Sandy Lopicics Inszenierung entfaltet eine Kraft, die auf Erschütterung abzielt, ohne sich am Leid zu weiden. Die elf angespielten Lieder allerdings sind der Dichte und Konzentration des Stücks abträglich.

Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz

Graz – Ungarische Juden wurden nach der Okkupation durch die Nazis im Frühjahr 1944 systematisch verhaftet und deportiert. Die SS und ihre Handlanger trieben die Menschengruppen bis zum Kriegsende im Mai 1945 zu Fuß über das Land in Richtung Arbeits- und Todeslager wie Mauthausen.

Mit diesen "Todesmärschen" hat sich die österreichische Dramatikerin Silke Hassler intensiv befasst und gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und Kollegen Peter Turrini das Stück Jedem das Seine geschrieben. 2007 uraufgeführt, hatte es am Freitag in einer leicht veränderten Fassung im Schauspielhaus Graz Premiere.

Erzählt wird von einer in einem Heustadel gestrandeten Gruppe von neun Juden, die, um sich die Todesangst vom Leib zu halten, unter der Anleitung des Sängers Ludwig Gandolf (existenzialistisch überdreht: Andri Schenardi) eine Aufführung der Operette Wiener Blut vorbereitet.

Schrecken und Heiterkeit

Am Hof der Familie Fasching werden Musikinstrumente herbeigeschafft, und die Bäuerin (Margarethe Tiesel), vor dem Krieg eine Tubabläserin, bringt im Austausch gegen ihren musikalischen Hunger heiße Suppe für die ausgemergelten Flüchtlinge (Rudi Widerhofer, Anna Szandtner, Evamaria Salcher, Helmut Stippich, Milos Milojevic, Sasenko Prolic, Raphael Meinhart und deeLinde). Und die Magd (Susanne K. Weber) checkt – eine der schönen Pointen des Stücks – die Kostüme der Passionsfestspiele.

Diese Verquickung von Schrecken und Heiterkeit entfaltet in Sandy Lopicics Inszenierung jene Kraft, die auf Erschütterung abzielt, ohne sich aber am blanken Leid zu weiden. Für die Darstellung von Gräueln bedarf es weniger überwältigender Gefühlstechniken als vielmehr einer rationalen Form, die die ursächlichen Vorgänge wenn nicht nachvollziehbar, so doch einordenbar macht.

Von rund 100.000 damals durch das östliche Österreich getriebenen Juden haben nicht mehr als 20.000 überlebt; die Landbevölkerung verhielt sich schändlich, aber auch hilfsbereit. Auf Familie Fasching trifft beides zu: Während Traudl (Tiesel) mit der Nazi-Ideologie nichts am Hut hat, ist ihr Mann Stefan (Franz Solar) mit antisemitischer Propaganda geimpft. Das Schiebetor seines Heustadels knallt er wutentbrannt zu, wenn er sieht, wie seine Traudl die "Saujuden" versorgt (über die Häufigkeit der Verwendung dieses Schimpfworts auf Bühnen könnte man einmal diskutieren).

Die naturalistische Pracht des Stadels, dessen Holzwände ins Parkett reichen, wird immer dann gebrochen, wenn sich dessen Hinterwand in den Schnürboden hinaufhebt und den Blick auf (Alb-)Traumsequenzen freigibt: Gefechtslärm im Krieg, aber auch die wohlig sattmachende Fantasie einer riesenhaft über die Hinterbühne gerollten Kartoffel (Bühne und Kostüme: Vibeke Andersen).

Regisseur Lopicic hat sich bis hin zu Kostümdetails an die Vorgaben von Hassler/Turrini gehalten, den knapp zweistündigen Abend aber mit einem satten musikalischen Line-up befrachtet, welches das Volksstück dramaturgisch oft nicht zum Vorteil aufdehnt. Zieht man Wiener Blut als das Grundmotiv sowie das Horst-Wessel-Lied ab, so sind es elf oft ausgespielte Lieder, deren Nummerndramaturgie der Konzentration und Dichte des Abends auch abträglich sind. Da kam der Musiker Lopicic (Sandy Lopicic Superstvar) dem Regisseur in die Quere. Dennoch stehende Ovationen. (Margarete Affenzeller, 5.3.2018)