"Also in der Oper gehört der Rucksack verboten, die kurze Hose verboten, alles verboten. In der Oper soll man sich entsprechend anziehen": Marianne Kohn

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Grüß Sie, Frau Kohn….

Kohn: … Hörst, normal schlaf ich um die Zeit! Aber jetzt hab ich mich extra angezogen für Euch, die Krone darf ich nicht vergessen, eine Kinderkrone um 12 Euro, schaut aber aus wie von Dolce & Gabana, oder? Darf ich die Brille aufsetzen, meine Yoko Ono?

STANDARD: Aber sicher.

Kohn: Wollt ihr mich auch van hinten?

STANDARD: Gerne.

Kohn: Das Kleid hab ich selbst gemacht, das sind eigentlich Punkkleider. Ich hab welche gemacht mit FUCK drauf oder mit verschiedenen Punkbands. Kaum hab ich angefangen damit, hab ich schon 150 Stück verkauft.

STANDARD: Nichts gegen Punk, aber wir wollen über Ihre Leidenschaft Oper reden. Sie haben selbst eine gute Stimme, die Ihnen im Bargewerbe sicher zugute kommt.

Kohn: Ja, aber leider keinen Sopran, sondern Alt. Und die sterben in der Oper nie. Ich hab wollen Gesang studieren, und am Konservatorium haben Sie mir eben gesagt, ich hab eine Altstimme. Das ist das Fürchterlichste! Weil da bist du in der Oper immer nur die Mutter, die Dienerin oder irgendeine Sklavin, aber du stirbst nie einen dramatischen Operntod. Da hab ich gesagt: Na danke, Mutter und Sklavin ist nichts für mich. Das wars.

STANDARD: Sie gingen schon als Kind in die Oper – wie kam’s?

Kohn: Mit dem Vater bin ich zum ersten Mal da hin gegangen, der Direktor war da glaub ich schon der Karajan. Früher hat es gegeben in der Oper so Claqeuere, und da waren meine Eltern halt dabei. Aber mit einem Mozart darfst nicht anfangen, das ist ein Schas, da musst du schon anfangen mit den Italienern. Wenn ich als Kind zu Wagner oder Mozart gegangen wär, wäre ich nie wieder in die Oper gegangen. Andererseits kannst du bei Oper nur einsteigen als Kind. Meine Enkerl – die Hälfte schläft ein, wenn ich die mitnehme. Die andere Hälfte fragt: Wann ist endlich aus? Wann stirbt sie endlich?

STANDARD: Was war dann Ihre erste Oper?

Kohn: Das war die Bohème, aber noch auf Deutsch gesungen, und das war fürchterlich eigentlich. Der Rudolf Schock, glaub ich, war der Rudolph. Die nächste Bohème an der Staatsoper hat dann aber der Zeffirelli gemacht, die läuft immer noch, und die ist wahnsinnig schön, und die war dann endlich auf Italienisch. Der Karajan hat Stagione Lirica ans Haus gebracht, Opern im Orignal. Der war ein Wahnsinn natürlich.

STANDARD: Sie kommen aus bürgerlichem Haus?

Kohn: Naja, verarmte Juden ohne Geld halt, denen alles weggenommen worden ist. Wien war so grauslich nach dem Krieg. In die Schule bin ich gegangen in die Zedlitzgasse da im Ersten, mich haben sie aber rausgschmissen aus allem, ich hab nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Kennst du den Edek Bartz? Der ist mit mir in die Klasse gegangen. Immer, wenn ich den treffe, sagen wir: Schau, wir haben beide Hauptschule B-Zug abgebrochen, und aus uns ist trotzdem was geworden (lacht schallend). Ich kenn so viele Künstler, die haben alle keinen Abschluss.

