Wieder rot? Dem Wahlkalender entsprechend wird auch zur Jahreswende 2029/2030 eine neue Regierung zu bestellen sein.

Foto: APA/Punz

Das überraschendste Ergebnis der Nationalratswahl vom Herbst 2029 war wohl das Abschneiden der SBÖ. Die junge Parteivorsitzende hatte in nicht viel mehr als einem Jahr die nur noch in der Bundeshauptstadt Wien bedeutende Sozialdemokratische Partei übernommen. Und so umgekrempelt, dass manchen das Hören und Sehen vergangen ist.

Ihre Karriere war ganz in alter SPÖ-Tradition verlaufen: Als Lehrling war sie der SPÖ und der GPA beigetreten, hatte gewerkschaftliches Engagement und FH-Studium parallel betrieben und bald in einem Softwareunternehmen eine Führungsposition erreicht: Von Management verstand sie im Alter von nicht einmal 30 Jahren so viel wie von selbstlernenden Werkzeugmaschinen – sie hatte solche ja selbst programmiert. Und mit einem konsequent durchgezogenen persönlichen Programm ist sie auch in die Politik gewechselt, als sie die Chance dazu in der Wiener Landespolitik bekommen hat – diese war für sie nur Sprungbrett an die Parteispitze.

Noch als Stadträtin hat sie gleich einmal ein paar Vertraute des Bürgermeisters aus dem Verkehr gezogen, zwei oder drei davon bei Gericht angezeigt – ihrem Slogan "Wir sind eine saubere Bewegung" konnte auch der letzte verbliebene Parteigrande nichts entgegensetzen. Sie wurde rundum als Erneuerungskraft gefeiert. Das machte ihr Mut, binnen Monaten an die Parteispitze zu stürmen – und mit einer Reihe von Parteiausschlüssen ihren Kurs zu stabilisieren.

Rote Bewegung statt roter Partei

Wobei: Partei im alten Sinne sollte die Solidarische Bewegung Österreichs (eben die SBÖ) nach der Änderung des Parteinamens gar nicht mehr sein. Bei einem emotionsgeladenen Parteitag im Frühjahr 2029 hatte die SPÖ so schnell Abschied von Parteiname und -strukturen genommen, dass kaum jemandem aufgefallen war, dass die Solidarische Bewegung so ziemlich alle Inhalte der Vorgängerpartei übernommen hatte. Aber die Funktionäre haben es gespürt: Der alte Geist von Solidarität, Gerechtigkeit und demokratischer Mitsprache wehte mit einer Kraft durch die Bewegung, die man lange nicht mehr wahrgenommen hatte.

Zwölf Jahre lang war die Republik von einem konservativen Kanzler mit wechselnden Koalitionen regiert worden – aber neben dem frischen Rot verblasste das inzwischen angegraute Türkis der Volkspartei; neben der jungen Kandidatin wirkte der Kanzler seltsam müde und kraftlos.

Zwar hatte er im Wahlkampf gebetsmühlenartig wiederholt, was seine Partei für das Land alles erreicht hat: Österreich war als Wirtschaftsstandort international erfolgreich, die Zuwanderung war ganz im Sinne des Wirtschaftswachstums gemanagt worden und die Pensionen waren aufgrund der Erhöhung des Pensionsalters abgesichert. Selbst die Folgen des Klimawandels waren für Österreich abgefedert worden. Eine auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform hatte in der ersten Hälfte der 2020er-Jahre zwar für längere Aufregung gesorgt, war aber von den Betroffenen letztlich gut verdaut worden. Einige Betriebe hatten sogar von der Umstellung der Besteuerungsgrundlagen profitiert.

Dankbarkeit ist kein Wahlmotiv

Aber Dankbarkeit ist nun einmal kein brauchbares Wahlmotiv – schon gar nicht bei der inzwischen auf über eine Million Menschen angewachsenen Gruppe von Arbeitnehmern mit ausländischem Pass, denen die ÖVP (und erst recht die FPÖ) die demokratische Mitsprache verwehrt haben. Die konnten gar nicht wählen – sie konnten natürlich auch nicht die SBÖ wählen, die im Wahlkampf ’29 durchaus für ein Ausländerwahlrecht eingetreten war. Aber die breite Solidaritätsbewegung hatte auch mit diesem Thema den gesellschaftlichen Wandel erkannt und Wähler (wieder)gewonnen.

