Don Giovanni (Davide Luciano) trifft Donna Anna, die in Begleitung von Damen ist, die womöglich aus der Unterwelt kamen, um ihn zu holen.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Anna Lucia Richter (Zerlina) und Davide Luciano (Don Giovanni) in Romeoi Castelluccis Salzburger Inszenierung.

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Es begab sich in jener fernen Zeit, als Peter Ruzicka noch Salzburgs Intendant war, dass Regisseur Martin Kušej Don Giovanni mit Damen in Palmers-Dessous konfrontierte. Auch das Publikum kam nicht umhin, die nur halbherzig verhüllte Gesäßnacktheit in Augenschein zu nehmen. Es gab – ob der Größe der Plakate – im Großen Festspielhaus für die Augen (auch von Dirigent Nikolaus Harnoncourt) kein Entrinnen.

Einige Jahre später war Nacktheit nicht mehr der zentrale Giovanni-Topos. Claus Guth ließ die Figur zum tödlich verwundeten Junkie mutieren, der seine finalen Stunden im Fieber- und Drogentraum durchlebt. Der rasend nahende Tod stand ihm zeitlebens (also eine Inszenierung lang) gut. Und auch bei Romeo Castelluccis aktueller Vision dieses "Dramma giocoso" spielt das nahende Ende eine Rolle. Wobei zunächst und lange Zeit eher als subtile Andeutung.

Nacktes Todesfinale

In seinem letzten Atemaugenblick allerdings wird Don Giovanni anfallsartig durchgeschüttelt, als wäre dieser Moralverächter nicht nur in die Steckdose des Begehrens geraten, sondern auch in eine echte. Das Todesfinale wird zum Augenblick der Selbstentäußerung: Giovanni reißt sich Anzug, Hemd und schließlich auch den Rest vom Leib, beschmiert sich mit gipsweißer Farbe. Er entmaterialisiert sich quasi in einem Akt der Selbstübermalung und geht in dem weißen Einheitsraum auf. Der kultiviert singende Davide Luciano, der einen eher unscheinbaren Lebemann gibt (beim Ständchen schwächelte er), ist hier ganz zuckender Todeskörper.

Regisseur Castellucci ist nicht nur bei Giovannis Todesqualen der präzise Gestenpsychologe. Diesmal jedoch serviert er auch Materialschlacht und optische Knalleffekte. Tatsächlich saust von der Decke – in Begleitung später durch die Inszenierung hüpfender Basketbälle – eine Karosse auf die Bühne des Großen Festspielhauses herab. Sie kündigt das Erscheinen von Giovanni und Diener Leporello an (durchaus vital Vito Priante), die einander gleichen, quasi Doppelgänger sind. Besonders für Giovanni ist es ja ein Vorteil, den Diener als "Avatar" einsetzen zu können, wobei Castellucci noch mehr Geschenke parat hat: Für Giovanni wird auch ein Klavier herabgewuchtet, auf dessen Resttasten der tendenziell Melancholische bisweilen einige schräge Töne improvisiert, die auch Mozart überrascht hätten (quirliges Hammerklavier: Maria Shabeshova). Wie er so versonnen in die Tasten greift, wird offenbar: Giovanni ist hier im Grunde der eher nachdenkliche Einsame, der nicht erst auf der Flucht ist, seit er den auf der Matratze liegenden Commendatore mit dessen eigener Krücke erstickt hat (eindringlich am Schluss als Unsichtbarer: Mika Kares).

Surreales Assoziationstheater

Dass um den Titelhelden herum der Tod schwebt und dies immer auch mit den Damen im Zusammenhang steht, zeigt sich jedoch bereits bei Donna Anna (intensive Momente, tolle Pianokultur, aber intonatorisch nicht immer sattelfest Nadezhda Pavlova). Sie trägt wallendes Todesschwarz. Es begleiten sie aber auch Rachewesen der Unterwelt, die Giovanni nach antiker Mythensitte begrapschen.

