Le Châteaubriand, 129 avenue Parmentier, Paris 75011, Tel.: +33 1 01 43 57 46 95, nur Barzahlung.

Foto: M. Corti

Wenn am 18. April das neue Ranking der San Pellegrino World's 50 Best Restaurants bekanntgegeben wird, dann scheint die Aufregung wieder vorprogrammiert. So wie vergangenes Jahr, als die Jury - 800 Küchenchefs und Restaurantkritiker aus aller Welt - den Dänen René Redzepi mit seinem radikal regionalen Küchenstil aufs Podest hob (und damit den Molekularkünstler Ferran Adrià von ebendiesem stieß): Dort, wo Gott gemeinhin wohnt, war daraufhin der Teufel los.

Wobei die Empörung der Franzosen (wie auch zahlloser traditionsverhafteter Gourmets) sich gar nicht gegen den Neuen aus dem Norden wandte, als dagegen, dass das beste französische Restaurant erst an elfter Stelle gereiht war.

Und noch dazu ein mickriges Bistrot, wo das Menü um läppische 50 Euro verhökert wird und auf der Weinkarte nicht ein Grand Cru steht - dafür aber lauter höchst eigenwillige "Vins naturels" aus biologischer Bewirtschaftung und ohne oder fast ohne Schwefelbeigabe.

Die etablierten Großköche von Gagnaire bis Savoy fanden sich, wenn überhaupt, weiter hinten auf der Liste. Nun ist ein Ergebnis, dass einigen der bestetablierten und oft zu Recht gerühmten Drei-Sterne-Köche Frankreichs derart mit dem Hintern ins Gesicht fährt, ohne Zweifel als Provokation gemeint. Kann doch das Châteaubriand, trotz des fulminanten Talents von Küchenchef Iñaki Aizpitarte, unmöglich der Ort sein, wo Frankreich am allerbesten schmeckt.

Großer Genuss

Schon allein, weil sich um 50 Euro nur limitiert einkaufen lässt. Dennoch gehört ein Abend in dem zerlemperten Wirtshaus mit den wackeligen Thonet-Stühlen, der Schank aus Zink und dem stets unrasierten Personal wohl zum Inspirierendsten, was man dieser Tage in einem Restaurant erleben kann.

Aizpitarte ist Adept einer "Cuisine de vagabond", einer Vagabundenküche, die zeigen will, dass großer Genuss eben nicht nur den Trägern dicker Brieftaschen vorbehalten sein muss: "Die Vorstellung, nur für Reiche zu kochen, langweilt mich unendlich", sagt Aizpitarte während einer Zigarettenpause vor dem Restaurant, "ich will Spaß haben, will, dass meine Freunde hier jederzeit vorbeischauen können, ohne sich vor den Preisen zu fürchten".

Die Kombination aus überbordender Kreativität und kompetitiver Preisgestaltung verlangt auch den Gästen einiges ab. Die Tische sind auf Monate ausgebucht, trotzdem kann jeder hier ohne Voranmeldung essen - sobald ein Tisch frei wird. Kurz vor 22 Uhr ist die Bar stets überfüllt, manche Genusswillige harren aber auch bis Mitternacht aus, um endlich ihr täglich frisch variiertes "Menu unique" serviert zu bekommen. Aizpitarte und Mannschaft kochen, bis auch der letzte Gast sein Dessert bekommen hat.

Rasche Abfolge kleiner Leckerbissen

Als Amuses bouches gibt es eine rasche Abfolge kleiner Leckerbissen, etwa einen Salat aus roh marinierter Makrele mit Wassermelone, Ribisel und Shiso-Blättern - durchaus disparate Aromen, die durch einen Schuss geräucherten Reisessig zusammenfinden. Oder ein gerade eben angegrilltes Entenherz mit geröstetem Koriander, Hanf- und Fenchelsamen. Oder ein Stamperl "leche del tigre", wie die Peruaner jene hocherfrischende Flüssigkeit nennen, die entsteht, wenn roher Fisch für Ceviche mittels Limettensaft "gegart" wird. Dann darf es konsistenter werden, etwa mit einer wagemutigen Kombination aus rohen Muscheln, Seeigelrogen und ebensolchem hauchdünn gehobeltem Knollengemüse, das über eine Olivenemulsion und ein paar marinierte Schalotten auf wunderbare Art zur Komposition wird. Geflügel aus dem Südwesten wird mit Bouillabaisse-Jus und Quitten kombiniert, kaum angegarter, wilder Wolfsbarsch mit Kastanien, Sauerampfer, Vanille und kandierter Orange: hochelaborierte Autorenküche im Ambiente einer Spelunke.

Seit zwei Monaten gibt es gleich nebenan mit dem "Dauphin" noch ein zweites Lokal der Vagabunden. Da werden die Köstlichkeiten in kleinen Tapas-Portionen im Minutentakt an die lange Holzbar gebracht. Das Design darf in diesem Fall ein klein wenig exklusiver sein: Rem Koolhaas ließ es sich nicht nehmen, das Projekt als Architekt zu unterstützen. (Severin Corti/Der Standard/rondo/08/04/2011)