Wann und unter welchen Bedingungen dürfen Tänzer einander wieder so nah kommen? Szene aus Akram Khans "Outwitting the Devil".

Jean-Louis Fernandez

Was ist los mit dem Tanz? Warum mischen die Tanzschaffenden und Veranstalter in den Debatten um die Lockerungen der Sicherheitsregeln nicht lautstärker mit? Gute Frage. Denn die "derzeitigen Bestimmungen sind für den Tanz besonders schlecht", wie Festspielhaus-Intendantin Brigitte Fürle meint. Im Vergleich mit anderen Künsten habe er "den geringsten Spielraum".

Kann man sich trotzdem etwas einfallen lassen? "Das ist die Stunde der kleinen Formate", diagnostiziert Esther Holland-Merten, die den Performancebereich im Wiener Kulturzentrum Wuk leitet. Aber auch sie wird Live-Aufführungen erst wieder im September ansetzen. Bis zu Saisonende gibt es nur Onlineformate. Doch gerade die sind ein Problem.

Livekunst

Als hundertprozentige Livekunst lässt sich Tanz mit Film oder Video zwar dokumentieren, aber keinesfalls ersetzen. Zu seiner "Sprache" gehört unbedingt das Zusammenspiel zwischen einem Raum, dessen Klang- und Lichtdynamik sowie der Kommunikation bewegter Körper mit Berührung und Nähe. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, um sich per Streaming künstlerisch sichtbar zu machen, vermitteln das nicht.

Zweidimensionale Fensterchen auf Handys und Tablets haben mit Tanz nicht viel zu tun. Deswegen hat sich zum Beispiel das Tanzquartier Wien (TQW) von Beginn der pandemiebedingten Schließungen dieser Option nur sparsam bedient. Im Rahmen eines knappen Homevideo-Programms auf der TQW-Website zeigt die Wiener Tänzerin und Choreografin Eva Schaller mit einem kurzen Solo die Alternative: Videoexperimente können sich sehr wohl lohnen. Vor allem, wenn es wie hier gelingt, die künstlerischen Mittel von Film und Choreografie ineinander zu verschränken.

Lebensader abgeklemmt

Solange es keine Probemöglichkeiten gibt und Körperkontakt untersagt ist, bleibt dem Tanz die Lebensader abgeklemmt. Bisher hatten nicht nur die Tanzschaffenden, sondern auch ihre Veranstalter alle Hände voll zu tun, Absagen und Verschiebungen zu administrieren. "Das dauert bis heute an", berichtet Doris Uhlich, die zu Österreichs bekanntesten zeitgenössischen Choreografinnen gehört.

Derzeit überlegt sich Uhlich eine Covid-19-Fassung ihrer Performance Habitat für den Herbst. Das Problem sei bloß, dass "einige Veranstalter" angesichts der Regelungen für Bühne, Publikum und Reisen sagen, "es zahlt sich wirtschaftlich nicht aus". Die Kunstschaffenden seien sicherlich flexibel genug, fügt sie an, "aber wir brauchen auch Partner".

Das Tanzquartier Wien will seine Tore am 2. Oktober wieder öffnen. Doch schon jetzt wird mit Skepsis in den Herbst geschaut. Wird die zweite Welle kommen? Wie soll es mit den Reisebestimmungen weitergehen? Denn die Veranstalter leben von der Attraktivität internationaler Gastspiele, und viele lokale Tänzer und Choreografinnen sind ständig auf Achse. Sie treten entweder im Ausland auf, oder sie unterrichten international.

Freiluft-Workshops

Wie etwa Willi Dorner, der eine Asientournee verschieben musste. Er hat das aktuelle Jahr bereits weitgehend abgeschrieben – bis auf seine Teilnahme am eher kleinformatigen und vor allem "open air" stattfindenden Festival La Strada in Graz. Dorner ist auf die Bespielung des urbanen Raums und mit seiner Partnerin Lisa Rastl auf Fotoprojekte spezialisiert. Das erweitert die Möglichkeiten.

Karl Regensburger, der sein Impulstanz-Festival absagen musste, wird stattdessen – voraussichtlich am 10. Juli – eine Freiluft-Workshop-Reihe an acht verschiedenen Orten in Wien starten. Die Teilnahme an diesen "Public Moves" mit insgesamt 480 Veranstaltungen ist gratis und offen für alle. Ob sich auch "die eine oder andere Performance" umsetzen lässt, werde sich noch zeigen, sagt Regensburger. Im Herbst will er Stücke von Liquid Loft im Odeon und ein Projekt in Kooperation mit Wiener Museen umsetzen.

Angela Glechner, Leiterin des Salzburger Sommerszene-Festivals, ist dafür, reinen Wein einzuschenken: "Man muss sagen, dass es mit dem Tanz nicht mehr geht", wenn jetzt nicht einmal Proben möglich seien. Aber sie deutet auch an, dass das Land Salzburg über ein Projekt für die lokale Szene nachdenke.

Eigentlich inspirierend

"In den Hierarchien der Kunst", so Brigitte Fürle, "gehört der Tanz nicht zu den Wortgewaltigsten. Positive Impulse gibt es trotzdem. Denn zurzeit falle "der institutionelle Druck weg", der auf den Tanzschaffenden lastet, erläutert Eva Schaller: "Man spürt eine größere Freiheit und handelt von sich heraus", ohne die enge Taktung durch ein "Hamsterrad", in dem das Überleben nur durch ständige Überforderung möglich war. Jetzt heiße es, alles Überflüssige wegzulassen: "Eigentlich ist das total inspirierend!"

Kommende Woche gibt es doch wieder Proben im TQW für Schaller, allerdings nur allein oder mit Mundschutz zu zweit. Vielleicht eröffnet am Montag die neue Verordnung des Bundes zur schrittweisen Öffnung auch hier neue Perspektiven. (Helmut Ploebst, 2.5.2020)