Lisa Habermann (als Charity Hope Valentine), Axel Herrig (als Vittorio Vidal) und Nicolaus Hagg (als Manfred) in "Sweet Charity" in der Wiener Volksoper.

Foto: Barbara Pálffy/Volkstheater

Draußen drängt es sich ein bisschen zu sehr, währenddessen drängt der Herr Direktor persönlich, ins Haus zu gehen, zumal die getrennten Eingänge etwas mehr Zeit erfordern. Dort erläutert Robert Meyer dann per Video mit heiterer Strenge die ausgeklügelten Sicherheitsvorkehrungen. Sein Lacher, als er einem Comicstrip-Virus mit Desinfektionsmittel den Garaus macht, ist bereits humoristischer Höhepunkt des Abends.

Denn das Stück, mit dem er die Saison eröffnet, kommt locker und lustig daher, sein Thema jedoch ist gewichtig und schwer. Sweet Charity nach einem Buch von Neil Simon, das dem Fellini-Film Die Nächte der Cabiria folgt, zeigt eine gleichnamige, vom Leben und den Männern gebeutelte Protagonistin, die sich in einem Nachtclub verdingt, reihenweise ausgenützt wird und dennoch – zweiter Vorname: "Hope" – nie die Hoffnung aufgibt. Cy Coleman hat dazu eine meist spritzige Musik geschrieben, die alle Erwartungen an das Genre Broadway-Musical der 1960er mit etlichen Revuenummern erfüllt, aber auch noch tiefe seelische Einblicke in spröderen, dissonanteren Passagen ermöglicht.

Ein wenig mehr Swing könnte nicht schaden

Die deutsche Neuübersetzung von Alexander Kuchina, die an der Volksoper erstaufgeführt wurde, ist sehr um Präzision bemüht, trägt jedoch an der Last der Sprache selbst. Wenn zwischendurch wenige Passagen auf Englisch gesungen werden, kommt ein anderer Schwung in die Sache. Es mag der Anzahl an Silben geschuldet sein, dass die Tempi den ganzen Abend ein wenig verhaltener wirken als im Original. Dirigent Lorenz C. Aichner ist hörbar um Elan bemüht, das Orchester klingt brillant, wobei ein bisschen mehr Swing-Feeling nicht schaden würde.

Regisseur Johannes von Matuschka sorgt für permanente Action (die ambitionierten Choreografien von Damian Czarnecki könnten etwas runder laufen) und erfüllt einerseits die Erwartungen an eine opulente Show. Andererseits lässt er deutlich die Beklemmung und Tristesse im Bordell spüren. Warum es zugleich derart viel Slapstick braucht, bleibt eine offene Frage.

Skurril und brillant schmetternd

Das beginnt und endet mit dem sehr übertrieben schlaksigen Spiel der Protagonistin (Lisa Habermann), die sich mit einem eher monotonen Belting-Gesang durch das Stück manövriert und dabei doch das Tragische der Figur ahnen lässt – ebenso wie ihre unzerstörbare Zuversicht. Zusammen mit Peter Lesiak, der als Oscar Lindquist eine rasante Wandlung vom Tollpatsch zum innig Liebenden zeigt, steigt sie letztlich doch noch tief in das Drama ein.

Rührend ist zuvor schon ihre Rolle als Beziehungsretterin beim Paar Vittorio Vidal (Axel Herrig) und Ursula March (Ines Hengl-Pirker). Ein Höhepunkt ist der Auftritt Drew Sarichs als Sekten(ver)führer Daddy Brubeck: skurril und brillant schmetternd und dabei so böse und bigott in Szene gesetzt, dass jeder selbsternannte Heilsbringer erzittern müsste.

Musikalisch und szenisch sollte sich die Produktion noch etwas einspielen dürfen, ihr Fingerzeig auf zeitlose gesellschaftliche Wunden und ihr Plädoyer für Optimismus sind starke, wertvolle Signale. (Daniel Ender, 14. 9. 2020)