Die EU-Kommission hat kürzlich wegen des umstrittenen Standortentwicklungsgesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

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Für den Bau der dritten Piste auf dem Flughafen Wien sollen 49,5 Millionen Kubikmeter Erde bewegt werden. Das Infrastrukturprojekt beschäftigt aber nicht nur künftig Baggerfahrer. In Österreich gilt es als das Vorhaben, das wegen eines extrem langen Verfahrens zu einer Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung geführt hat. Konkret beschlossen ÖVP, FPÖ und Neos im Vorjahr das Standortentwicklungsgesetz, mit dem vorrangige Infrastrukturprojekte eine Sonderbehandlung erhalten.

Doch die Reform wird nicht nur von Umweltgruppen bekämpft, sondern auch von der EU-Kommission. Am Dienstag gelangte ein Schreiben an "Seine Exzellenz Herrn Alexander Schallenberg" an die Öffentlichkeit, in dem die Kommission das türkis-blaue Prestigeprojekt zerpflückt.

Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet

Durch das Gesetz sollen Großprojekte wesentlich schneller behandelt werden. Konkret sieht es vor, dass eine Behörde über Projekte bei besonderem öffentlichen Interesse nach zwölf Monaten entscheiden soll, unabhängig davon, in welcher Phase sich die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gerade befindet. Die EU hat deshalb Anfang Oktober ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

In dem Schreiben finden sich erstmals die konkreten Kritikpunkte aus Brüssel: "Die UVP-Verfahren für Großprojekte sind häufig sehr komplex, und es wird für eine Behörde äußerst schwierig werden, innerhalb einer Frist von zwölf Monaten zu einer solchen Schlussfolgerung zu gelangen." Die EU-Kommission sieht es nicht als gesichert an, dass alle Umweltauswirkungen innerhalb der kurzen Zeitspanne berücksichtigt werden können.

Die Kommission kritisiert außerdem den Informationsprozess der Öffentlichkeit als unzureichend. Das frühzeitige und vollständige Informieren der Öffentlichkeit in UVP-Verfahren spiele "eine entscheidende Rolle". Die EU sieht zudem einen mangelnden Rechtsschutz, weil es gegen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr gebe.

Zwei Monate Zeit für Reaktion

Die Regierung hat zwei Monate Zeit, auf das Schreiben zu reagieren. Im Wirtschaftsministerium will man die Kritikpunkte des 20-seitigen Briefs nun prüfen: "Wir sehen in dem Schreiben der Kommission kein grundsätzliches Infragestellen des Standortentwicklungsgesetzes, zumal die Kommission selbst dieses Gesetz in einer entsprechenden Anfragebeantwortung an das EU-Parlament positiv hervorgehoben hat", sagte ein Sprecher von Ministerin Elisabeth Udolf-Strobl. Das Ministerium geht nach wie vor davon aus, dass das Gesetz in seiner aktuellen Form "mit geltendem Unionsrecht kompatibel" ist. Das hätten laut dem Sprecher bereits mehrere Rechtsexperten bestätigt.

Im Fall der dritten Piste in Schwechat, deren Bau mittlerweile ja genehmigt wurde, hätte das neue Gesetz jedenfalls zu einem gänzlich anderen Zeitplan geführt. Die Genehmigung des Großprojektes zog sich über mehr als ein Jahrzehnt. Anrainer und Umweltschützer fürchten, dass es durch den Bau zu massiven Auswirkungen auf die Umwelt und den Lärmpegel kommen wird.

Gesetz "schreddern"

Heimische Umweltschutzorganisationen sehen sich durch die Kritik der Kommission jedenfalls bestätigt. Sie haben das Standortgesetz von Beginn an scharf kritisiert. Das Gesetz würde die Rechte betroffener Bürger beschneiden, warnte etwa Reinhard Uhrig von Global 2000. "Wenn tatsächlich die Ursachen für lange Verfahren behoben werden sollen, stehen bessere und rechtskonforme Maßnahmen zur Verfügung", so Uhrig. Dazu zähle die Ressourcenausstattung von Behörden und Sachverständigen oder eine Reform des Vorverfahrens mit Unterstützung der Projektwerber. Die Arbeiterkammer schlägt eine verbindliche Planungskoordination zwischen Bund und Ländern vor. Der WWF forderte, das "verpfuschte Standortgesetz" zurückzunehmen, und auch Greenpeace will das Gesetz "schreddern". (Nora Laufer, 22.10.2019)