Markus Meyer in der seit zehn Jahren laufenden Erfolgsproduktion "Das Bildnis des Dorian Gray".

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Markus Meyer

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Die Lockerungsmaßnahmen greifen bei großen Häusern wie dem Burgtheater nicht so schnell. Seit elf Wochen ist Österreichs Nationaltheater geschlossen und wird auch vor dem Herbst nicht mehr öffnen können. Einer der meistbeschäftigten Schauspieler am Ring ist Markus Meyer, und er hätte dieser Tage die 200. Vorstellung der seit zehn Jahren laufenden Erfolgsproduktion Das Bildnis des Dorian Gray gefeiert. Meyer gilt als unerschrockener Einspringer – unvergesslich etwa sein kurzfristig anberaumter Auftritt als meinungsstarkes Hausmädchen Toinette in Der eingebildete Kranke. Auch verlangen seine Soloprogramme viel Energie und Temperament. Wie ist es aber, wenn – wie jetzt – die "Temperatur" zwangsläufig hinuntergefahren wird?

STANDARD: Herr Meyer, Sie hätten laut Plan fünf Stücke im Repertoire. Durch Corona sind Sie als Schauspieler aber jetzt "kaltgestellt". Wie überbrücken Sie diese Zeit? Wie verhindern Sie, Texte zu vergessen?

Meyer: Den Text meiner aktuellen Stücke vergesse ich nicht.

STANDARD: Warum nicht?

Meyer: Durch die Proben und Vorstellungen ist der Text in meinen Körper übergegangen. Erst wenn das Stück abgespielt ist, vergisst man.

STANDARD: Der Körper weiß das dann? Wie praktisch!

Meyer: Ja, tatsächlich, der weiß es. Ich hatte einmal den Fall, dass ein abgesetztes Stück nach Jahren wiederaufgenommen wurde. Da war nach drei Probentagen der Text aber zum Glück wieder da.

STANDARD: Theoretisch gedacht wäre es dann also möglich, übermorgen eine Vorstellung am Burgtheater anzusetzen?

Meyer: Ja, klar. Es wäre natürlich aufregend, und vielleicht würde auch nicht alles ganz perfekt ablaufen. Aber ich liebe diese Momente, wenn das System durchgeschüttelt wird. Weil dann alle enorm konzentriert sind, Publikum wie Ensemble. Bei einer Aufführung von Diener zweier Herren versagte die Drehbühne, die für die Szene essenziell war. Ich war allein auf der Bühne, da sackte mir das Herz schon in die Hose. Ich denke in solchen Situationen immer an meinen großen Lehrer George Tabori, der meinte: "Es gibt kein Richtig und Falsch auf der Bühne." Das nimmt mir dann immer meine Angst, das Publikum trägt einen.

STANDARD: Sie hätten in dieser Spielzeit die 200. Vorstellung Ihres seit zehn Jahren erfolgreich laufenden "Dorian Gray" gespielt. Hat mit Corona die Stunde der Soloabende geschlagen?

Meyer: Ich weiß es nicht. Aber ich spiele das gern auch als Doppelvorstellung.

STANDARD: Wie vermeidet man bei 200-mal die Routine?

Meyer: Ich versuche, den Text immer wieder neu zu entdecken. Man altert ja auch mit dem Stück, es wächst mit einem mit. Vor zehn Jahren, mit 39, habe ich den Fokus auf andere Sachen gelegt, Sätze anders gesprochen als heute.

STANDARD: Was fehlt Ihnen jetzt im Stoppzustand als Schauspieler?

Meyer: Das Spiel miteinander, die Möglichkeit, sich zu berühren, das Publikum. Theater ist ein Miteinander. Das merkt man jetzt in den ganzen Videositzungen: Man kann durch die Scheibe nicht hindurchgreifen. Ich nütze daher die Zeit zum Lesen.

STANDARD: Eine Empfehlung?

Meyer: Rebecca Makkais Die Optimisten über die Ausbreitung des HI-Virus im Chicago der 1980er und dessen Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Auch ein Virus, das die Welt verändert hat.

STANDARD: Gab es am Burgtheater bisher Online-Proben?

Meyer: Nein. Aber ich bin als Lehrender an der Muk, der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, mit Online-Unterricht konfrontiert. Sogar die Prüfungen werden via Bildschirm abgehalten. Ich beurteile das Schauspiel der Studierenden auf Basis eines aufgezeichneten Videos. Da sieht man dann ganz deutlich, ob jemand beim Spielen denkt oder nicht, der Fokus ist ein anderer als im Theaterraum.

STANDARD: Der Schauspieler Walter Schmidinger sagte, er habe immer "aus der Substanz seines Nervenkostüms" gespielt. Wie ist es, wenn man ständig nicht spielen kann?

Meyer: Ich singe. Ich gehe auch Stücke durch. Aber es fehlt das Lampenfieber, mit dem steht man an Spieltagen für gewöhnlich schon auf. Diese Betriebstemperatur kann man nicht künstlich herstellen.

STANDARD: Und wie schafft man es dann, vielleicht sogar erst wieder nach Monaten, auf Temperatur zu kommen?

Meyer: Wir sind Profis. Am wichtigsten ist es jetzt, sich bei guter Laune und körperlich fit zu halten. Wir stehen jetzt zwar lange "im Stall", aber bei echten Theaterpferden wird die Energie schnell wieder da sein.

STANDARD: Was erwarten Sie von der kommenden Spielzeit?

Meyer: Ich hoffe so, dass wir nicht von Corona-Themen erschlagen werden. Wir sollten jetzt die Leute unterhalten! Der Spielplan wird sich aber auch nach etwaigen Reisebeschränkungen richten müssen. Viele Fragen sind offen. Am schlimmsten ist es für die kleinen Theater. Ihnen zu helfen wird wichtig sein, und wenn die subventionierten größeren Häuser da helfen können, sollten sie das tun. Die Theaterleute müssen jetzt engen Schulterschluss zeigen.

STANDARD: Wird man auf der Bühne dann immer an Corona denken?

Meyer: Es wird sicher Corona-Schockmomente geben. Wenn Menschen einander auf der Bühne berühren, erwarte ich ein "Ahhh". Berührungen spielen jetzt einfach in einer neuen Kategorie, sie sind besonders und überaus kostbar geworden. (Margarete Affenzeller, 30.5.2020)