Bis zu 1000 Liter Farbe verwendete Hermann Nitsch in Bayreuth pro Aufführung. Hier eines der wenigen szenischen Bilder.

Foto: Enrico Nawrath

Klänge, die zu Farben werden, bzw. Farben, die zu Klängen werden: Als Hermann Nitsch eingeladen wurde, diesen Sommer eine konzertante Aufführung von Wagners Walküre in Bayreuth mit einer Malaktion zu begleiten, dachte er zuerst gar nicht daran, mit seiner Aktion auf die Oper einzugehen. Es kam allerdings anders: Die Walküre und das aktionistische Spektakel, das Nitsch auf dem Grünen Hügel veranstaltete, durchdrangen einander. Oder wie es der Aktionist selbst formuliert: "Die Musik hat mich zu sehr stimuliert, ich konnte nicht anders, als auf sie einzugehen."

Mit einer simplen Illustration von Wagners Werk haben die jetzt im Nitsch-Museum ausgestellten Werke dennoch nichts zu tun. Während die Tranche an Bildern, die bei der Premiere entstand, in Bayreuth verblieb, übersiedelte jene der zweiten und dritten Vorstellung ins Museum nach Mistelbach, wo eine kleine Auswahl zu sehen ist. Alle in Bayreuth entstandenen Bilder zu zeigen, ließen die räumlichen Beschränkungen schlichtweg nicht zu, veranstaltete Nitsch doch in jedem der drei Akte eine umfangreiche Malaktion.

Zehn Assistenten

Während die Sänger wie bei einem Oratorium am Bühnenrand standen, schütteten und schmierten insgesamt zehn Assistenten Farben des gesamten Regenbogenspektrums auf die auf den Wänden und am Boden ausgelegten Leinwände. Zur Untermalung des Gewitters zu Beginn des ersten Akts griff Nitsch etwa zu blauen, grünen und violetten Farben, bei der Vermählung von Sieglinde und Siegmund floss dagegen die Farbe Rot, ein Signal für die Blutschande, die die Verbindung der Zwillinge darstellt.

Alles Kunst

Wagner und Nitsch, das ist natürlich eine Verbindung, die auf der Hand liegt. Auf der Suche nach dem Gesamtkunstwerk kommen beide Künstler zwar zu denkbar unterschiedlichen Ergebnissen, die Suche nach Leben und Werk verschränkenden Ausdrucksweisen ist aber beiden eigen. Er sei stolz darauf, sagt Nitsch, dass er nicht als Bühnenbildner oder Regisseur nach Bayreuth eingeladen wurde, sondern als Künstler, der seine Kunst parallel zu Wagner zeigen darf.

Anders als bei vergangenen Theaterarbeiten des Aktionisten, wie etwa an der Wiener Staatsoper (Massenets Hérodiade) oder an der Bayrischen Staatsoper (Messiaens Saint François d’Assise), ist Nitschs Engagement in Bayreuth als Teil seines eigenen performativen Orgien Mysterien Theaters zu werten.

Die Entäußerung des Malers beim Malprozess stellt gewissermaßen die erste Stufe des Nitsch-Theaters dar, auf der nächsten verwendet der Akteur Blut, Gedärme und Fleisch. Insofern ist es nur konsequent, dass für Nitsch Bayreuth eine Vorstufe des Sechs-Tages-Spiels darstellt. Das nächste findet im Juli 2022 in Prinzendorf statt. (Stephan Hilpold, 20.10.2021)