STANDARD: Ist das ein Aufruf an die Jugend? Immobilieninvestor Benkö ist auch vor der Matura ausgestiegen …

Kohn: Na bitte, den brauch i net! Bei uns war es halt so, dass sich nach dem Krieg keiner gekümmert hat von den Eltern. Da war so ein Einkaufzentrum im Dritten, da haben wir uns alle getroffen, wir haben nicht einmal geraucht oder getrunken. Wir sind halt nicht in die Schule gegangen.

STANDARD: Sie sind dann mit 17 nach Italien und haben mit Pasolini und Fellini gearbeitet.

Kohn: Jo. Aber du warst halt Filmcutter bei denen, einer von fünf. Du hast die Filmrollen gekriegt, und mit den weißen Handschuhen hast halt geschnitten. Klar hast mit den Regisseuren zu tun gehabt, aber das war Handarbeit mit zerschnittenen Händen.

STANDARD: Italien war Ihre Rettung?

Kohn: Die Oper und Italien. Das Italienische ist halt meins, Belcanto und Verismo. Ich kenn alle Opernhäuser Italiens, Palermo, Neapel, La Fenice, in der Scala war ich oft. Ich hab ja viele Freunde gehabt, die Opernsänger waren, die haben mir geschrieben, wann sie wo sind. Hast halt telefoniert mit dem Vierteltelefon (lacht), war doch wurscht, bist nie durchgekommen. Ich hab geglaubt, ich werd wahnsinnig, das war dauernd besetzt!

STANDARD: Sind Sie immer noch gerne dort?

Kohn: Na! Vor ein paar Jahren war ich wieder in Rom, hab es nicht mehr erkannt, das war so abgefuckt, so billig. Der Werner Herzog hat dort I due Foscari vom Verdi gemacht, eine irre fade Oper, und der Lucky, sein Bruder, den ich gut kenne, hat gesagt: Da kommst auch hin! Aber die Via Veneto – früher waren dort Rolls Royce und Lamborghini, jetzt ist dort ein Hardock Café. Das Hotel Excelsior ist eine total abgefuckte Bruchbude. Auf der Piazza Navona wollen dich alle Kellner in ihr Lokal ziehen, alle Straßen kaputt. Ich hab nur noch heimfahren wollen.

STANDARD: Puccini bleibt trotzdem Ihr Liebling?

Kohn: Ja, kann man sagen, der ist ein Traum! Ich hab einmal sein Haus besucht mit meinem Vater, der hat in Torre del Lago gewohnt am Lago di Massaciuccoli, aber er war leider Jäger, und ich bin Vegetarier …

(Frau Kohn kramt alte Operbilder heraus)

Kohn: Da schau, einmal zufällig war ich am Flohmarkt und hab diese Bilder da gekauft, die geb ich jetzt weg. Nur die mit Widmung behalte ich.

STANDARD: Wer sind die?

Kohn: Lauter Sänger von früher, ich weiß gar nicht, ob die noch leben. Schau, "La Traviata 1959", bist du deppert, das war eine Freundin von mir, Anonietta Stella hat die geheißen. Das ist die Callas.

STANDARD: Auch eine Freundin?

Kohn: Na. Aber g’sehn hab ich sie mit meinem Vater zusammen, ins Sacher sind wir gegangen, aber das war mir damals in dem Alter wurscht eigentlich, ich war dreizehn. Das da ist ein Mezzosopran, Giulietta Simionato hat die geheißen, ein Superstar damals. Und da schau, das ist die Renata Tebaldi, das war ein Supersopran; und der da war ein Superdirigent, der Tullio Serafin. Das da ist die Tebaldi in Schwester Angelica vom Puccini, und das ist der André Chénier…

STANDARD: Und wer ist er?

Kohn: Der Gianni Raimondi! Der hat die Premiere gesungen vom Zefirelli seiner Boheme in Wien 1963 mit der Mirella Freni, beide schon tot. Der war damals ein Wahnsinn.

STANDARD: Waren´s a bisserl verliebt in ihn?

