Gesundheitsminister Rudolf Anschober soll mehr Befugnisse für künftige Lockdown-Verordnungen erhalten.

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Nach dem Stauwochenende an Kärntens Südgrenze wegen des Verordnungswirrwarrs zwischen Bund und Land tut sich für Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Eindämmung der Corona-Pandemie neue Kritik auf: Denn mit Freitag läuft die Begutachtungsfrist für die Reparatur des Quasi-Ausgehverbots aus, das bis zum 30. April galt und das der Verfassungsgerichtshof im Juli nachträglich als gesetzeswidrig qualifiziert hat. Bekanntlich waren im Frühjahr nur vier Ausnahmen für den Gang ins Freie vorgesehen – und zwar Arbeit, Hilfsleistungen, Besorgungen und Spaziergänge.

Im Falle eines erneuten Lockdowns, den die Regierung jedoch unbedingt vermeiden will, räumt der Gesetzesentwurf dem Gesundheitsminister noch weitreichendere Befugnisse ein – weswegen die Opposition für den Worst Case noch gravierende Änderungen moniert.

Zumal das Höchstgericht das verordnete Betretungsverbot für den öffentlichen Raum als zu weitgehend gegenüber dem Covid-19-Maßnahmengesetz erachtet hat, schwebt der Regierung nun eine Änderung von Paragraf 2 des Gesetzes vor. Dort soll festgehalten werden, dass künftig durch Verordnung das Betreten von "1. bestimmten Orten oder 2. öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit geregelt werden kann, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 erforderlich ist".

Stillstand per Verordnung

Entsprechend der epidemiologischen Situation könne festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit und zu welchen Voraussetzungen und Auflagen Orte betreten werden dürfen, heißt es, und: "Weiters kann das Betreten gänzlich untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen." Aber: "Dabei sind ausreichende Ausnahmen von einem generellen Betretungsverbot vorzusehen."

Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak sieht darin ein Festschreiben von dem, was Anschober beim ersten Lockdown veranlasst hat – "und was er gemäß bestehender Gesetzeslage gar nicht hätte tun dürfen". Das bedeute für einen einzigen Minister "eine unfassbare Machtfülle", mit der er auf dem Verordnungsweg ein erneutes Herunterfahren des öffentlichen Lebens erwirken könne.

Einbindung des Parlaments gefordert

Scherak hält das aktuelle Wording im Entwurf vor dem Verfassungsgerichtshof wieder für anfechtbar – und er fordert Änderungen, konkret "Kontrollmechanismen", ein: Auch andere Regierungsmitglieder müssten bei allfälligen erneuten Betretungsverboten und damit tiefgreifenden Grundrechtseinschränkungen eingebunden sein. Und zu alledem müsste der Hauptausschuss des Parlaments sein Einverständnis geben.

Selma Yildirim, Justizsprecherin der SPÖ, befand bereits, dass Türkis-Grün aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs "nicht viel gelernt hat". Weiterhin seien die Regelungen zu Betretungs- beziehungsweise Aufenthaltsverboten unklar. Dabei wäre genug Zeit gewesen, das verfassungskonform anzugehen, so Yildirim.

Hochgradig verwirrend

Harsch fällt auch der Befund des Verfassungsexperten Bernd-Christian Funk aus: "Ein legistisches Meisterwerk ist das sicherlich wieder nicht", sagt Funk zum STANDARD und spielt damit auf die vielfach verunglückten Corona-Vorschriften aus dem Gesundheitsministerium an. In dem neuen Entwurf sei die Unterscheidung zwischen bestimmten und öffentlichen Orten "hochgradig verwirrend" – auch weil es sich bei den beiden Kategorien nicht um Begriffe handle, die einander logisch ausschließen. Unter den bestimmten Orten seien wohl nur solche zu verstehen, die nichtöffentlich sind, also etwa Privatwohnungen oder Betriebsstätten. Jedenfalls aber seien die Regelungen "nicht besonders einleuchtend und verständlich" formuliert.

Funk hegt zudem ebenfalls Zweifel daran, dass die vom Gesetzesentwurf ermöglichten umfassenden Ausgangsbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar sind. Denn derartig schwere Eingriffe in die Bewegungsfreiheit, Selbstbestimmung und das Privatleben müssten nach den strengen Maßstäben von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden. In den vorläufigen Gesetzestext sei allerdings ein "hohes Maß an Unbestimmtheit" eingeflossen.

Funk sieht dahinter eine Botschaft an den Gesundheitsminister, der für die spezifischen Verordnungen zuständig ist: Dieser bekomme zwar prinzipiell ein sehr weites Feld zur Einschränkung von Grundrechten, müsse diese Eingriffe im konkreten Fall dann aber möglichst präzise eingrenzen. Andernfalls werde das Höchstgericht die Betretungsverbote erneut kippen, warnt Funk. (Theo Anders, Nina Weißensteiner, 25.8.2020)