Der Steinway scheppert wie ein Kinoklavier: Sokolov am Werk.

Foto: Mary Slepkova

Seit Jahren erlebt man Grigory Sokolov als Meister des Ebenmaßes, der alle Töne gerundet zu eleganten Perlenketten zu fädeln weiß. Im Falle von Wolfgang Amadeus Mozarts Präludium (Fantasie) und Fuge C-Dur KV 394 wurden die Perlen allerdings zu marmornen Murmeln, "Schussern", wie sie einst als Schiffsballast verkauft wurden.

Besonders die Fuge, mit ihren immer wieder aufwärts drängenden Linien, ist keineswegs so akademisch, wie Sokolov sie im Großen Festspielhaus in Salzburg exekutiert hat. Des großen, des hochverehrten Pianisten Tendenz zum Statuarischen im Auftreten scheint sich mit den Jahren auch im Interpretatorischen niederzuschlagen.

Wie wenig Ebenmaß das Maß aller Dinge ist, zeigte sich auch in Sokolovs Interpretation der Sonate für Klavier A-Dur KV 331 (Alla Turca). Die Variationen über das wiegende Thema des ersten Satzes waren einander in Dynamik und Tempogestaltung zu ähnlich, als dass unter der oberflächenversiegelten Grundhaltung ihre betörende Tiefe zur Wirkung gekommen wäre.

Sogwirkung und Staunen

Im dritten Satz ("Alla turca. Allegro"), der meist mit Getöse und klingendem Spiel daherkommt, wirkte das trotzige Gleichmaß dagegen fast schon aufmüpfig. Und bei den tiefen Trillern ließ Grigory Sokolov den Steinway scheppern wie ein altes Kinoklavier.

Mit zwingender Sogwirkung aufgebaute Linien, Momente bewegten Staunens, gab es erst im Rondo für Klavier a-Moll KV 511. Das keineswegs düstere, sondern von Herbst- und Trauerfarben überschattete Meisterwerk gestaltete Meister Grigory Sokolov mit delikater Sfumato-Technik. Diese kam auch einigen von Robert Schumann Bunten Blättern op. 99 zugute. Immerhin der zweite Block der insgesamt 14 Preziosen, daraus ganz besonders der Marsch Nr. 11 und die Abendmusik Nr. 14 waren Charakterstücke mit allen Farben, Lichtern und Schatten der Romantik.

Beeindruckend, wie immer bei Sokolov, die "dritte Konzerthälfte" mit sechs Zugaben von Brahms’ Intermezzo op. 118/2 über Chopin und Skrjabin bis zu Johann Sebastian Bachs Choralpräludium Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639. Dem ist zu Festspielzeiten im Corona-Modus nichts hinzuzufügen. (Heidemarie Klabacher, 6.8.2020)