"Hier gab es vor 10.000 Jahren Wasser und einen Urwald", sagt Harald Schistek und deutet als Beweis auf ein paar abgerundete Steine mit Hohlkehlen, die versteckt zwischen klettigem Gras und stacheligen Büschen liegen. Das kann man sich heute nur noch schwer vorstellen: Die Erde hat Risse, die Luft flimmert vor Hitze in der Caatinga, der Trockensteppe im Nordosten Brasiliens.
Doch der Oberösterreicher muss es wissen. Schistek lebt seit drei Jahrzehnten hier. "Das Klima hat sich damals aus unbekannten Gründen plötzlich geändert. Die Caatinga ist ein Beispiel dafür, wie sich die Natur anpassen kann", sagt der Präsident des Instituts für Angepasste Kleinbäuerliche Landwirtschaft (IRPAA) in Juazeiro.
Einfallsreiche Pflanzen
In der Trockensteppe gibt es beeindruckende Beispiele für den Einfallsreichtum der Natur, den Umbu-Baum beispielsweise, der säuerliche Früchte produziert, in seinen Knollenwurzeln bis zu 2000 Liter Wasser speichert und damit auch jahrelange Dürreperioden überlebt. Oder den Favela-Busch, dessen leuchtend grüne Blätter aus dem Graubraun der Steppe hervorstechen. Er öffnet seine Poren und "atmet" nachts, wenn die Verdunstung gering ist und bewahrt seine Blätter so vor dem Austrocknen.
Sie sind nahrhaft, haben aber am Stiel winzige, spitze Stacheln, mit denen sie sich zur Wehr setzen. Erst wenn die Blätter abfallen, sind sie hervorragendes Viehfutter, vor allem für die Ziegen, die das wichtigste Nutztier der Caatinga sind. Die Ziege gehört ebenso dazu wie der Wassertanklaster, mit dem die Politiker seit Generationen bei den armen Bauern auf Stimmenfang gehen.
Süden kann sein Nass nicht mehr verschwenden
Klientelismus, Rückständigkeit, eine unwirtliche Natur und Hungerkatastrophen: Das verbinden die meisten Brasilianer mit dem Nordosten. Für die Medien ist diese Region das Armenhaus, aus dem man nur abwandern kann - in die Elendsgürtel rund um die großen Industriestädte im Süden. Doch das könnte sich jetzt ändern, meint Schistek. Denn inzwischen leidet der Süden unter einer Dürre bisher nicht gekannten Ausmaßes.
Die Stauseen in Minas Gerais und São Paulo, die die Industriestädte mit Wasser versorgen, sind fast leer. Erstmals kann auch im Süden das Nass nicht mehr wie bisher verschwendet werden: Autowaschen, Rasenwässern und Poolbefüllen sind verboten. Werbespots legen nahe, gleich unter der Dusche zu urinieren und den Wasserhahn beim Zähneputzen zuzudrehen.
Über solche Ratschläge muss José Duarte staunen. Sein Motorrad wischt der drahtige, braungebrannte Mann nur mit einem feuchten Tuch ab, und zum Zähneputzen reicht ein Schluck aus einem kleinen Plastikbecher. Der 50-jährige Kleinbauer aus der Gemeinde Cachoeirinha bei Juazeiro hat einige Dürreperiode überlebt. Dass Wasser ein Schatz ist, weiß er von klein auf.
Mithilfe von IRPAA hat er viele neue Methoden gelernt, ihn zu hüten und zu horten. Eine gemauerte Regenwasserzisterne mit einem Fassungsvermögen von 52.000 Litern gehört ebenso dazu wie ein Gemüsegarten, der mit Tröpfchenbewässerung aus dem Gartenschlauch gegossen wird. Damit ist er weniger von den Brunnen abhängig, die oft austrocknen oder versalzen.
Kühe sterben zuerst
Seine Kühe hat er verkauft, weil sie zu viel Wasser brauchten und bei Dürren als Erste starben. Wer Ziegen hat, verhungert nicht, so eine Weisheit der Bauern. "Eine Ziege braucht sechs Liter Wasser am Tag, eine Kuh 52", sagt er.
Die Caatinga abzuholzen, um daraus Holzkohle zu machen, ist in Cachoeirinha tabu. Die Bauern verteidigen jeden Quadratmeter gegen Eindringlinge. Der Regen wird durch die Abholzung noch seltener.
Auch in Brasiliens Nordosten fällt seit drei Jahren deutlich weniger Regen als üblich. Doch im Gegensatz zum Süden ist das keine Katastrophe mehr. "Bei der letzten großen Dürre in den 80er-Jahren starben hier zwischen 50.000 und 100.000 Menschen", erzählt Schistek. "Diesmal haben wir von keinem einzigen Toten gehört. Die Natur lehrt uns eben, dass man langfristig planen und nachhaltig wirtschaften muss." Schistek hofft, dass diese Botschaft angesichts der Wasserkrise jetzt auch bei der brasilianischen Regierung ankommt. (Sandra Weiss aus Juazeiro, DER STANDARD, 30.3.2015)