Jeden Freitag ist Putztag. An diese Einteilung hält sich Marianne Kohn seit jeher, egal wie viel Rock ’n’ Roll es gerade gibt.

Foto: Christopher Just

Über Liebe ...

Marianne ist eine freie und wilde Frau. Sie "kippt" nicht. Bleibt sich selbst immer treu, damals wie heute.

"Ich kenne sie seit den frühen Achtzigern", erklärt der Wiener Gastronom Bernd Schlacher. "Vierzig Jahre später muss ich feststellen: Sie wird immer cooler – über wen kann man das schon sagen?" Weil sie keinen Alkohol trinkt, sagt sie, wird sie sich wahrscheinlich nie wieder verlieben. – "Die Leute lügen alle, wenn sie behaupten, dass sie beim Aufreißen nüchtern waren."

Aber es gibt für sie ohnehin Größeres als diesen Beziehungstango, die romantische Liebe. Mariannes Herz gehört ihrer Tochter, ihren Enkelkindern, ihrer Musik, ihren Tieren. Ihrer Bar und ihrem Leben auf dem Land. Und dann gibt es noch ihre Leidenschaft für Autos.

Ewig war das ein Karmann-Ghia, schwarz lackiert, cognacfarbene Ledersitze, lässig röhrender Motor. Beim letzten Service musste sie den Tatsachen ins Auge sehen, die Bodenplatte war komplett durchgerostet. Weil die Reparatur zu teuer geworden wäre, musste sie den Wagen nach vierundzwanzig Jahren abgeben. – "Das war meine längste Beziehung! Ich hab geheult wie ein Schlosshund. Mehr als bei jedem Mann", sagt sie.

Was am stärksten auffällt, wenn man mit ihr unterwegs ist: Marianne liebt Wien. Sie nimmt alles wahr, schätzt eine geschmackvolle Geschäftsauslage oder die alte Holzpflasterung in der Einfahrt eines Barockhauses. In vielen Bezirken kennt sie jede Gasse in- und auswendig. – "Hier war einmal ein Uhrmacher, da eine Papierwarenhandlung, und dieses Portal war früher moosgrün."

Nach unserem letzten Interview beschlossen wir hinauszugehen. Zuerst in ein bekanntes Kaffeehaus bei mir um die Ecke. Dort war Marianne so schockiert über die Hässlichkeit seiner Renovierung, dass wir das Lokal nach fünf Minuten wechselten. Wir setzten uns in ein nahe gelegenes Kaffeehaus, solide und gut geführt. Zur Erholung bestellte Marianne Palatschinken mit Schlagobers. Irgendwann sagte sie: "So, und jetzt muss ich nach Hause, sonst kündigen mich meine Hunde."

... Alter und ...

Jeden Freitag ist Putztag. An diese Einteilung hält sie sich seit Jahrzehnten, egal wie viel Rock ’n’ Roll es gerade in ihrem Leben gibt. Sie wischt und räumt alles selbst, in ihrer kleinen Wiener Wohnung und in ihrem Häuschen auf dem Land.

Apropos Land: Mariannes Rückzugsort in den Gutensteiner Alpen ist kein Landsitz, wie ihn sich viele Zeitgenossen erträumen, sondern ein winziges, nicht mehr ganz taufrisches Häuschen aus den 1950er-Jahren. Wer sie hier besuchen darf, erkennt: Marianne ist und bleibt im Herzen Punk. Kein einziger Einrichtungsgegenstand ist wertvoll, alles nur bunt und fröhlich. Zimmerwände, Kühlschrank und Küchenkästen hat sie mit wilden Zeichen und Schlangenlinien bemalt.

Luxus? Besitz und Konsum interessieren sie nicht, da bleibt sie bewundernswert konsequent.

Marianne Kohn ist eine Praktikerin. Learning by Doing.
Foto: Christopher Just

Trotzdem hält sie sich für einen reichen Menschen: "Der einzig wahre Luxus ist Freiheit, und davon hab ich mehr als genug." Rund um das Häuschen gibt es einen großen Garten, den sie selbst in Schuss hält. Sie mäht den Rasen, setzt und jätet. Steigt mit der Motorsäge auf hohe Leitern und schneidet die Sträucher und Obstbäume. Warum eine Barfrau aus der Großstadt weiß, wie viel von den Ästen weggehört und wann dafür der richtige Zeitpunkt ist? Das konnte sie mir auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht erklären. – "Ich kann es einfach. Keine Ahnung, warum."

Regelmäßig turnt sie. In der Stadt trainierte sie früher zweimal die Woche in einem Fitnesscenter. Seit Corona macht sie ihre Übungen zu Hause. Marianne ist eine Praktikerin. Learning by Doing. Was funktioniert, wird in ihre Routine eingebaut.

Was Ärger macht, was mühsam oder langweilig wird, muss weg. Künstler und Partytiere, die bereits mehr als eine Sturm-und- Drang-Phase überlebt haben, erkennen das System: Es braucht verdammt viel Disziplin, um sich dem Spaß und der Fantasie zu überlassen.

Alles zu seiner Zeit.

... Tod

Wie alle richtigen Wiener pflegt Marianne ein fast zärtliches Verhältnis zum Tod. In der Heurigenstadt ist man vernarrt in das Leben, begreift es als Spiel. Großspurig geht jeder davon aus, dass er die besseren Karten hat. Gleichzeitig imaginiert man die eigene "schöne Leich". Wird es ein Spektakel? Wer wird dort sein? – Der Schlusspunkt muss sitzen. Man weiß, dass die eigene Existenz an der Inszenierung des Abschieds gemessen werden wird.

Das Buch erscheint am 18. Oktober.
Foto: Brandstätter-Verlag

Mit ihrem Sinn für Bühne und Drama schätzt Marianne den idealen Abgang: "Der Regisseur Michael Glawogger war mein Nachbar auf dem Land. Ein wahnsinnig lieber Mensch. Sein Begräbnis war das schönste, das ich jemals erlebt habe. Der ganze Ort war gesperrt, und wir gingen in einer langen Prozession mit einer Jugo-Kapelle hinter dem Sarg. So sind wir durch den ganzen Ort, dann über den Bahnübergang, und dort blieb sogar der Zug stehen … Da bekomme ich heute noch eine Gänsehaut. Dann waren wir in seinem Wirtshaus, wo er ja eigentlich gewohnt hat. Das war wunderschön. Ganz Wien war dort."

Für sich selbst möchte sie – irgendwann in einer fernen Zukunft – eine Baumbestattung. Im Wald, mit einer Urne, die sich auflöst. Als Musik müsste das Intermezzo aus der Cavalleria rusticana spielen. Francis Ford Coppola setzte das Stück in Der Pate für die Sterbeszene der Tochter ein, Martin Scorsese im Film Wie ein wilder Stier, als der Boxer in Zeitlupe zu Boden ging. – Sie sagt: "Wer das hört, sieht Italien vor sich. Da stirbst du, so schön ist das." (Ela Angerer, Marianne Kohn, ALBUM, 16.10.2021)