Bundespräsident Alexander Van der Bellen betont die Bedeutung von Qualitätsjournalismus, der "Facts" von "Fake" sauber zu trennen wisse.

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Haben wir verlernt, vernünftig miteinander zu reden? 58 Prozent der Deutschen sagten vor kurzem laut einer Umfrage, sie hielten die Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit für eingeschränkt. Das kann man, vor dem Hintergrund der Drohungen gegen den deutschen Grünen Cem Özdemir und rechtsextremer Gewalttaten gegen Andersdenkende im Nachbarland, als erfolgreiche rechte Einschüchterung interpretieren. Man kann es als Ergebnis der "Haltet den Dieb!"-Strategie der rechten AfD betrachten, die in den jüngsten Wahlkämpfen genau das behauptet hatte.

Es könnte aber auch die Furcht des Einzelnen sein, mit seiner Meinung anzuecken. Denn in liberalen Demokratien darf zwar jeder alles sagen, sofern es nicht gegen das Recht verstößt – aber es darf auch jeder widersprechen, so laut er will.

Kein Freibrief für persönliche Attacken

Ein Freibrief für Gehässigkeiten, Untergriffe und persönliche Attacken ist das trotzdem nicht. Wer redet, muss vorher denken und sich bestmöglich informieren (etwa durch das Lesen von Büchern anstelle von Twitter-Meldungen). Und er sollte mitbedenken, dass man seinen Argumenten auch Nachdruck verleihen kann, ohne andere zu verletzen.

Dieser Meinung ist offenbar auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Zur Eröffnung der Buch Wien sagte er, junge Menschen müssten lesen können, um Abgründe zu erkennen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 160-jährigen Bestehen des Presseclubs Concordia betonte Van der Bellen die Bedeutung von Qualitätsjournalismus, der "Facts" von "Fake" sauber zu trennen wisse – und den Bürgern im Zeitalter der Informationsflut Sicherheit gebe. Aber gebe es auch "Tendenzen, guten Journalismus zu hindern".

Die gibt es in der Tat: Sie werden sichtbar, wenn Politiker mediale Kritik immer schlechter ertragen. Wenn sie lieber ihre eigenen Wahrheiten auf Instagram und Facebook lesen und wenn sie Inserate in Millionenhöhe an gefälligen Journalismus verteilen. Dann kommen gute Journalisten ökonomisch unter Druck.

Geteilt wird, was emotionalisiert

Dazu kommt, dass die großen Internetplattformen nicht so gebaut sind, dass sie vernünftige Debatten und hochwertigen Diskurs fördern. Millionenfach geteilt wird dort, was emotionalisiert – nicht das, was zum Nachdenken anregt.

Als Erste haben diese Logik Populisten und Demagogen begriffen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass man mitunter den Eindruck hat, öffentlicher Diskurs sei, wenn Menschen einander anschreien.

Es wäre freilich zu einfach, die Schuld für den Niedergang der Streit- und Debattenkultur den rechten Donaldisten und Populisten in die Schuhe zu schieben. Das hat auch Barack Obama erkannt. Vor kurzem schlug der ehemalige US-Präsident kritische Töne gegenüber jungen Aktivisten an. "Wenn ihr nur mit Steinen werft, werdet ihr nicht weit kommen", sagte er. Wenn jede noch so kleine Verfehlung, jedes moralische Stolpern eines Mitstreiters sofort Anlass zu (öffentlicher) Ächtung durch die anderen sei, dienten auch die Wohlmeinenden ihrer guten Sache nicht. Im Gegenteil.

Wir sollten schleunigst lernen, wieder konstruktiv zu streiten. Die künftige Regierung könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Nicht das geschönte Darstellen falscher Harmonie sollte ihr Ziel sein – sondern der gepflegte Disput, die fundierte inhaltliche Auseinandersetzung ohne Untergriffe. Das brächte Österreichs Demokratie auf jeden Fall ein Stück voran. (Petra Stuiber, 10.11.2019)