Wenn junge Menschen grinsend vor ihrem Smartphone sitzen und ihren ratlosen Eltern nur mit "Das würdet ihr eh nicht verstehen" antworten, dann ist die Chance hoch, dass gerade über ein Meme geschmunzelt wird. Memes, das sind in ihrer klassischen Form Bilder mit einem kurzen, meist lustigen Text am oberen und unteren Bildrand, die millionenfach im Internet zirkulieren.

Weil sich ihre Erschaffer in der rebellischen Grundidee keinesfalls starre Regeln auferlegen, gibt es Memes heutzutage in verschiedensten Variationen, als Videos, Tiktoks, GIFs oder animierte Bilder. Sie sind meist witzig, ironisch, frech, provokant – und vor allem immer wieder leicht abgewandelt von ihrer ursprünglichen Form, sodass man sich tausendfach an verschiedenen Meme-Vorlagen humoristisch abarbeiten kann. Das unterscheidet sie auch von herkömmlichen viralen Bildern, Videos oder Cartoons.

Trumps Aussage, wonach Österreicher im Wald leben und Bäume explodieren war damals eine Steilvorlage für die Meme-Community.

Memes sind wie "Insiderjokes, die man mit der ganzen Welt teilt", und zugleich so etwas wie die "Ohrwürmer des Internets", fasst es Dirk von Gehlen im Gespräch mit dem STANDARD zusammen. Er ist Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung" und hat kürzlich ein Buch über Memes veröffentlicht. Von Gehlen ist sich sicher, dass Memes so schnell nicht mehr verschwinden. "Es gab sie zwar auch schon früher, wir hatten nur keinen passenden Namen dafür", sagt er.

Kleine Ideen, Witze über die Menschen aus einem bestimmten Bundesland oder auch Symbole, die angepasst und in nichtkoordinierter Form weiterverbreitet wurden, sind historische Beispiele dafür. Ab und zu braucht man ein bisschen Hintergrundwissen, um sie zu verstehen. Das war es aber auch schon.

Ein JVP-Slogan wurde erst kürzlich wieder – mehr oder weniger unfreiwillig – zum Meme.

Die große Bühne

Was sich im Zeitalter mobilen Internets und sozialer Medien radikal verändert hat, ist die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung und die Größe des Publikums. "Durch das Internet kann jeder mit einem kleinen Einfall oder einer lustigen Idee eine globale Bühne bespielen", sagt von Gehlen. Es ist diese intrinsische Motivation, die Leute antreibt, laufend neue Memes zu basteln – in der Hoffnung, dass sie viral gehen und breite Resonanz finden, sagt Petra Bernhardt von der Uni Wien, die im Bereich Bildpolitik und visuelle Strategien forscht und lehrt. Auch sie sieht in ihrer Verbreitung einen bleibenden Trend: "Memes wurden eine Form der Alltagskommunikation und sind dadurch nicht länger zu ignorieren."

Und was die Gesellschaft beschäftigt, ist zwangsläufig auch für die Politik interessant. Diese ist zwar in erster Linie ein beliebtes, wenn nicht sogar das häufigste Ziel oder "Opfer" vieler Memes. Seit ein paar Jahren versuchen politische Parteien und aufstrebende Politiker aber immer öfter, selbst in der Meme-Welt Fuß zu fassen. Ob das gelingt?

Ein virales Bild (Bernie Sanders mit Fäustlingen bei der Angelobung), ein Kontextbruch (meine Gemütslage im dritten Lockdown) und eine offensichtliche Editierung des Bilds (in der Wiener Ubahn statt am Kapitol) und fertig ist das Meme.

Von Gehlen vergleicht die Meme-Kultur mit dem Treiben in einem Schwimmbad: Da gebe es jene, die nur am Beckenrand stehen und gescheit daherreden, aber nichts machen; jene die in voller Bademontur in purer Selbstüberschätzung ins Becken hüpfen und sich mitunter der Peinlichkeit preisgeben; und schließlich jene, die versuchen, sich irgendwie im Wasser wohlzufühlen und natürlich mit den anderen Schwimmenden zu interagieren.

