Erzkonservative katholische Positionen zur Sexualität schaffen es bis heute in die Klassenzimmer und darüber hinaus.

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Wer in Deutschland Pseudotherapien gegen Homosexualität anbietet, muss nun mit einer Strafe rechnen, das Gesetz dazu wurde Anfang Mai beschlossen. Solcherart "Therapien" verursachen viel Leid, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn. Das neue Gesetz soll dem ein Ende setzen und zum Ausdruck bringen, dass "wir jeden so akzeptieren, wie er ist", so der offen schwule CDU-Politiker.

Diese Haltung zur Homosexualität ist bis heute keine Selbstverständlichkeit. So wurde erst 2018 bekannt, dass in Österreich im Sexualkundeunterricht teilweise ein ganz anderes Bild vermittelt wird. Der Verein "Teenstar" verbreitete dort in sexualpädagogischen Workshops erzkonservative Ansichten über Homosexualität, Masturbation und "außerehelichen" Sex. Laut Recherchen des "Falter" analysierten das zuständige Bildungsministerium, die Koordinationsstelle für Gesundheitsförderung und das Bundeszentrum für Sexualpädagogik die Teenstar-Unterlagen. Ihr Fazit: Die Unterlagen enthalten geschlechterdiskriminierende und menschenrechtlich bedenkliche Aussagen.

Noch unter Türkis-Blau wurde daher das Justizministerium damit beauftragt, eine Gesetzesvorlage dazu zu liefern, wie mit externen Vereinen mit sexualpädagogischen Angeboten für Schulen künftig umgegangen werden soll. Doch wegen der Corona-Krise wird der im Regierungsübereinkommen von Türkis-Grün vereinbarte Qualifikationsrahmen für externe Vereine wohl noch nicht so bald ausformuliert werden.

Kein Verbot in Österreich

Ein ausdrückliches Gesetz gegen die sogenannten Konversionstherapien wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht. Nach Einschätzung des Justiz- und Gesundheitsministerium brauche es in Österreich keine eigene Regelung gegen diese oder andere "vergleichbaren reparative Therapieformen", wie es auf Nachfrage des STANDARD aus dem Gesundheitsministerium heißt.

Solche Therapieformen würden in "hohem Maße der Berufspflicht eines 'Arbeitens nach bestem Wissen und Gewissen' widersprechen, die sich in einschlägigen Berufsgesetzten wiederfindet". Somit drohten bereits mit den bestehenden Regelungen Konsequenzen, "sollte aus einer angewandten Konversionstherapie ein Schaden entstanden sein". Abseits davon würden derartige Therapien unter anderem auch gegen Menschenrechte verstoßen, konkret etwa gegen das Recht auf Privatsphäre, heißt es aus dem Ministerium.

Gut organisierte katholische Lobby

Diese Gesetzeslage kann allerdings kaum etwas gegen homophobe Strömungen in der Gesellschaft ausrichten: Es ist weder Zufall noch ein Einzelfall, dass es homophobe Botschaften über Sexualität bis heute in die Schulen hineinschaffen und in der Gesellschaft noch verankert sind. In Österreich gibt es eine starke und gut organisierte katholische Lobby, die sich sowohl in Instituten als auch im Internet Raum und Publikum verschafft.

Etwa das "Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie", das 2009 unter anderem von dem Psychiater Raphael Bonelli gegründet wurde. Das Institut bezeichnet sich auf seiner Website als unabhängig von religiöser oder weltanschaulicher Ausrichtung. Die Positionen von Bonelli wollen allerdings nicht in diese Kategorie passen. Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie füllt nicht nur Vortragssäle, auch als Videoblogger hat er sich ein beachtliches Publikum erarbeitet. Bis zu 380.000 Zugriffe erreicht er auf Youtube, wo er den Kanal des RPP-Instituts nützt, der wiederum über 86.000 Abonnent*innen zählt.

In den letzten Wochen beschäftigte Bonelli sich wie viele andere vorwiegend mit Corona. Es sei die Aufgabe von Psychiatern, jetzt zu helfen, sagt er. Vor Corona sprach er über Kindererziehung und Narzissmus, verzweifelte Tinder-Dates und Sexsucht. Inhaltlich bewegt er sich entlang eines christlich/katholischen Wertekatalogs – den man streckenweise durchaus als erzkonservativ bezeichnen kann.

Bonelli äußert sich zu kirchlichen Fragen auch öffentlich, etwa im Interview mit dem umstrittenen Portal kath.net, das "den rechten Rand der Kirche munitioniere", wie der "Spiegel" 2015 analysierte. Bonelli empfiehlt der katholischen Kirche darin eine klare Linie in der Ehelehre, die wesentlich zur "Stabilisierung von Familien" beitrage.

