Michael Maertens (Adam) und Katharina Lorenz (Eva) finden am Akademietheater zu regelrechten Körperskulpturen.

Foto: APA/Burgtheater/Matthias Horn

Eine junge Frau namens Eva (Katharina Lorenz) liegt nass am Seeufer. Sie wollte sich aus enttäuschter Liebe ertränken, wurde aber von Herrn Adam (Michael Maertens) gerettet und sieht sich nun verpflichtet, ihm für sein Herzensprojekt einer Karpfenzucht bei den Lokalhonoratioren als erotisches Pfand zu dienen. – Man kann also nicht sagen, die österreichische Autorin Anna Gmeyner (1902–1991) hätte mit "Automatenbüfett" ein im heutigen Sinn emanzipatorisches Volksstück geschrieben.

Regisseurin Barbara Frey findet in ihrer Akademietheater-Inszenierung, die nach der Premiere und der Sonntagsvorstellung nun direkt in die Lockdown-Pause übergehen wird, indes einen überzeugenden zeitgenössischen Zugriff, der einerseits der Reproduktion immer gleicher Opferbilder ausweicht und der andererseits dem Soziotop einer abgewirtschafteten Kleinstadt einen faszinierenden Kunstmärchenboden mit Nordlichtern und puppenhafter Personnage bereitet. Jede Minute ist voller Spannung.

Subtile Performance

Gmeyners 1932 uraufgeführtes Drama bedarf – ähnlich wie die Volksstücke Ödön von Horváths – keiner sozialrealistischen Darstellung; die Sprache beherbergt alles Wissen um die mehr oder weniger randständigen Figuren, von denen jede für sich allein kämpft: Die ihr ererbtes Automatenbüfett vor Betrug (Knöpfe statt Münzen) schützende Wirtin Clementine (Maria Happel), der amoralisch geschulte Bettgeher Pankraz (Christoph Luser), der abgebaute, über seine Armut verlegene Lehrer Puttgam (Dörte Lyssewski) oder die zur Wuchtbrumme ausgestopfte Kellnerin Cäcilie (Annamária Láng), die einen Wutanfall in ungarischen Sätzen vom Stapel lässt. Frey hebt den Abend auf eine Ebene subtiler Performance, in der die Körper jenseits lebensechten Gebarens zu sprechen beginnen.

Über die Steifheit eines Michael Maertens könnte man grundsätzlich Seminararbeiten schreiben. Als Gatte der Automatenbüfett-Wirtin und Mitglied des Amateurfischervereins sucht er die brettstarre Anspannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit seines Karpfenzucht-Traums mit Würde zu verbergen. Immer aufrecht und doch ein gebeugter Mann, dessen Hände sich von Zeit zu Zeit zu Mäusefäusten ballen. Er sehnt in seinen nölenden Selbstgesprächen die über den Mühlbach führende direkte Verbindung zum Meer her und setzt so das Wasser-Motiv fort, das ihn mit der suizidalen Eva verbindet.

Nichts Ausstellendes

Eva (Lorenz) ist eine Undine-Gestalt, die das ihr erneut geschenkte Leben tropfnass und ungerührt entgegennimmt und doch immer souverän bleibt. Das ändert nichts daran, dass sie wie verunfallt durch die Büfett-Gaststätte schreitet, wo sie sich durch Adams Vermittlung nun verdingen kann und unter den Herrschaften sofort zum Objekt der Begierde wird. Zusammengerollt schläft sie auf der Pritsche, umarmt den wärmenden Heizkörper, lehnt todmüde am sitzenden Adam: Es sind Körperskulpturen, die nichts Ausstellendes an sich haben und doch die perfekte Projektionsfläche für sämtliche Begierden abgeben. Eine subtile Choreografie.

Die Inszenierung ist, wie das Stück selbst auch, durchgehend sehr komisch. Das fängt schon beim Raum an: In Dutzenden kleinen Entnahmekästchen die sich in einem Rundbogen über die Bühne ziehen (ein coronagerechtes Automatenbüfett: Martin Zehetgruber) stehen Jausenteller per Münzeinwurf zur Verfügung. Dazu "frisch gezapfte" Biere, wie die Wirtin (Happel) geschäftstüchtig anpreist, die in Wahrheit aber Dreiwettertaft-Schaumhauben tragen und selbst bei Schräglage nichts von ihrer attraktiven Form einbüßen.

Marthaler-Momente

Die Automaten-Mechanik bringt schließlich der Büfett-Pianist (Tommy Hojsa) auf den Punkt. Er tritt bei Münzeinwurf aus seinem gläsernen Wartehäuschen und spielt ein wehmütiges Lied, bis er sich zwecks Diskretion wieder zurückzieht. Da schleicht sich Marthaler-Stimmung ein, vollendet in einer im Stehen einschlafenden und zu Boden gehenden Zuhörergruppe. Wie bedauerlich, dass die nächsten Vorstellungen (nach So, 1.11., 19 Uhr) dieser leichthändigen und auf allen Ebenen anrührenden Arbeit nun auf sich warten lassen. Haarscharf hat es dieses selten gespielte Volksstück (zuletzt 2004 im Theater in der Josefstadt) aber nun auf den Spielplan geschafft. (Margarete Affenzeller, 31.10.2020)