Kohn: Ich glaub, mit dem hab ich sogar was gehabt … (lacht schallend), zu 99 Prozent hab ich mit dem was gehabt, der war fesch damals! Naja. Die Jugend der Frau Kohn… Da haben wir noch ein paar so Schastrommeln: Das ist der Cesare Siepi, das war ein wahnsinnig guter Bass.

STANDARD: Haben’S mit dem auch was gehabt?

Kohn: Wos? Na. So weit samma net gegangen, nicht mit einem Bass!

STANDARD: Sie kamen dann wieder zurück nach Wien und wurden zur bekanntesten Barkeeperin der Stadt.

Kohn: Ich hätte sollen einen italienisch-kanadischen Filmschauspieler heiraten, da war ich Mitte zwanzig und bin nach Wien gefahren, um meine Papiere zu holen. Dann bin ins Voom Voom gegangen – oder ins Vanille? – und hab mich da verliebt in meinen heute ehemaligen Mann, bin schwanger geworden, das war´s. Super! Der hat ein Jahr auf mi gewartet, der Trottel. Da hab ich gar keine Oper mehr gehört in der Zeit. Bis ich dann bei der Oper ein Lokal gehabt hab, das La Divina. In der Zeit hab ich wieder mit Oper angefangen, nach zwanzig Jahren Pause. Nur dass der Meyer so viel Ballett gespielt hat, das war nichts für mich, beim Ballett schlaf ich ein.

STANDARD: Der Nurejev war nichts für Sie?

Kohn: Naja, der schon. Den hab ich ja gekannt, der war ja immer im Motto. Und einmal hab ich ihn zufällig am Naschmarkt gesehen bei den Strichern, das war ihm ein bisserl peinlich, glaub ich.

STANDARD: Wie geht’s Ihnen mit dem Opernpublikum?

Kohn: Also in der Oper gehört der Rucksack verboten, die kurze Hose verboten, alles verboten. In der Oper soll man sich entsprechend anziehen. Früher bin ich sogar ins Kino elegant gegangen, für Kultur soll man sich schön anziehen. Aber ich hab mit dem Publikum dort nix zu tun, ich bin halt schön angezogen.

STANDARD: Wie schauen Ihre Opernpläne nach dem Corona-Lockdown aus?

Kohn: Naja, und dann geh ich im Herbst zur Premiere, wieder Butterfly, eine wahnsinnig gute Inszenierung von der Met in new York, also die Wiener werden sich anscheißen. Die Butterfly schaut aus wie eine Punkerin, die hat einmal die Salome in Salzburg gesungen, und die hat erzählt, wie ihre Mutter schwanger mit ihr war, eine Sängerin aus Litauen glaub ich, hat sie schon immer Butterfly im Bauch gehört. Die ist wirklich gut.

STANDARD: Die Met kennen Sie gut?

Kohn: Ja freilich, ich war ja oft beim Helmut (Lang) in Amagansett, aber das Amerika ist nicht meines, obwohl zwei meiner Enkerl amerikanische Staatsbürger sind, die sind aus Lousiana, lieben Amerika und fahren gerne zu den Großeltern in Baton Rouge. Aber ich muss nicht hin, vor allem solange der Trump dort ist, den braucht echt keiner. Die Met ist gut, aber die Staatsoper ist besser. In New York singen auch ganz schlechte Sänger.

STANDARD: Der Opernball gehört auch zur Wiener Staatsoper. Gehen Sie hin?

Kohn: Weißt, was das Problem ist? Das war ein Ball der Künstler, der war einmal wirklich gut, da habens pudert in der Loge, das kannst du dir nicht vorstellen.

STANDARD: Sie mittendrin?

Kohn: Na, ich hab´s nur gehört. Aber der Ball ist im Lauf der Zeit immer schlechter worden, die Hälfte der Frauen schauen aus wie Nutten, ein Albtraum. Wer geht freiwillig am Opernball? Würdest du gehen? Ich würd mich umbringen vorher. (Manfred Rebhandl, 1.8.2020)