Haarsträubende Vorgänge irgendwo zwischen "Apocalypse Now" und moderner Piraterie: "Die lächerliche Finsternis".

Das Theater ist der Ort, an dem Wirklichkeit und Fiktion aufeinanderkrachen, ohne dass eines von beiden auch nur im Geringsten nachgibt. Das ist fast unmöglich, weshalb Wolfram Lotz als Propagent dieses Konzepts auch vom "unmöglichen Theater" spricht. Einen Eindruck, was das heißt, vermittelt die erste Szene seines 2015 uraufgeführten Hörstücks Die lächerliche Finsternis: Hier bittet ein junger somalischer Fischer einen Hamburger Richter um Verständnis dafür, dass er, dem Augenschein nach als Pirat, einen deutschen Fischkutter bestiegen hat, nachdem sein kleines Schlauchboot fast gerammt worden wäre von diesem Schiff, das mitverantwortlich dafür ist, dass es in den Gewässern vor Somalia keine Fische mehr gibt.

Mit diesem fatalen kulturellen Crash bekommt es das Publikum seit Dienstagabend am Klagenfurter Ensemble zu tun.

Unwahrscheinlich

Es ist eben Die lächerliche Finsternis, in die Regisseur Josef Maria Krasanovsky die zwei Darstellerinnen Aline-Sarah Kunisch und Claudia Carus als die beiden deutschen Bundeswehrsoldaten entsendet. Was ihnen im so bezeichneten Gebiet widerfährt, widerspricht ganz jeder Wahrscheinlichkeit, ist also reines Theater: Der Hindukusch wird zum Fluss. Ob wir uns im Afghanistan des heutigen Jihadismus befinden, im ohnehin fiktiv gedachten Vietnam aus Francis Ford Coppolas Apocalypse Now oder im Kongo aus Joseph Conrads Herz der Finsternis – es wird uns niemand erklären, weil es auch komplett egal ist.

Oder weil es uns allenfalls in die Wirklichkeit irreführte. Aber Krasanovsky ist von Anfang an finster entschlossen, im Theater zu bleiben. Das heißt, dass auch gelacht werden muss, wenn der Straßenverkäufer das Maschinengewehr zum Ausruf "Ich bin unbewaffnet!" schwenkt oder wenn sich der Fluss, dem die zwei Bundeswehrsoldaten auf der Suche nach einem durchgedrehten Kommilitonen folgen, als Darm herausstellt. In dessen braunem Sediment müsste das sechsköpfige Ensemble samt den neun Laiendarstellern heillos versinken, hätte nicht eine US-amerikanische Präzisionsbombe sozusagen einen glänzenden Einfall.

Je haarsträubender das alles ist, desto beruhigender wird der Gedanke, dass Fiktion nicht gleich Wirklichkeit ist. (23.10.2020)