Es ist also auch die Geschichte vom Sterben des geilen Mannes: Wenn Giovanni die zierliche und bald sehr interessierte Zerlina (prägnant Anna Lucia Richter) zu betören versucht, schwebt plötzlich mahnend eine schwarze Todeskutsche herab, die ganz bleibt. Giovanni steigt nicht in diesen Sarg auf Rädern. Bis zu seinem Ende dauert es noch in diesem leer geräumten Kirchenraum, der vor der Ouvertüre durch Arbeiter von jeglicher sakraler Symbolik – also auch vom Kreuz – befreit wird. Das mag mit der symbolischen Eroberung der Kirche durch den Sünder Giovanni zusammenhängen. Den Raum nützt Castellucci aber auch ganz pragmatisch als weiße Wand, auf die er Bilder und Szenen malt, ein White Cube, der diesem surrealen Assoziationstheater mit Bezug zu Adam, Eva, Apfel und Antike wie auch heiter-barockem Steh- und Schreittheater Dringlichkeit und Strahlkraft verleiht.

Heitere Fantasie

Besonders an Don Ottavio (ein grandioser Lyriker Michael Spyres!) entzündet sich Castelluccis diesmal auch heitere Fantasie. Er ist der Clown ohne rote Nase, der mit Pudeln umherstolziert, um Donna Anna zu beeindrucken. Heldische Symbole (u.a. Teile von Ritterrüstungen) und Machtposen schrumpfen jedoch nur zu Symptomen der Selbstüberschätzung eines sympathischen Tollpatschs. Nicht dass solche Szenen rund um Don Ottavio nur heitere Fußnoten wären. Aber Castellucci geht es in diversen Facetten schon um dieses ungezügelte Begehren, das Giovanni repräsentiert – um die Folgen dieser ewigen Jagd nach dem Reiz der ersten erotisch aufgeladenen Begegnung. So ergänzt Castellucci gerne die Hauptdamen mit nackten Doppelgängerinnen, was durch die exakte Choreografie vor totaler Plattheit schützt.

Donna Elvira (glänzende lyrische und impulsive Momente Federica Lombardi) hat für Giovanni dazu aber noch eine Überraschung parat: Aus einem Fauteuil hüpft ein kleiner Junge und sucht mit sehnsuchtsvoll ausgebreiteten Armen die Nähe von Papa Giovanni, der sich entsetzt absetzt. Es ist halt seine Natur: Verschwinden will Giovanni, will sich auflösen, verstecken und unbemerkt seinen Charme versprühen. Bei seinem Fest herrscht denn auch weißer Nebel. Es geht fast unter, dass an Giovannis Fuß ein Skelett klebt.

Musik der Spannung

Dirigent Teodor Currentzis und sein music Aeterna Orchestra sind an das ganze Ideengeflecht Castelluccis gewissermaßen mitatmend seelisch gebunden. Der originelle Extremist, der schon mal eine ganze Giovanni-Einspielung zurückgezogen hat, da sie nicht seinen Vorstellungen entsprach, sucht den drastischen Akzent; brutal schneiden manche Akkorde in die Szenen hinein. Es ist dabei allerdings nichts Selbstzweck, es wirken die Akzente dramaturgisch sinnvoll.

Auf der anderen Seite verlangsamt Currentzis in Liebesdingen, lässt die Zeit fast anhalten und erreicht in Giovannis Betörungsszene mit Zerlina ein Höchstmaß an Poesie. Grandios. Kein Wunder, dass es in Masetto eifersüchtig kocht (kultiviert David Steffens). Dieser schlanken Musikauffassung (auf "Originalklang"-Instrumenten zelebriert) und ihren pointierten Einsprengseln steht Castelluccis späte Idee gegenüber, so 150 Damen auf die Bühne zu laden. In diversen Konstellation sollen sie den Betrüger bedrängen, doch scheint die originelle Präzision der Inszenierung in Massenmomenten nachzulassen. Dass sich die Damen auch entkleiden müssen, vervollständigt die partielle Trivialität eines magischen Abends, der aber seine Durchhänger hatte. Trotz der Überfülle an Tableaus und Verweisen. Applaus für alle. (Ljubiša Tošić, 27.7.2021)