Die große Kärntner Landesbühne ist seit Monaten erstmals wieder in Funktion. Und das mit einer sehr starken, szenisch wie auch musikalisch unter die Haut gehenden "Elektra"-Produktion.

Arnold Poeschl

Dem Regisseur ist durch das Corona-Regime mitten bei der Arbeit die Bühne abhandengekommen. Das heißt, er musste sie an das Orchester abtreten, das so groß ist, dass es in seinem angestammten Graben die Abstands regeln nicht einhalten hätte können.

Es sind Gesten, unmittelbar abgeleitet aus den Gefühlsabgründen der Figuren, die Cesare Lievis Inszenierung der Elektra am Klagenfurter Stadttheater charakterisieren. Wenn Orest, am Boden kauernd, den Kopf auf die Sitzfläche eines Sessels legt, evoziert das Bild die ganze familiäre Geborgenheit, die dem Kind durch die Ermordung seines Vaters geraubt worden ist.

Wenn Elektra allzu euphorisch von der kleinen Empore winkt, auf der die Gattenmörderin Klytämnestra eben noch Hof hielt, wird frühzeitig klar, dass ihr Horizont nicht weiter reicht als bis zur Befriedigung ihrer Rachegelüste. David Hohmann platziert auf seiner düsteren Bühne das Orchester hinter und zwischen riesigen, grauen Röhren. Im Haus der Atriden herrscht massiver Lüftungsbedarf. Das Ensemble ist von Axel Aust so eingekleidet, dass es auch im Parkett sitzen könnte. Aber dort, im Zuschauerraum, ist zwar jeder zweite Platz leer, aber legalerweise auch gar nicht benützbar, schon gar nicht ohne Mund-Nasen-Schutz.

Und trotz oder wegen alledem ein sehr besonderer Abend. Die große Kärntner Landesbühne ist seit Monaten erstmals wieder in Funktion. Und das mit einer sehr starken, szenisch wie auch musikalisch unter die Haut gehenden Produktion. Nicola Beller Carbone, die in Spanien aufgewachsene Deutsche, erfüllt die Titelfigur mit störrischer Rachgier, die in das weichste Sentiment umschlägt, wenn sie ihres Vaters Agamemnon gedenkt oder die Schönheit ihrer Schwester preist. Ihr energischer Sopran kann seine Strahlkraft allerdings auch so entfalten, wie es den Interpreten wohl noch in keiner Inszenierung der Richard-Strauß-Oper seit ihrer Uraufführung vor 111 Jahren möglich war, indem hier eben weit vor dem Orchester gesungen wird, durchgehend an der Rampe.

Der Fluch ist ihr egal

Christiane Kohl, seit einem Jahrzehnt Bayreuth-bewährte Wagner-Interpretin, legt ihr Herz berührend in den Ausdruck des Wunsches nach einem normalen Leben. Diese Chryso themis kümmert der Fluch nicht, den Elektra ihr nachschleudert, sie hört ihn nicht einmal. Musikalisch kostbar ist die Auseinandersetzung Elektras mit ihrer Mutter Klytämnestra. Ksenia Vyaznikova vollführt in dieser Rolle eine atemberaubende Gratwanderung zwischen aristokratischer Würde und Dekadenz. Da ist Hofmannsthals Libretto schon fast auf Marschalinnen-Höhe.

Wesentlich einsilbiger ist von dem Rodauner Fin-de-Siècle-Star die Partie des Orest angelegt, die Seth Carico (abwechselnd mit Martin Achrainer) innehat. Seiner Stimme, diesem mächtigen Bariton traut man die Bluttat eher zu als dem hilflos verwirrten Gesichtsausdruck, den er, blutverschmiert, nachher an den Tag legt. Er erscheint in dieser Deutung weniger als bewusster Mörder denn als ferngesteuertes Mordwerkzeug seiner Schwester. Die ist es ja auch, die symbolisch die Puppe des bösen Onkels Aegisth zerrupft. Bevor sie ansetzt zu dem Tanz, mit dem sie, statt zu jubilieren, verstummt. (elce)