"Aberzogene" Männlichkeit

Raphael Bonelli scheint auch bei der Sigmund-Freund-Universität als Mitarbeiter auf, vor kurzem noch als Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie. Wie passen diese Aktivitäten mit einer Uni zusammen? Offenbar gar nicht. "Er ist bei uns inaktiv", sagt Alfred Pritz, Rektor der Sigmund-Freud-Universität, auf Nachfrage des STANDARD. Den Eintrag mit Bonelli müsste man eigentlich rausnehmen, ergänzt er.

In seinen Videos beklagt Bonelli wiederholt einen vermeintlichen Verlust von Männlichkeit, die Buben heute geradezu aberzogen werde. Und die fehlende Polarisierung im Geschlechterverhältnis habe wiederum zur Flaute im Schlafzimmer der Millennials geführt. "Immer wieder klagen Patientinnen von mir, dass ihre Männer zu wenig männlich seien", erzählt der Psychiater bei jeder Gelegenheit. "Warum Gender-Mainstreaming Männer kastriert und Frauen frustriert", so der Titel einer seiner meistgesehenen Vorträge im Netz. Dass Bonelli Beziehungen zu sehr konservativen katholischen Gruppierungen wie den Legionären Christi und Opus Dei pflegt, legt er selbst auf seiner Website offen – ohne ihnen jedoch "spirituell oder persönlich" nahezustehen.

Die Sorge um die traditionelle Familie treibt auch andere Personen im Netzwerk des RPP-Instituts um. So widmete sich 2015 eine Fachtagung des Instituts – unterstützt von der Sigmund-Freund-Privatuniversität – dem Thema "Bindung und Familie". In einem Vortrag beschäftigte sich etwa Christof Gaspari mit dem konservativ-katholischen Sündenbock "Genderideologie", kritisierte die Förderung der Berufstätigkeit von Frauen ebenso wie die Erleichterung von Ehescheidungen. Gaspari, langjähriger Redakteur der "Furche", gründete gemeinsam mit seiner Frau ein Medium für "christliche Orientierung"; in der Zeitschrift "Vision 2000" wird wiederholt vor "Homoehe", "Abtreibungslobby" und Feminismus gewarnt.

Homosexualität sei "veränderbar"

Auch mit der katholischen Hochschule Heiligenkreuz im Wienerwald arbeitet das RPP-Institut eng zusammen, regelmäßig richtet die Hochschule gemeinsame Fachtagungen aus. Mit dem 2015 eingerichteten Studiengang "Leib – Bindung – Identität" fungiert Heiligenkreuz als wichtige Drehscheibe christlicher Sexualpädagogik. Mitentwickelt wurde der Studiengang von einem deutschen Verein mit dem sperrigen Namen "Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e. V.". Einst unter dem Namen "Wüstenstrom" bekannt, sahen sich der evangelikale Verein und sein Begründer Markus Hoffmann massiver Kritik durch LGBT-Organisationen ausgesetzt, da die Gruppe Homosexualität als "durch Therapie veränderbar" definierte.

2007 lud Raphael Bonelli Hoffmann auf eine Tagung nach Graz ein, erst nach Protesten – unter anderem von Landeshauptmann Voves – sagte Hoffmann seine Teilnahme ab. Hoffmann betreibt heute die "Bruderschaft des Weges", eine Gemeinschaft für Männer, die unter ihrer Homosexualität "leiden" oder sie aus "Glaubensgründen" nicht ausüben wollen. Vom "leiden" ist auf der Website der "Bruderschaft" seit kurzem nicht mehr zu lesen, es wurde durch deutlich abgeschwächtere Formulierung ersetzt: Es gehe um Männer, die ihre "Sexualität als konflikthaft erleben", und um einen "ergebnisoffenen Prozess".

Wohin Sexualität führen könne

Hoffmann ist auch im Netzwerk der Gegner*innen einer "Sexualpädagogik der Vielfalt" aktiv. Unter dem Schlagwort der "Frühsexualisierung", das zu einem rechtskonservativen Kampfbegriff mutiert ist, mobilisieren Aktivist*innen gegen die befürchtete Zerstörung der Vater-Mutter-Kind-Familie.

Bei einer Veranstaltung des zentralen Aktionsbündnisses "Demo für alle" trat 2016 auch Raphael Bonelli auf, in seinem Vortrag "Persönlichkeit – Geschlecht – Sexualität" sprach der Psychiater unter anderem von Intersex-Personen als "schwer Leidenden", die von Ideologen missbraucht würden. Wohin Sexualität führen könne, untermalte Bonelli wiederum mit den Beispielen eines Transsexuellen, der von seinen Kampfhunden bei einem Vergewaltigungsversuch zerfleischt worden sei, und dem Kannibalen von Rothenburg, der auch homosexuelle Fantasien habe ausleben wollen.

In Schulen, auf Youtube, auf Tagungen – die Pathologisierung von Gleichstellung und Homosexualität passiert in den verschiedensten Bereichen laufend, mal subtiler, mal ganz offen. (Brigitte Theißl, Beate Hausbichler, 27.5.2020)