Letztere seien die wenigen positiven Beispiele, in denen es nicht zwangsläufig "cringey" wirkt, wie es die Jugend nennt – also peinlich und ordentlich zum Fremdschämen. In Österreich dominiert klar der unfreiwillig-komische Charakter von Politikern, analysiert Bernhardt. Vereinzelt positive Ausreißer und Meme-Kompetenz erkenne sie lediglich bei den Neos.

Senden und Interagieren

Dass die Politik den Sprung in die Popkultur wagen muss, liegt einerseits an der flächendeckenden Verbreitung von Memes, aber auch an den gänzlich geänderten Regeln der politischen Kommunikation. "Früher waren Kampagnen darauf ausgelegt, die fünf bis acht relevantesten Medien zu bespielen. Heute muss zusätzlich die Klaviatur der allgemeinen Öffentlichkeit beherrscht werden", sagt von Gehlen. Die Facebook-, Instagram-, Twitter- und Tiktok-Auftritte brechen dadurch aber auch mit der reinen Senderrolle, die die Politik früher gerne für sich beanspruchte. Die eigenen Standpunkte nur zu verkünden ist leicht, mit den Menschen im Internet zu interagieren ungleich schwieriger.

Die Obama-Biden-Memes sind legendär, machten Biden über die USA hinaus bei jungen Menschen sehr bekannt. Mit Sicherheit nicht das beste, aber wohl das persönlichste Meme vom Chef selbst gab es zum Geburtstag Bidens 2017.

Man kann den sozialen Medien vieles vorwerfen, aber eine ihrer Errungenschaften ist es, dass sie die politische Kommunikation ein Stück weit demokratisiert haben. Die 15-Jährige Gymnasiastin, der 70-jährige Pensionist, die Hacklerin und der Arbeitslose: Sie alle können öffentlich Kritik üben und gehört werden, Politiker mit gescheiten Fragen und Erzählungen persönlicher Schicksale in Erklärungsnot bringen und sie auch mal anschnauzen – oder sie eben mit einem guten Meme aus der Reserve locken. Und da heißt es mitunter auch mal, selbstironisch auf Kritik zu antworten.

Memes oder GIFs eignen sich besonders gut dafür. Die Fallhöhe ist in der Politik aber ungleich höher. Wer es dennoch schafft, den "digitalen Dialekt" zu sprechen, wie von Gehlen es nennt, könnte in den Zielgruppen dafür umso mehr punkten.

Die Administrationen der beiden äußerst konträren ehemaligen US-Präsidenten vor Biden wussten Memes für sich zu nutzen – und sollen diese mitunter sogar bewusst platziert haben. Wenn Barack Obama am Ende des Korrespondentendinners im Weißen Haus nach einem "Obama out"-Spruch das Mikrofon plötzlich fallen lässt oder Donald Trump im State Dining Room vor dutzenden Burgern und anderem Fastfood posiert, scheinen Memes in den Folgetagen und -wochen tatsächlich garantiert. Trump wurde ob seiner absurden Aussagen und Aktionen ohnehin einer der "meistgememten" Persönlichkeiten aller Zeiten. Er nutzte Memes aber auch selbst, etwa als er mit einem Verweis auf den Serienhit Game of Thrones sein Mauer-Projekt mittels "The Wall is Coming" bewarb.

Trump nutze immer wieder Memes um sich und seine politischen Ideen zu propagieren.

Freude am Bruch

Weil Memes aber nun mal vom Kontextbruch leben – also immer wieder in komplett andere Themenbereiche übertragen werden –, weiß letztlich niemand, was zu einem erfolgreichen Meme wird und was daraus in der Folge gemacht wird. Als die Ever Given im Suezkanal stecken blieb und der kleine Bagger versuchte, das Containerschiff freizuschaufeln, verglichen viele Internet-User die Mühen des Baggerfahrers mit den globalen (Nicht-)Anstrengungen rund um den Klimawandel oder anderen halbherzigen Politprojekten – und trafen damit einen Ton und ein Gefühl einer ganzen Generation, erzählt Bernhardt.

Auch rund um weltpolitische Ereignisse wie G7-Gipfel, Olympia oder US-Präsidentschaftsinaugurationen entstehen regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit Memes. Mit dem kürzlich beliebten Gruppenbild rund um Bill Murray bei den Filmfestspielen von Cannes hätte aber niemand rechnen können. "Genau diese Unberechenbarkeit, diese Zufälle, machen aber den Zauber aus, der Memes innewohnt", sagt Meme-Experte von Gehlen.