Der Kanzler hatte, wie gesagt, im Wahlkampf und unmittelbar danach ziemlich alt und erschöpft ausgesehen. Zwar war es der ÖVP gelungen, sich noch einmal die Mehrheit zu sichern, aber es ging knapp aus – ihre Verluste erschienen ebenso spektakulär wie die Zugewinne der neu erstarkten Roten.

Berater wurden in die Wüste geschickt

Deren Vorsitzende hatte jene Berater in die Wüste geschickt, die ihr die Bedeutung von Fernsehdiskussionen schmackhaft machen wollten. Mehrfach hatte sie den Sendern abgesagt: In diesem oder jenem Betrieb auf dem Land den Beschäftigten zuzuhören, sich die Sorgen von Mietern oder Pflegebedürftigen anzuhören und mit den Menschen am Stammtisch ein Bier zu trinken sei wichtiger als mit den ewig gleichen alten Politikern die ewig gleichen alten Argumente auszutauschen. Das hatten auch die Politikjournalisten begriffen und die SBÖ-Vorsitzende in Zügen (zweite Klasse, Vorteilscard) oder elektrisch betriebenen Pendlerbussen zu ihren Besuchen begleitet, anstatt die öden Fernsehsendungen mit ihrem ewig gleichen Ritual zu kommentieren.

Nun also hatte die ÖVP zwar eine Mehrheit, aber keinen sich auf den ersten Blick anbietenden Koalitionspartner – weder mit den Freiheitlichen noch mit den Grünen (beide waren bei der Wahl zurückgestutzt worden) würde sich eine Zweierkoalition ausgehen, Gemeinsamkeiten für eine Mehrparteienkoalition waren noch schwerer auszumachen. Und die SBÖ? Als Juniorpartner schwer vorstellbar, die hatte ja den Kanzleranspruch in einer Weise und mit Themen gestellt, die wenig Gemeinsamkeit mit der ÖVP zeigten.

Gespaltene Gesellschaft

Viel besser war die Ausgangslage für die SBÖ aber auch nicht: Alle Medien und alle Mitstreiter hatten sie als "Wahlsieger" gefeiert, obwohl sie eben doch um ein wohl entscheidendes Mandat hinter der ÖVP gelandet war. "Mit Tod und Teufel" würde sie sich verbinden, um eine solidarischere Gesellschaft durchzusetzen, hatte die Vorsitzende vor und nach der Wahl versprochen – das konnte sehr wohl auch die "verteufelte" FPÖ (mit der die SPÖ auf Bundesebene seit 44 Jahren nicht mehr zusammengefunden hatte) als auch die ÖVP (seit immerhin einem Dutzend Jahren kein Partner mehr, damals ein "tödlicher") einschließen. Es musste auch Grüne und Neos betreffen, von deren früheren Wählern einige dem Solidaritätsversprechen der SBÖ gefolgt waren.

Eine Regierungsmehrheit war deswegen aber für die SBÖ noch lange nicht in Sicht.

Nun lag es an der Bundespräsidentin, die Kräfte zusammenzuführen. Sie hatte kurz vor Weihnachten 2029 nicht nur alle Parteichefs noch einmal zu sich gerufen, sondern auch die Spitzen der Sozialpartner.

Neujahrsansprache der Bundespräsidentin

In ihrer Neujahrsansprache hatte die Bundespräsidentin darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft gespalten ist in diejenigen, die in den Veränderungen der letzten Jahre ihre Chancen erkannt und ergriffen hatten, und jenen, die diese Chancen aus welchen Gründen auch immer verpasst hatten. Und sie hatte bekanntgegeben, dass die Sozialpartner ihr bereits eine Punktation eines Regierungsprogramms vorgelegt hätten. Für jeden Einzelnen davon werde nun eine parlamentarische Mehrheit gesucht. Alles Weitere sei Spekulation.

Wie auch alles hier Geschriebene. (Conrad Seidl, 29.12.2019)