kommt eine globale Dimension des Austausches hinzu, ob über Amazon, ebay oder Napster. Verbraucher können gestalten: Linux ist wohl das beste Ergebnis der Kraft des selbstbewussten "Prosumenten".

2 Markenführung muss diktatorisch sein. Durch willfährige Bespaßung von König Kunde wird keine Marke mit Charakter geschaffen. Geliebt wird nicht der Abklatsch eigener Banalitäten, sondern der Abglanz fremder Träume. Marken müssen Stärke zeigen: Trotz katastrophalen Konsumklimas hielten Spitzenmarken zwischen '98 und '02 ihre Marktanteile. Und die Aktien der Top vier antizyklisch Werbetreibenden entwickelten sich überdurchschnittlich gut. Und – Markenführer müssen Stärke zeigen: Hätte man allein den Marktforschern geglaubt, so wäre das erste Faxgerät auch das letzte gewesen und McDonald's nie in Frankreich eingestiegen – jetzt ein Vorzeigemarkt. Manche Strategien lassen sich nicht durch die Überredung von vielen, sondern durch die Überzeugung eines Einzelnen durchsetzen. Denn nur das Vorleben schafft Identifikation, Mateschitz führt es täglich bei Red Bull vor, und Opel-CEO Peter Forster bringt es auf den Punkt: "Ich kann nicht zu meinen Mitarbeitern sagen, ich trau' mich nicht, traut ihr euch mal!"

3 Markenführung muss diktokratisch sein. Also, was tun? Globale Marken wie Vodafone oder Nokia, Adidas oder Puma beherrschen die Klaviatur der Diktokratie. Sie hören, was der Kunde will, finden heraus, was er wirklich braucht, und projizieren etwas, was er wünscht – dies setzen sie dann mit eiserner Disziplin über alle Funktionen und Märkte hinweg durch.

Sie schaffen es, die Kunden für die Marke zu mobilisieren und die Mitarbeiter im Dienste der Marke bis an die Grenzen des Machbaren zu treiben. Nur durch diesen Pendelprozess entstehen Marken, bei denen die vom Unternehmen gelebte und die vom Kunden erlebte Marke im Einklang sind.

Und das sind die Marken, die wirklich Wert schaffen. Was für die Markenführung gilt, ist auch in vielen anderen Lebensbereichen relevant.

Wir müssen uns trauen, mit Widersprüchen zu leben und aus diesen zu lernen: Führung und Freiheit. Peitsche und Zuckerbrot. Diktatur und Demokratie.

Immanuel Kant würde solch unklares Tun vermutlich ablehnen. Meine Kinder hingegen begrüßen es – schließlich bietet Diktokratie Zukunft.

Nachlese

->Goodbye Gurus?
->Wohlstand für viele Menschen
->Höchst gesunde Aussichten
->Die hohe Kunst des Ausruhens
->"...hominis est errare...
->Europas Zukunft sieht alt aus
->Sind Optionen keine Option?
->Brand It Like Beckham
->Jazz statt Symphonie
->Erfolg=Wissen mal Fähigkeiten
->Wozu braucht man Berater?
->Veränderungs-Dilemma
->Ein Plädoyer für Strategie
->Wenn Manager autistisch werden
->Sag mir, wo die Frauen sind ...
->Ich google – Sie auch?
->Die Demokratisierung des Luxus
->Abschied von der AG?
->Die Geheimnisse des Phoenix
->Siegen à la Alinghi
->Anleitung zum Glücklichsein
->Die Suche nach dem Mehr
->Lust auf Leistung
->Eine doppelte Melange
->Sei willkommen Krise?
->"Denk' ich an Deutschland..."
->Gegen die Endzeit-Stimmung