Den Verfertigern schöner Kunstwerke winkt nicht nur Lorbeer: Florence Pugh in Ari Asters Film "Midsommar".

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Der künstliche Dauerschlummer, in den der größte Teil des Kulturbetriebs aus Gründen der Pandemieabwehr versetzt bleibt, ähnelt immer mehr dem Dornröschenschlaf. Bei den allermeisten Betroffenen wächst unausgesetzt die Angst. Es kündigt sich die Ahnung an, auf die verordnete Ohnmacht von Theatern, Kinos und Konzerthäusern könnte ein mindestens ebenso böses Erwachen folgen.

Solche vom Wartezustand Zermürbte vergessen auf eines der nobelsten Anliegen der Künste. Es heißt, die eigenen Werke haltbar zu machen; sie gegen Krisen zu imprägnieren; resistent zu bleiben gegenüber der Übermacht vermeintlich "wirklicher", für inakzeptabel erachteter Verhältnisse.

Dabei können die eigenen, bis zur Besinnungslosigkeit eingeübten Techniken und Routinen neu überprüft werden. Vielleicht müssen Künstlerinnen und Künstler auch nur beherzter auf jegliches Brimborium verzichten, um den Entzug von Wirklichkeit angemessen zu kompensieren. Dazu gehört im Übrigen, nicht müssen zu müssen. Der Rest besteht in der Beantwortung der Frage, wie dringend erforderliche Mittel ohne ruinösen Aufschub wirksam zur Verteilung gelangen.

Honorige Kritiker des Kultur-Lockdowns fordern derweil den Abschluss eines "New Deal" zugunsten der zum Nichtstun Verurteilten. Längst macht die Horrorvision die Runde, Freunde des anspruchsvollen Sprechstücks oder des Jazzkonzerts könnten, aufgrund von akutem kulturtechnischen Trainingsrückstand, inzwischen das Weite gesucht haben. Oder kulturell Asylsuchende sind in ein Kintopp-Land namens "Netflix" emigriert.

Kunst aus dem Gefrierfach

Es ist daher kein Zufall, dass Hauptbetroffene wie zum Beispiel Marie Rötzer, Intendantin des Landestheaters Niederösterreich, aktuell im Jargon von Kühltechnikern über ihre eiskalt bis Ostern (oder länger?) eingelagerten Produkte sprechen. Die unzähligen fertiggeprobten Produktionen verschwinden, so Rötzer, "in der Gefriertruhe". Über die Bekömmlichkeit solcher Tiefkühlkost müssen in näherer Zukunft erst recht wieder Couch Potatoes urteilen: Konsumenten, die streamen.

Dabei wimmelt es allein in den vergangenen hundert Jahren von genügend Beispielen für die Wirksamkeit von Überlebenstechniken: abgetrotzt einer "objektiven Ungunst" der Verhältnisse, hinter denen sich häufig genug, notabene in totalitären Zeiten, die Androhung physischer Vernichtung verbarg. Künstler wie der ingeniöse russische Lyriker Ossip Mandelstam (1891–1938) ließen sich auch dann nicht den Mund verbieten, wenn sie den Pestilenz-Atem von Stalins Häschern im Genick spürten.

Mandelstam memorierte unablässig die Verse, die er noch im innersowjetischen "Exil" in Woronesch eifrig dichtete. Seine Frau Nadeschda lernte sie auswendig, um sie weitergeben zu können. Mandelstam fiel Stalins Mordapparat zum Opfer. Was man mit demütigem Blick auf die unvorstellbaren Verbrechen des Totalitarismus jedoch im Blick behalten sollte: Die Künste sind unbedingt stärker, als alle Kleinmütigen es sich träumen lassen.

Trachten nach Beständigkeit

Kunst von hoher Beständigkeit wurde wiederholt unter extremen Bedingungen ersonnen und heimlich, still und leise ausgeführt. Gefahr für Leib und Leben bildete häufig das Substrat einer Lebenserfahrung, die, weil himmelschreiend, umso mehr nach zugespitztem Ausdruck verlangte. Erheblicher Außendruck sorgte zumeist für die Ausbildung entsprechender "Konservierungstechniken". Zu ihnen gehört Unscheinbarkeit: Reduktion, Konzentration auf das Wesentliche. Und gemeint sind nicht bloß jene stillen Gedanken, die man zu nachtschlafender Stunde einem verschlussfesten Tagebuch anvertraut.

Enthalten ist im Katalog überlebensfähiger Formen auch die Unabhängigkeit von der Kulturindustrie. Schon Pablo Picasso wollte sich von seiner Kunstausübung durch nichts abhalten lassen. Und wenn er seine Bilder "mit der feuchten Zunge auf den staubigen Boden einer Zelle" hätte malen müssen. (Ronald Pohl, 17.2.2021)