"Wenn man das Rezept eines guten Memes kennen würde, fände es Anwendung wie bei Kochrezepten", sagt der Sprachwissenschafter Lars Bülow von der Uni Wien. Generell spielen zwar Spontanität, Kontextualisierung, Unerwartetes und Humor eine große Rolle, zur tatsächlichen Wirkung von Memes stecke die Forschung aber noch in den Kinderschuhen, erklärt Bülow. Es sei jedoch absehbar, dass Memes vor allem dann geteilt werden, wenn sie der eigenen Weltanschauung entsprechen und besonders auffällig abgewandelt wurden.

Kontrollverlust und Öffentlichkeit

All diese Ungewissheiten und der Kontrollverlust stellen freilich Probleme für politische Parteien dar. Von 100 Straßenplakaten werden vielleicht fünf bemalt oder verschmutzt, mit 95 erreiche man dennoch die Adressaten mit seiner Botschaft, sagt von Gehlen.

Jede unglückliche Szene in einem Video ("Hobts scho mittagg’essen?") oder ein unbedachtes Bild, das sich verselbstständigt, reiche heute hingegen schon aus, um als neues Meme im Internet geboren zu werden und dort auf Tage und manchmal Monate zu verweilen – egal wie gut man versucht, die Message zu kontrollieren. "Die vollständige Deutungshoheit über Bilder hat man nie", sagt Bernhardt. Und wehe, jemand versucht, auf juristische Art und Weise gegen die Verbreitung eines Memes vorzugehen. Wer nicht glauben will, dass dies das Revoluzzertum der Internet-Community noch mehr befeuert, frage nach bei Barbra Streisand oder Beyoncé. Erstere wollte Bilder ihres Hauses nicht in Zeitungen sehen, die Zweite ein unglückliches Bild ihres Superbowl-Auftritts aus dem Internet löschen – jeweils mit dem gegenteiligen Ergebnis.

Die Macht, Politikerkarrieren zu beenden, haben Memes wohl dennoch nicht. Da würde man ihren Einfluss überschätzen, glaubt Bernhardt. Sehr wohl aber können sie dazu beitragen, bestimmte unliebsame Eigenschaften oder Fehlverhalten von Personen in der öffentlichen Wahrnehmung zu verfestigen.

Gernot Blümels türkise Socken im Parlament oder Herbert Kickl freudestrahlend auf dem Polizeipferd: Die Bilder werden jedes Mal wieder ausgegraben und in Memes verpackt, wenn von Ersterem mehr Respekt für die Demokratie eingefordert wird oder der Zweite irgendwo mehr Polizeipräsenz wünscht.

Memes sind vor allem aber auch eines: geballte Öffentlichkeit. Während manch Spitzenpolitiker darauf – besonders nach kleinen oder großen Skandalen – gerne mal verzichten würde, ist sie die harte Währung aufstrebender Politiker. Von Gehlen geht sogar so weit zu behaupten, dass fast jede Aufmerksamkeit – und sei es auch nur in Form spöttischer Memes – Jungpolitikern bei ihrem Aufstieg helfen kann.

Die Anti-Parkpickerl-Kampagne der Wiener ÖVP sorgte auf Twitter für einiges an Erheiterung. Da muss auch Blümel mit seinem Sockenauftritt im Parlament als Meme-Vorlage herhalten.

Junge Konservative wie Laura Sachslehner von der Wiener ÖVP oder Philipp Amthor von der deutschen CDU sind wohl auch deshalb Menschen außerhalb der politmedialen Bubble bekannt, weil sie einerseits aufzufallen wissen, die neuen Medien verstehen, mitunter aber auch schon einige unvorteilhafte Memes über sich erdulden mussten. Die These, wonach die politische Rechte Memes nicht einzusetzen wisse ("The right can’t meme"), habe spätestens Trump widerlegt, wobei er und seine Gefolgschaft Memes besonders auch dazu nutzten, um sich über Menschen lustig zu machen, sie auszugrenzen und zu diskreditieren. Ihr ureigenster Sinn war jedoch eigentlich eher das Mitlachen, sagt von Gehlen.

Rechte Meme-Kanäle stilisieren den ehemaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl gerne zum Beschützer Österreichs und versuchen damit öffentlich Themen zu setzen.

