Am Sonntag ist Musicaltag an der Volksoper, Premiere von "Sweet Charity".

Barbara Pálffy

Es wäre höflich gewesen, Robert Meyer noch ein paar Jahre als Volksopernchef zu gönnen. Angesichts der speziellen Corona-Bedingungen, von denen niemand weiß, wie lange sie das Kulturleben strukturell und finanziell belasten werden, hätte mit dem Bedarf an Stabilität argumentiert werden können. Nach dem Motto "Mitten im Fluss wechselt man die Pferde nicht" würde Meyer das Volksopernschiff weiter durch unsichere Zeit führen, so in etwa hätte die Sprachregelung klingen können. Tatsächlich verlässt er aber das Haus nicht sofort, hat noch zwei Spielzeiten, um zu zeigen, was ihn ausmacht. Als Krisenmanager hat er sich bewährt, es bleibt Gelegenheit, dies zu untermauern. Dann wird er ganze 15 Jahre Direktor gewesen sein und kann auf eine respektable Bilanz zurückblicken. Meyer hat die Volksoper stabilisiert.

Das war wichtig. Vor Meyer war die Volksoper ein etwas orientierungsloses Haus geworden. In fernen Zeiten, als noch Ioan Holender beide Häuser leitete, glänzte gar Plácido Domingo am Gürtel. Der Tenor sang an der Volksoper in Puccinis Mantel, um nach einer öffentlichkeitswirksamen Straßenbahnfahrt in der Staatsoper in Pagliacci zu morden.

Fast Staatsoperniveau

Als dann Nikolaus Bachler, bevor er ans Burgtheater ging, Kurzzeitdirektor wurde, betrieb er quasi auch Volksoper mit Staatsopernambitionen: Es gab grandiose Meistersinger-Premieren mit Kapazitäten wie Falk Struckmann und Johan Botha, Christine Mielitz inszenierte virtuos. Es war mitunter zum großen Haus kaum ein Unterschied zu erkennen, nur finanziell wurde wohl ein Grenzgang beschritten. Spätere Modernisierungsversuche (von Dominique Mentha) versandeten leider in nur theoretisch reizvollen Konzepten. Auch Direktor Rudolf Berger ging, bevor er echtes Profil entwickeln konnte.

Der historische Exkurs zeigt: Plötzlich glich das Haus einem etwas orientierungslosen Schiff, das seine Identität suchte und Robert Meyer fand. Als er kam, war Krise, bald jedoch bemühte niemand mehr diesen Begriff. Abseits spektakulärer Experimentierlust stabilisierte Meyer die Volksoper, definierte sich selbst als an Produktionen teilnehmende Identifikationsfigur. Tatsächlich sorgte sie auch für darstellerische Glanzlichter.

Kontinuierlich hohes Niveau

Mit den Jahren zeigte sich allerdings, dass versäumt wurde, musikalisch ein kontinuierlich hohes Niveau zu halten. Mit einem profilierten Musikchef wäre einiges zu gewinnen gewesen, selbiger hätte das vokale Mittelmaß, das sich breitmachte, beheben können. Meyer wollte jedoch keinen. Leider. Nicht einmal bei Operetten verzauberte eine Qualität, die einem das Gefühl vermittelt hätte, dieses Genre würde zur Kernkompetenz des Hauses gehören.

Im Schwitzkasten von Staatsoper und Theater an der Wien wurde die Volksoper zum Haus, von dem man das musikalisch Besondere nicht mehr erwartet. Klar, Stars konnte man sich selten leisten, gute Sänger wechselten zur Staatsoper. Es schien dem Haus jedoch auch das Gespür für Talente abhandengekommen zu sein, die man abholt, bevor sie entdeckt und unbezahlbar werden.

Frage der Identität

Die Auslastung von zuletzt an die 90 Prozent erreichte man zusehends auch eher mit kulinarischen Programmen, oft mit – dann aber auch niveauvollen – Musicalproduktionen. Ja, als respektabel noch in frischer Erinnerung: Der fliegende Holländer; gelungen die Familienoper Das Gespenst von Canterville wie auch manch Werk der Moderne, das ins Kasino am Schwarzenbergplatz ausgelagert wurde. Gut und toll: Altmeister Achim Freyer inszeniert 2021 Don Giovanni. Hinter all dem lauert aber immer wieder die Frage, was dieses Haus langfristig eigentlich sein, wie es auch für Jüngere relevant bleiben und mit der städtischen Konkurrenz mithalten soll.

Die Fragen werden hinkünftig nicht kleiner werden. Mit Staatsopernchef Bogdan Roščić kommt neue Dynamik in die Stadt. Das Theater an der Wien, bisher schon das regiemäßig spannendste Haus, wird unter Meisterregisseur Stefan Herheim sicher nicht nachlassen, was hochkarätige Opernabende anbelangt. Die Volksoper, so sie nicht musikalische Exzellenz erlangt, wird es schwer haben, nicht wie der selbstgenügsame Spitzenreiter einer zweiten Musiktheaterliga zu wirken.

Wer immer Meyer beerbt, übernimmt also ein Haus, das sein Potenzial nicht auszuschöpfen scheint. Meyer hat das Haus konsolidiert, die Frage nach der langfristigen Identitätssicherung aber nur neutralisiert. Wenn aber schon die Staatsoper Fragen nach ihrer eigenen Relevanz (auch für junges Publikum) stellt, muss sich die Volksoper diese Frage erst recht stellen. Wer immer Meyers Nachfolger wird, muss die Staatsoper eigentlich imitieren. Ein Opernstudio für junge Sänger, ein Musikchef, der ein sehr gutes Orchester auch als solches präsentiert. Es würde helfen.

Die große Lösung

Sicher hätte auch Meyer Ideen gehabt, Staatssekretärin Andrea Mayer hat ihm aber kein Hearing gegönnt. Sie will Veränderung. In welche Richtung, ist nicht klar, gewiss bleibt die Frage der finanziellen Ausstattung aber eine relevante für die gesamten Bundestheater. Das schon ewig evidente finanzstrukturelle Problem der mit den Kosten nicht mitsteigenden Subventionen wird in dieser anspruchsvollen Zeit noch schmerzhafter wirken. Es betrifft nicht nur die Bundestheater. Es sind alle Kulturbereiche betroffen.

Womöglich verlangt dies einen großen Wurf, womöglich einen Rettungsschirm für die Kultur. In Vergleich dazu scheinen die Probleme der Volksoper, die am Sonntag mit dem Musical Sweet Charity die erste Premiere der Saison bringt, winzig. Aber es gibt sie, und sie bräuchten auch einen recht großen Wurf. Es soll ja nicht irgendwann heißen, man könne die Volksoper getrost unter die Obhut der Staatsoper stellen, die sich ja tatsächlich eine zweite Spielstätte wünscht. Besondere Zeiten, besondere Ideen: Der Volksopernchor probt mit Abstand, während die Politik von einer Verlängerung des Vertrags von Robert Meyer Abstand nahm. (Ljubiša Tošic, 11.9.2020)