Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, zählt zu den stärksten bekannten Halluzinogenen.
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Die meisten Drogen wie Kokain, Heroin, Methamphetamin, aber auch Alkohol sind bei massiver Überdosierung tödlich. Sogar an Marihuana kann man sterben, wenn genug davon über den Verdauungstrakt aufgenommen wird. Wie es allerdings um die Auswirkungen von sehr hohen Dosen von Halluzinogenen wie LSD steht, darüber gibt es nur sehr wenige wissenschaftliche Erfahrungswerte. Kürzlich haben zwei Mediziner jedoch drei Fallberichte vorgestellt, bei denen enorme Überdosen von LSD überraschende Konsequenzen hatten.

In den vergangenen Jahren hat das Interesse am Einsatz von LSD in der Suchtbehandlung und der Therapie von Posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und einer Reihe anderer psychischer Erkrankungen wieder deutlich zugenommen. Studien in diesen Bereichen konzentrierten sich in der Regel auf die Mikrodosierung des Lysergsäurediethylamids, in Einzelfällen wurden "normale" Dosen der Droge gegeben. Von der Verabreichung überdurchschnittlich hoher LSD-Mengen an Testpersonen, um zu schauen, was dann geschieht, nehmen Mediziner und Forscher dagegen normalerweise aus nahe liegenden Gründen Abstand – weshalb deren Effekte auch weitgehend unklar sind.

Es gibt jedoch einzelne dokumentierte Fälle, bei denen Menschen ungewöhnlich hohe LSD-Dosen selbst eingenommen haben. Die beiden kanadischen Wissenschafter Mark Haden und Birgitta Woods von der University of British Columbia haben für eine im "Journal of Studies on Alcohol and Drugs" publizierte Studie drei derartige Einzelfälle gesammelt und im Detail vorgestellt.

Fall 1: Überraschende Heilung

Der erste Fall beschreibt ein Mädchen im Teenageralter mit Bipolar-II-Störung, einer in der Bevölkerung mit bis zu vier Prozent verhältnismäßig weit verbreiteten Erkrankung, bei der es zu depressiven Episoden und mehrtägigen hypomanischen Phasen kommt. Die Person hatte in der Vergangenheit unter Halluzinationen gelitten, auch Paranoia, Hypomanie und schwere Depressionen waren Teil ihrer Vorgeschichte. Sie musste überdies wegen "störenden und trotzigen Verhaltens" mehrfach die Schule wechseln.

Als 15-Jährige erhielten sie und weitere 19 Personen auf einer Party im Jahr 2000 die 10-fache Dosis der beabsichtigten LSD-Menge. Der Lieferant hatte sich bei der Bemessung um eine Dezimalstelle vertan, und so nahmen die 20 Partygäste jeweils statt 100 Mikrogramm (was als normale "Freizeitdosis" angesehen wird) gut 1.000 Mikrogramm in flüssiger Form zu sich. Nachdem das Mädchen sein Glas leer getrunken hatte, machte es sich auch noch über die übrig gebliebenen Reste in zwei anderen Gläsern her.

Laut Zeugenberichten hätte sich die 15-Jährige für die nächsten sechseinhalb Stunden "unberechenbar" verhalten. Danach habe sie eine Art Anfall gehabt, bei dem sie mit geballten Fäusten in Fötusstellung am Boden lag, worauf man die Rettung verständigte. "Es war allerdings für die Zeugen unklar, ob das Mädchen das Bewusstsein verloren hatte oder sich im Wachzustand ihrem intensiven psychedelischen Erleben hingab", schreiben die Autoren.

LSD wird häufig auf Papierstücke aufgebracht, die dann geschluckt oder gelutscht werden.
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"Es ist vorbei"

Später äußerte die 15-Jährige im Krankenhaus ihrem Vater gegenüber, dass "es vorbei" sei. Zunächst ging der Vater davon aus, sie meinte ihren Trip, tatsächlich aber stellte sich heraus, dass sie von ihrer bipolaren Störung gesprochen hatte. Obwohl man freilich wenig aus einem einzelnen Vorfall schließen kann, berichteten die Therapeuten des Mädchens nach der Überdosierung über signifikante Verbesserungen ihrer Symptome.

Im Laufe der folgenden Jahre wurde sie von den Ärzten als "völlig stabil" beschrieben. Obwohl sie die medikamentöse Behandlung mit Lithium beendet hatte, das als Stimmungsstabilisator verabreicht wird, zeigte sie "keine Hinweise mehr auf klinische Hypomanie oder Depression". Sie selbst beschrieb sich für die nächsten 13 Jahre als frei von psychischen Krankheitssymptomen, bis sie nach der Geburt ihrer Kinder vorübergehend in postpartale Depressionen verfiel. "Dieses Fallbeispiel dokumentiert nach einer versehentlichen Überdosierung von LSD eine signifikante Verbesserung der Stimmungssymptome, einschließlich einer Verringerung der Manie mit psychotischen Merkmalen, Veränderungen, die seit fast 20 Jahren anhalten", fassen die Autoren die mutmaßlichen Folgen in der Studie zusammen.

