Bis zu solchen Szenen bei Konzerten wie hier in der Wiener Stadthalle wird es trotz der Lockerungen noch länger dauern.

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Wien – Die Bundesregierung hat nach dem Ministerrat am Mittwoch weitere Lockerungen der Maßnahmen gegen das Coronavirus angekündigt. So werden mit 1. September Kultur- und Sportveranstaltungen indoor mit bis zu 5.000 Besuchern, outdoor mit bis zu 10.000 Besuchern möglich sein. Voraussetzung dafür ist, neben einer weiterhin guten Entwicklung der Infektionszahlen, ein Präventionskonzept sowie Tracking.

Letzteres sieht die freiwillige Erstellung von Teilnehmerlisten durch die Veranstalter vor und gilt bereits ab eine Größe von 100 Besuchern. "Es geht um das Festhalten von Kontaktdaten auf freiwilliger Ebene", unterstrich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Einhaltung geltender Datenschutzbestimmungen. Dieses Kontaktpersonenmanagement soll es ermöglich, "dass überall dort, wo ein Fall ausbricht, das Umfeld und die Kontaktpersonen schnell eruiert werden können". Hier sei jede Stunde wichtig.

Sitzplätze und Mindestabstand

Weiterhin sind für die Veranstaltungen zugewiesene Sitzplätze Voraussetzung. "Dort habe ich die Struktur, und das Risiko ist ein deutlich reduzierteres", erklärte Anschober. Auch der Mindestabstand ist weiterhin einzuhalten. Zusätzlich sei bei 5.000 beziehungsweise 10.000 Besuchern ein Präventionskonzept zu erarbeiten. "Darin müssen gewisse Grundfragen des Infektionsschutzes geklärt werden, es geht aber bis hin zu Fragen der Zufahrt und des Zugangs", so der Gesundheitsminister.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der auch für die Sport- und Kulturagenden zuständig ist, hob die nun mögliche Planungssicherheit hervor. "Die Veranstalter haben jetzt eine Orientierung, das wird für die meisten eine gute Nachricht sein." Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass es "sehr große Lockerungsschritte" seien, die man in Aussicht stellt. "Es sind Freiheiten, die wir uns alle miteinander erarbeitet haben. Wir sollten sorgsam damit umgehen."

Kritik von Konzertveranstaltern

Wenig Freude haben Veranstalter von Popkonzerten mit den in Aussicht gestellten Veranstaltungslockerungen. "Für uns ist das eine völlige Fehlentscheidung", meinte Ewald Tatar von Barracuda Music, verantwortlich für Konzerte und Festivals wie das Nova Rock. Zentrales Problem sei, dass sich die neuen Möglichkeiten weiterhin nur auf Sitzplatzveranstaltungen beziehen. "Das gibt für uns keinerlei Planungssicherheit her. Es ist ein absoluter Schwachsinn, was man da in unsere Richtung entschieden hat", verwies er auf die Besuchergrenzen von 5.000 indoor respektive 10.000 outdoor, die jeweils zugewiesene Sitzplätze vorfinden müssen. "Außerdem weiß man schon wieder nicht, wie lange das gilt, wir haben ja kein Enddatum gehört." Unabhängig davon bedeute die Regelung "für uns auch im Herbst 100 Prozent Ausfall", so der Konzertveranstalter. "Wir können kein Stehplatzkonzert, das so geplant war, plötzlich zu seinem Sitzplatzkonzert mit Abstandsregeln und was auch immer machen. Offenbar war die Politik noch nie bei einem Stehplatzkonzert, denn sonst kann ich mir nicht erklären, wie man das nun entscheiden kann."

Ähnlich argumentierte man bei Arcadia Live. Man habe die heutige Pressekonferenz "lange herbeigesehnt und aufmerksam verfolgt". Für manche Veranstalter mögen die präsentierten Regelungen eine Erleichterung bringen, "für uns und unser Tätigkeitsfeld ändert sich jedoch nicht wirklich etwas", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Sitzplatzregelungen "tangieren unseren eigenen Veranstaltungskalender – und vermutlich auch jenen vieler KollegInnen im Bereich der 'zeitgenössischen Unterhaltungsmusik' – deshalb kaum bis gar nicht". Eine wirkliche Perspektive für größere Konzerte im Herbst und Winter gebe es daher auch nicht. "Wir warten weiterhin auf konkrete Ansagen zu Stehplatzkonzerten und können dazu erst etwas sagen, sobald es entsprechende Überlegungen und Regularien seitens der zuständigen Behörden gibt", so Arcadia Live. Gleichzeitig erklärte man, bereits an allen nötigen Sicherheitskonzepten zu arbeiten. "Sobald wir eine Möglichkeit für unsere Veranstaltungen sehen, werden wir natürlich all das umsetzen."

Umweltmediziner einverstanden

Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter hält die am Mittwoch angekündigte Lockerung der Corona-Beschränkungen für Sport- und Kulturveranstaltungen für notwendig und vertretbar. Die Aufhebung dürfe jedoch keinesfalls ohne flankierenden Maßnahmen erfolgen, sagte Hutter im ORF-Radio. Ganz klare Sicherheitskonzepte wären notwendig. "Denn wir müssen die Gesellschaft als Ganzes vor einer unkontrollierten Ausbreitung schützen." Dementsprechend hätten auch die Veranstalter, speziell wenn es um größere Menschenansammlungen geht, eine besondere Verantwortung.

In geschlossenen Räumen wie Konzerthallen seien die Schutzmaßnahmen besonders zu beachten, betonte Hutter, der in Innenräumen bei der Unterschreitung des Ein-Meter-Sicherheitsabstandes Masken für notwendig hält. Ein wichtiger Faktor seien außerdem gut funktionierende Lüftungsanlagen. Die Durchführbarkeit aller Maßnahmen müsse man sich aber jeweils einzeln anschauen. Das Führen von Teilnehmerlisten bezeichnete er für die schnelle Rückverfolgbarkeit als ein geeignetes Mittel.

Bis Herbst unveränderte Regeln

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte am Mittwoch, dass die skizzierten Schritte nur dann umgesetzt werden können, "wenn die Entwicklung weiter eine gute ist". Mit aktuell 474 aktiven Erkrankten stehe man im europäischen Vergleich sehr gut da. "Wir evaluieren die Öffnungsschritte, bisher haben wir neun große hinter uns gebracht", so Anschober. Bis zum heutigen Tag sei es bei keinem der Öffnungsschritte zu einem spürbaren Anstieg der Infektionen im betroffenen Bereich gekommen, "deswegen trauen wir uns den nächsten Schritt zu und wollen zweitens mit dem heutigen Tag eine Planungsperspektive bieten".

An den bis Herbst geplanten Lockerungen für Veranstaltungen ändert sich unterdessen nichts: Ab 1. Juli sind indoor 250 und outdoor 500 Personen erlaubt, mit 1. August erhöhen sich diese Zahlen auf 500 beziehungsweise 750. Legt der Veranstalter ein entsprechendes Sicherheitskonzept vor, steigen die mögliche Kapazitäten nochmals auf 1.000 respektive 1.250 Personen. (APA, 24.6.2020)