Edita Gruberová.

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Denkt man an Edita Gruberová, so erinnert man sich an eine Sängerin, die über Jahrzehnte nicht nur eine jener raren Virtuosinnen der hohen und höchsten Töne war. Die 1946 in Bratislava geborene Sopranistin, die einst an der Wiener Staatsoper gleich in Mozarts "Zauberflöte" als Königin der Nacht Erfolge zu feiern begann und zum globalen Star im Bereich des Koloratursoprans wurde, konnte Tönen auch etwas Charaktervolles verleihen.

Gruberová lud die anspruchsvollen Linien, die sie sang, nämlich mit Bedeutung und Emotion auf. Der vokale Hochseilakt wurde in den Dienst der Rollengestaltung gestellt, Koloraturen und Tonleitern gerieten zu Bedeutungsträgern. Jeder Ton, jeder quirlige Triller, jedes großzügige Glissando, all diese musikalischen Gesten wirkten als Ausdruck seelischer Zustände der Figuren. Das Ergebnis war eine paradoxe Glaubwürdigkeit in jener wundersamen Künstlichkeit, die Oper ja auch tatsächlich ausmacht.

Frühe Romantik

Die vitale Leuchtkraft von Gruberovás Kunst entfaltete sich vollends im Bereich des Belcanto, in Regionen also der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts. Die profunde Sängerdarstellerin mit dem markanten Timbre glänzte mit ihrem Mix aus Virtuosität und Ausdruckstiefe als Gaetano Donizettis Lucia, als Vincenzo Bellinis Elvira (in "I puritani"), als Donizettis Anna Bolena oder auch als dessen Elisabetta aus "Roberto Devereux".

Natürlich: Auch als Zerbinetta in Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos" schrieb sie Interpretationsgeschichte und beförderte mit dieser Rolle ihren Weltruhm, der sie an alle großen Häuser zwischen New York, London, Mailand und Wien führte. Zu ihren kostbaren Karriereerinnerungen zählte Gruberová dabei ihren Staatsopern-Erfolg von 1976, als sie eben Zerbinetta unter Dirigent Karl Böhm war.

Begonnen hatte für die Slowakin alles zu einer Zeit, als der Kalte Krieg noch nicht vorbei war im slowakischen Örtchen Banská Bystrica, wo die 22-jährige Gruberová in einem kleinen Theater Giuseppe Verdis tragisch an Tuberkulose dahinscheidende Violetta Valéry war.

Gut überlegt

Ebendort hatte sie gelernt, wie wichtig es grundsätzlich war, mit den Möglichkeiten einer noch so begabten Stimme sorgfältig umzugehen, sich also nicht zu überfordern und vor allem immer die zu einem passenden Partien zu wählen. In Verdis "Traviata" sollte Gruberová später auch unter dem genialischen Dirigenten Carlos Kleiber Erfolge feiern – dann schon mit dem Gestus einer durchaus erfahrenen Künstlerin.

Erfahrung war ihr aber auch gleichsam Inspiration. Gruberová betonte immer, dass jenes Reservoir an Empfindungen, das sich so im Laufe eines wechselvollen Lebens unweigerlich ansammeln muss, im Gesang mitzuschwingen hat. Es gelte, all die Erinnerungen und Eindrücke, die gesammelt werden und in einem nun einmal eingraviert sind, auf der Bühne tatsächlich auch zu aktivieren.

So würde aus Gesang schließlich glaubhafte Gestaltung, so würden aus unschuldigen Tönen unmittelbar starke und gewichtige Einblicke in psychologische Vorgänge. Man sei als Sänger und Sängerin schließlich Teil eines Gesamtkunstwerkes, Teil einer Geschichte, die es zu erwecken gilt. So jedenfalls schilderte Gruberová einst ihre Philosophie, die auch aus der Zusammenarbeit mit Carlos Kleiber hervorging. Das betonte sie.

Die Kontinuität

Was die durchaus selbstbewusste, aber doch sehr unprätentiöse Diva Gruberová auch ausgezeichnet hat, war diese Kontinuität ihres hohen Niveaus. 1978 hatte sie an der Wiener Staatsoper als Lucia di Lammermoor debütiert, doch sie sang diese schwere Partie tatsächlich auch 25 Jahre später noch immer auf höchstem Niveau, was musikgeschichtlich betrachtet eine eher singuläre Leistung war.

Mit Wien und dem Haus am Ring war sie besonders verbunden, mit jener Stadt also, in der ihre Karriere den Ausgang nahm. Nach ihrem Debüt als Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte 1970 stand sie schließlich rund 700 Mal in diversen Rollen und Galas auf der Bühne der Wiener Staatsoper – zuletzt bei einer ihr gewidmeten Gala 2018. (Ljubiša Tošić, 18.10.2021)