Fall 2: Überdosis mit Baby im Bauch

Im zweiten Beispiel wird der Fall einer Frau geschildert, die auf der selben Party wie die 15-Jährige von Fall 1 eine Überdosis von 500 Mikrogramm LSD in flüssiger Form konsumierte. Zu diesem Zeitpunkt war die 26-Jährige, die bereits einige Erfahrung mit psychedelischen Drogen vorweisen konnte, seit etwa zwei Wochen schwanger, wovon sie allerdings nichts wusste.

Auf den Fötus dürfte der LSD-Konsum keinen schädlichen Einfluss gehabt haben: Wie Haden und Woods in ihrer Arbeit schildern, kam das Baby rund um den errechneten Geburtstermin zur Welt und es zeigte keinerlei gesundheitliche Probleme. Selbst bei nachfolgenden Untersuchungen, die bis ins Erwachsenenalter stattfanden, konnten bei dem "LSD-Kind" keine negativen Auswirkungen der damaligen massiven Überdosierung seiner Mutter festgestellt werden.

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Fall 3: 550-fach überdosiert

Im dritten und spektakulärsten Fall lag die eingenommene LSD-Menge himmelhoch über der normalerweise üblichen Dosis. Eine 46-jährige Frau, die wegen chronischer Beinschmerzen seit zehn Jahren eine Morphium-Abhängigkeit entwickelt hatte, schnupfte versehentlich 55 Milligramm reines LSD in Pulverform, das sie eigentlich für Kokain gehalten hatte. "Dies entsprach dem 550-fachen der normalen 'Freizeitdosis' von 100 Mikrogramm", schreiben die Autoren in ihrer Studie.

Nachdem sie binnen weniger Minuten merkte, dass etwas nicht stimmte, rief sie ihre Mitbewohnerin um Hilfe. Diese schilderte, dass die Frau nach etwa einer Stunde begann, sich mehrmals zu übergeben. Für die nächsten 12 Stunden wechselten einander Phasen der Bewusstlosigkeit mit Erbrechen und Übelkeit ab. Erst dann erlangte sie allmählich die Fähigkeit zurück, sich verständlich zu artikulierten.

Rollende Augen und Schaum vorm Mund

An den halben Tag des Leidens schloss sich eine weitere Tageshälfte des teilweisen Wohlbefindens: "In den folgenden 12 Stunden fühlte sich die Frau 'angenehm high', abgesehen von vereinzeltem Erbrechen", schreiben die Wissenschafter. Das gehe auch aus dem Bericht der Mitbewohnerin hervor: "Anfangs saß sie die meiste Zeit mit Schaum vor dem Mund und offenen, geschlossen oder rollenden Augen still auf einem Stuhl. Nur gelegentlich kamen ihr einzelne wie zufällig gewählte Worte über die Lippen. [...] Zehn Stunden später konnte sie sich wieder unterhalten."

Nach dem Abklingen des LSD-Rausches berichtete die Frau, dass sich ihre Beinschmerzen deutlich verbessert hätten, worauf sie den Morphiumkonsum zunächst gänzlich einstellte – überraschenderweise ohne Entzugssymptome. Als der Schmerz nach einiger Zeit zurückkehrte, griff sie für eine Zeit lang wieder zu niedrig dosiertem Morphium, stieg dann aber auf regelmäßige Mikrodosen von LSD um, was ihr nach eigenen Angaben schließlich den völligen Verzicht auf das Morphium ermöglichte. Außerdem berichtete sie über Episoden von Angstzuständen, Depressionen und sozialem Rückzug.

Nicht daheim probieren!

Zumindest in Hinblick darauf, dass LSD in massiver Überdosierung offenbar nicht tödlich wirkt, passen die Fallbeispiele zu den Ergebnissen einer in den 1970er-Jahren durchgeführten Studie mit acht Menschen. Auch diese erlebten eine Reihe von zum Teil dramatischen körperlichen Effekten wie Koma, Hyperthermie und Blutungen, erholten sich jedoch wieder ohne bleibende Schäden.

Obwohl die drei hier angeführten Fälle durchaus interessant seien und es möglicherweise zu "unvorhersehbaren positiven Effekten wie eine Verbesserung psychischer Krankheitssymptome oder Verringerung von körperlichen Schmerzen kommen kann", halten Haden und Woods fest, dass sie dennoch nur anekdotischen Charakter haben und keine weitergehenden Schlüsse über die generelle Wirkung von LSD-Überdosen zulassen. Klinische Studien zur Untersuchung von womöglich therapeutischen Effekten hoher LSD-Dosen lehnen die Forscher jedenfalls grundsätzlich ab. Ebenso warnen die Wissenschafter ausdrücklich vor Selbstversuchen. (tberg, 17.3.2020)