Beim letzten Neujahrskonzert, ohne Publikum, gab es noch Blumen für das Toporchester. Durch die Impfvorreihung leiden aber die Sympathien.

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Wir lernen: Kunst ist doch systemrelevant. Denn anders lässt sich die Vorreihung der Wiener Philharmoniker bei der Covid-Schutzimpfung durch den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) letztlich nicht argumentieren. Versucht haben es die dafür Kritisierten trotzdem, auf vielfache Weise: zunächst mit Halbwahrheiten, wonach eh nur Risikogruppen und jene, die nebenher eine Lehrtätigkeit innehaben, in den Genuss der frühzeitigen Immunisierung kommen würden. Hat dann offenbar nicht gestimmt.

Denn als die Impfung von 95 der 148 Mitglieder des Vereins der Wiener Philharmoniker ruchbar wurde, schwenkte man um und argumentierte akkordiert mit der Stadt wirtschaftlich: Man habe Strafzahlungen zu befürchten, wenn internationale TV-Termine nicht wahrgenommen werden könnten. Konkret genannt wurde ein Konzert zu Riccardo Mutis 80. Geburtstag in der Mailänder Scala am 12. Mai. Alles Gute!

Als das den Unmut über die Bevorzugung des Orchesters immer noch nicht besänftigen wollte, griff man noch zur Allzweckwaffe: "Neiddebatte", rief Geschäftsführer Michael Bladerer, ein Kampfbegriff, der immer noch geht, wenn gar nichts mehr geht. Man habe sich die Priorisierung ganz einfach verdient, weil man doch so fleißig, so wichtig, so unverzichtbar sei. Zynisch hinterhergeschoben wird dann noch der Hinweis, dass man die Durchimpfung eh anderen auch wünsche. Gesundheit! Danke, gleichfalls.

So tut es fast weh, an dieser Stelle erwähnen zu müssen, dass seit über einem Jahr tausende Künstler, Musiker, Schauspieler ihre Auftritte vielfach zur Gänze ausfallen lassen mussten, weil sie nicht über jene elitären Kontakte verfügen, die einen ins lukrative Fernsehen hieven.

Vermisste Solidarität und Reputationseigentor

Durchaus verständlich also, dass sie über die Nachricht, dass einige offenbar gleicher als gleich sind, nicht achselzuckend hinwegsehen wollen. Hinzu kommt, dass ja auch sie nicht untätig waren: Die Wiener Symphoniker beispielsweise haben 13 "Wohnzimmerkonzerte" gegeben und selbst TV-Auftritte und andere Veranstaltungen geplant. Eine Impfpriorisierung lehnen sie trotzdem klar ab, man habe sich auch nie darum bemüht, heißt es dort. "Ich möchte den Philharmonikern nichts Böses. Aber es wäre schon Solidarität gefragt", sagt Intendant Jan Nast zum STANDARD.

Und sein Kollege vom Wiener Klangforum, Peter Paul Kainrath, hält ebenfalls ohne Groll fest: "Wir haben durchaus Sympathie für die Wiener Philharmoniker, aber hier haben sie wirklich ein Reputationseigentor geschossen."

Das Kulturstaatssekretariat war in den Deal übrigens weder involviert noch dafür zuständig. Dort lehnt man die Vorreihung im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes ab.

Mag sein, dass man in der Stadt Wien anderer Meinung war. Dann hätte man diese aber auch so kommunizieren und dahinter stehen sollen, anstatt zu versuchen, die Vorreihung still und heimlich hinzudrehen. Mauschelei als österreichisches Kulturgut? Falls man das demonstrieren wollte: Gratulation! (Stefan Weiss, 19.4.2021)