Stephan Pauly: "Man muss wirtschaftliche Überbrückungslösungen finden, sonst geht das gar nicht."
Wolf-Dieter Grabner

Der in Köln geborene Kulturmanager Stephan Pauly hat als Chef der Salzburger Mozartwoche bewiesen, dass er raffiniert Tradition und Moderne verbinden kann. Auch als Leiter der Alten Oper Frankfurt konnte er prägnante Projekte initiieren – etwa mit dem Performance-Star Marina Abramović. Als neuer Chef des wieder Musikvereins will er evolutionär vorgehen und die Qualitäten des Hauses in die Zukunft überführen. Vordringlich sei aber, so Pauly, dass es nun wieder Kultur gibt und ein gutes Sicherheitskonzept die kommende Saison und interessante Erlebnisse ermöglicht.

STANDARD: Die Saison im Musikverein beginnt bald unter besonderen Bedingungen. Haben Sie ein gutes Gefühl, können Sie dem Publikum Sicherheit bieten?

Pauly: Wie alle Kulturinstitutionen haben auch wir ein detailiertes Konzept vor und hinter der Bühne. Das bedeutet bei den Eckdaten: 1.200 Leute dürfen in den Goldenen Saal, es gibt Konzerte ohne Pause und ein System, das ihnen, wenn sie zu uns kommen, Orientierung bietet, wie sie auf ihren Platz geführt werden, ohne dass es zu Ansammlungen kommt. Im Hintergrund gibt es natürlich auch ein ausgefeiltes Hygienesystem.

Durch die Initiative von Bundestheater-Holding-Chef Christian Kircher gab es die Zusammenarbeit aller großen Kulturinstitutionen betreffend eines Grundkonzepts. Es war eine sehr gute Initiative, die den Kontakt mit dem Bund und dem Land betraf. Die Rahmenbedingungen werden ja von beiden bestimmt: Die Lockerungen definiert der Bund, die Genehmigungen der Konzepte aber die Magistrate.

Ja, ich habe ein gutes Gefühl. Es gibt zwar keine Pausen, und manche Programme haben sich geändert. Nun öffnet der Musikverein aber endlich seine Pforten, und erstaunlicherweise können wir ein vitales Konzertleben anbieten, das nicht weit weg sein wird von dem, woran man erlebnismäßig gewöhnt ist. Man kann sich auf einen tollen Musikherbst freuen.

STANDARD: Ihre Maskenerfahrungen?

Pauly: Ich was bei den Salzburger Festspielen, habe Konzerte und Opernaufführungen besucht, und ich kann sagen: Die Umstände sind etwas anders, aber das Erlebnis, so wie man es kannte, ist nicht weit weg. Ich habe die Maske manchmal aufbehalten, dann wieder runtergenommen. Ich fand beides unproblematisch.

STANDARD: Konzerte ohne Pausen: Ist das die Zukunft?

Pauly: Wir alle sehnen uns zurück zu einer Situation, in der wieder normal gespielt werden kann. So gesehen sind die Konzerte ohne Pause eine Form der Überbrückung, die aber ihren Wert hat. Das kann sehr schön sein, man konzentriert sich anders. Man muss einfach auch dankbar sein, dass in Österreich die Möglichkeit besteht, mit 1200 Leuten veranstalten zu können, dass Klassik auf diesem Niveau stattfinden kann. Die kleinen Kompromisse mit Konzerten ohne Pause gehören da einfach dazu.

STANDARD: Die vierfarbige Ampel wird keinen Strich durch die Rechnung machen?

Pauly: Also, die grüne Stufe kennen wir sehr gut, auf sie hin haben wir den Saisonstart ausgerichtet. Das bedeutet, dass wir ein tolles Konzertleben ermöglichen können – unter allerdings wirtschaftlich schwierigen Bedingungen. Aus Besuchersicht ist das aber der Musikverein, wie er früher war, nur unter etwas veränderten Bedingungen. Bei Gelb gibt es Gott sei Dank nur einen Unterschied zu grün: Masken müssen auch während des Konzertes getragen werden, ansonsten ändert sich gar nichts.

STANDARD: Bei der Farbe Orange?

Pauly: Da reden wir schon über eine Maximalzahl von 250 Besuchern. In den Neuen Sälen könnten wir auch mit dieser Vorgabe ungestört weiterspielen, wir haben in dem Bereich ja viele Konzert mit starken Programmen. Das gilt auch für den Musikvermittlungsbereich der Kinderkonzerte, auch da mache ich mir keine Gedanken. Aber für die Konzerte im Goldenen Saal und im Brahmssaal würde man dann sehr genau schauen müssen, was noch möglich ist. Aber ganz ehrlich: Freue wir uns einmal, dass selbst auf der gelber Stufe ein Konzertgeschehen möglich ist. Das hätte vor zwei Monaten noch niemand zu träumen gewagt.

STANDARD: Wie sehen Sie die Stellung des Wiener Musikvereins im Angebot der Stadt grundsätzlich?