Meme-Diplomatie

Es sei aber immer noch zu beobachten, dass politisch rechts angesiedelten Politikern mitunter jene Bereitschaft zur Eigenironie fehle, die Linke wie Bernie Sanders oftmals besser einzusetzen wissen. Ob Ausnahmen, wie die Replik des Ex-FPÖ-Klubobmanns Johann Gudenus, der nach Bekanntwerden von Suchtmittelgebrauchsvorwürfen gegen ihn diese locker-lässig mit "Schnee von gestern" zu kontern versuchte, diese Regel bestätigen oder überhaupt falsifizieren, kann so nicht gesagt werden. Ein paar Schmunzler politischer Widersacher und kritischer Journalisten waren ihm jedoch gewiss, und Memepotenzial hatte die Aussage auch.

Sanders freilich wurde etliche Male selbst zum Meme und nutzte einen zum Meme gewordenen Kultsager, mit dem er früher immer wieder um Wahlkampfspenden bat unlängst, um zum Impfen aufzurufen. "I am once again asking you to get vaccinated" schrieb Sanders auf Twitter. Auch Obama beglückwünschte seinen Ex-Vize Biden schon 2017 per Meme zum Geburtstag.

Und auch wenn Memes in der heimischen Politik noch spärlich gesät sind, so ist auf dem Parkett der internationalen Meme-Diplomatie längst einiges los. Die israelische Botschaft in den USA fragte unter einem abermaligen Aufruf zur Zerstörung Israels durch den Obersten Führer des Iran per GIF, warum man so besessen von Israel sei.

Der offizielle Twitteraccount der ukrainischen Regierung bevorzugt anscheinend eine etwas dubiose Fast-Food-Speise aus Pommes, Käsebruchstücken und Bratensauce gegenüber einem Präsidenten eines angrenzenden großen Flächenstaates.

Der offizielle Twitter-Account der Ukraine bekräftigte zum Unabhängigkeitstag Kanadas per Meme seine Ablehnung Putins, aber seine Unterstützung für das beliebte kanadische Fastfood namens Poutine. Und Kubas Außenminister scherzte unlängst in Richtung Marco Rubio, dass das Einzige, das im US-Südküstenstaat Florida noch leichter zu kaufen sei als eine Waffe, ein republikanischer Senator wäre.

Die israelische Botschaft in den USA hat Irans oberstem Führer, Ali Khamenei, was auszurichten: und nutzt dafür ein

Memes für den Klimaschutz

Im deutschen Bundestagswahlkampf sind Memes auch angekommen. Die ersten Gehversuche mit Memes von "CDU-Connect" scheinen zwar eher Dirk von Gehlens These, wonach jede Aufmerksamkeit gute Aufmerksamkeit sei, egal wie peinlich diese ist, folgen zu wollen. Vor allem aber zeigt sich, dass alle gesellschaftlich brisanten Themen "memefizierbar" sind. Die Fridays-for-Future-Bewegung etwa schießt auf der Meme-Front scharf gegen die mauen Klimaversprechen der Regierungsparteien und nimmt besonders CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet auf die Schaufel, der 2019 in einer TV-Diskussion meinte: "Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden".

Ist tatsächlich die komplette Welt "memefizierbar"? Unsere immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen, die stets kürzeren und prägnanteren politischen Slogans, die Beliebtheit von Tiktok – jener Plattform, die neuerdings auch Sebastian Kurz bespielt – und die rasende Verbreitung zahlreicher Memes sprechen dafür. Noch wird in der heimischen Politik selten versucht, politische Botschaften über Memes zu propagieren.

Der kubanische Außenminister hält nicht zurück.

Junge politische Talente, sofern sie nicht auf natürlichem Wege diesen digitalen Dialekt sprechen, werden dahingehend aber wohl geschult werden müssen, da man zwar nicht alles verlieren oder gewinnen kann, gerade bei jüngeren Wählerschichten aber damit punkten kann. Sebastian Kurz wird wohl nicht mehr damit beginnen, Memes zu posten. Vielleicht muss er gegen ein neues politisches Talent neben Wahldiskussionen eines Tages aber auch in Meme-Schlachten bestehen. (Fabian Sommavilla, 14.8.2021)