Pauly: Grundlegend ist, dass eine Kulturinstitution Programme bietet, die Profil haben, damit klar ist, wofür die Institution steht. Man trägt damit zum Angebot der Stadt bei. Natürlich gibt es auch die internationale Bedeutung des Musikvereins mit einem der berühmtesten Säle der Welt. Ein Unterschied zu allen anderen sind auch unsere Sammlung, unser Archiv und die Bibliothek. Ein großer Schatz! Er unterscheidet uns von allen anderen weltweit. Also wollen wir weitere Möglichkeiten schaffen, diesen Schatz mit unserem Konzertleben zu verknüpfen. Wie mein erstes Saisonprogramm aussehen wird, kann ich jetzt noch nicht verraten, das möchte als Gesamtheit präsentieren.

Es wird hoffentlich eine Anzahl von Ansätzen beinhalten, die versuchen, diese traditionsreiche Institution organisch weiterzuentwickeln. Wir denken darüber nach, wie das Hauptgeschehen der Abonnements ergänzt werden kann, wie wir es in ein anderes Licht stellen können. Dies geschieht aber mit dem Willen, alles über die nächsten Jahre hin organisch geschehen zu lassen, in einer Art Evolution.

Die Institution steht in solch einer Blüte! Mein Vorgänger Thomas Angyan hat in über 32 Jahren international eine unvergleichliche Dichte an Angeboten geschaffen, da gibt es keine Notwendigkeit der Verbesserung. Vielleicht aber die Möglichkeiten, Dinge hinzutreten zu lassen – mit einem guten Gefühl für Balance. Ich brenne dafür, diese Institution zu entwickeln, weiter mit Leben zu befüllen, was dieses Haus ausmacht.

Die großen Zyklen werden bleiben, die gehen nahtlos weiter. Man soll sich hier zu Hause führen, an diesem Ort mit seiner enormen Aura. Was sich hier historisch ereignet hat, ist auch für die Künstler eine Besonderheit. So werden wir das europäische Musikerbe weiter pflegen. Es geht ja nicht um mich, sondern um die Institution. Ich will das Erbe in die Zukunft führen. Ich habe in meinen früheren Tätigkeiten viele ungewöhnliche Formate entwickelt. Aber die Formate sind kein Selbstzweck. Ich suche das nicht als Effekt.

STANDARD: Traditionell ist der Musikverein nicht sehr hoch subventioniert. Muss sich da was ändern?

Pauly: Sie können sich vorstellen, dass, wenn statt 2000 nun 1.200 Menschen zu Konzerten dürfen, die Einnahmen drastisch beschnitten werden. Man muss also wirtschaftliche Überbrückungslösungen finden, sonst geht das gar nicht. Somit sind alle Teilnehmer am Klassikgeschehen bemüht, eine Lösung zu finden, um das alles zu überbrücken. Das sind natürlich vertrauliche Gespräch, aber was ich sagen kann: Ganz viele Konzerte werden doppelt gespielt, und im Dialog merkt man, dass bei den Künstlern eine große Beweglichkeit entstanden ist, dass sich alle freuen, wieder Musik zu ermöglichen.

STANDARD: Und die Subventionen?

Pauly: Diese liegen bei zwei Prozent und sind uns wertvoll und wichtig. Die möchten wir keinesfalls missen, sie sind ein wichtiger Baustein, aber die Situation ist nicht leicht bewältigbar. Auch bei uns entstehen erhebliche finanzielle Einbußen. Wir nehmen Hilfe vom Non-Profit-Fonds in Anspruch, auch haben wir von der Kurzarbeit profitiert. Zudem nutzen wir die Umsatzsteuerreduktion. Aber das zentrale Problem ist: Diese Hilfen adressiert die Kosten des Betriebes, die uns entstanden sind. Das zentrale Problem sind aber die einbrechenden Einnahmen, und diese werden von den erwähnten Hilfsangeboten nicht adressiert.

Das ist eine konzeptuelle Entscheidung, die der Staats getroffen hat. Für Institution unseren Zuschnitts wird das Problem der Einnahmenausfälle bei Tickets und Vermietungen so aber nicht abgedeckt. Das ist es, worüber ich mit der öffentlichen Hand im Gespräch bin. Über Summen kann ich nichts sagen, weil die Situation sehr dynamisch ist. Es ist wirklich die Wahrheit: Wir lernen von Woche zu Woche, mit der Pandemie umzugehen. Wir denken für die Zukunft verschiedene Szenarien durch.

Aber es gibt so viele Unbekannte, sodass wir die Szenarien Woche für Woche neu beobachten müssen. Dennoch: Jetzt haben wir die Pandemie intelligent in den Griff bekommen – mit einem souveränen Konzept. Wir freuen uns, in Saison starten zu können, Kultur geht wieder. Das Kulturleben kehrt zurück, man kann Kultur wieder genießen. (Ljubiša Tošić, 10.9.2020)