FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte am Donnerstag seinen "Plan B" vor, der auf Wissen und Erkenntnissen von "zahlreichen Experten" basiere – wer diese "Ärzte und Wissenschafter" konkret sind, sagte er nicht.

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Es gibt mehrere Punkte aus Herbert Kickls Pressekonferenz, die nicht unkommentiert stehen bleiben sollten. Immerhin sprach der FPÖ-Chef am Donnerstag von "vielen Toten", die auf "das Konto der experimentellen Impfstoffe" gehen würden, er schlug Behandlungen mit umstrittenen Medikamenten vor und setzte die 3G-Regel am Arbeitsplatz mit einer Vergewaltigung gleich.

1. Helfen Cortison, Paracetamol und Ivermectin bei einer Covid-Erkrankung?

Kickl sprach von einem "Waffenarsenal" an Medikamenten, die man gegen eine Covid-Erkrankung einsetzen könne, die zugelassen und im Einsatz seien, und nannte unter anderen Paracetamol, Cortison und Ivermectin.

In Österreich sind Ivermectin-Tabletten beim Menschen laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) für die Behandlung von Skabies (Krätzmilbe) sowie parasitären Wurmbefällen mit Strongyloidiasis (Zwergfadenwürmer) sowie Mikrofilarämie durch Wuchereria bancrofti (tropische Fadenwürmer) und Ivermectin-Hautpräparate für die Behandlung von Hauterkrankungen im Rahmen der papulopustulären Rosazea (Kupferakne) zugelassen. Im veterinärmedizinischen Bereich erstreckt sich die Zulassung auf die Anwendung gegen innere und äußere Parasiten bei vielen Tierarten.

Von einer Anwendung von Ivermectin bei der Behandlung von Covid rät die österreichische Behörde wie auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA allerdings klar ab. Der Grund: Laborstudien hätten ergeben, dass Ivermectin die Replikation von Sars-CoV-2 zwar blockieren kann. Die dazu notwendige Konzentration sei jedoch wesentlich höher, als es die derzeit zugelassenen Dosierungen erlauben, so das BASG.

Paracetamol gehört zu den wichtigsten Wirkstoffen gegen Schmerzen und Fieber und ist in zahlreichen Medikamenten enthalten. Das BASG schreibt bezüglich des Einsatzes bei Covid: "Zu Beginn jeder Behandlung von Fieber oder Schmerzen bei Covid-19 sollten Patienten und medizinisches Fachpersonal alle verfügbaren Behandlungsoptionen in Betracht ziehen, einschließlich NSARs und Paracetamol." Paracetamol werde oft als erste Behandlung gegen Fieber und Schmerzen empfohlen. Gegen die Coronaviren selbst hilft Paracetamol aber nicht.

Was Kickl genau mit der Cortison-Empfehlung meint, die seine Experten angeblich geben, ist nicht klar. Im Frühjahr kam es zu einem regelrechten Hype rund um Cortison-Asthma-Sprays als mögliches Medikament gegen Covid. Hier waren aber die enthaltenen Budesonide ausschlaggebend. In einer "Lancet"-Studie wurde die Hoffnung allerdings gedämpft. Am ehesten könnte dadurch eine etwas schnellere Genesung erreicht werden, eine geringere Häufigkeit von Spitalsaufenthalten oder Todesfällen konnte man aber nicht feststellen.

2. Gibt es tatsächlich eine Vielzahl an heimischen Wissenschaftern und Ärztinnen, die der Meinung sind, man sollte Infizierte mit diesen Medikamenten behandeln?

Kickl betonte, dass alle Maßnahmen und Vorstellungen nicht "medizinische Anmaßungen seinerseits" seien. Hinter seinem Plan stünden Ärztinnen und Ärzte, Praktiker und Wissenschafter. Leute aus Österreich, die vernetzt sind mit Leuten aus der ganzen Welt und Erfahrungen und Wissen austauschen. Wer diese Expertinnen und Experten sind, ließ der FPÖ-Chef allerdings offen, obwohl er sich als "Sprachrohr dieser Menschen" beschrieb.

3. Sind flächendeckende Antikörpertests sinnvoll?

Kickl vermutet, dass einer der Gründe, "warum man das nicht haben will", sei, dass so feststellbar wäre, wie viele Menschen trotz Impfung keine Antikörper haben und welche Impfung wie gut schützt.

Expertinnen und Experten – etwa Virologen oder Molekularbiologen – beschreiben die Antikörpertests als wenig verlässlich, auch weil es sehr viele unterschiedliche Tests von verschiedenen Herstellern gibt.

Derzeit könne man mit herkömmlichen Antikörpertests gut messen, ob die Person in der Vergangenheit eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht hat oder ob die Impfung erfolgreich eine Immunreaktion ausgelöst hat. Beides korreliere sehr wahrscheinlich mit einem Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bei einer neuerlichen Infektion. Aber, so Lukas Weseslindtner vom Zentrum für Virologie der Med-Uni Wien: "Man kann anhand der individuellen Antikörperkonzentration keine sichere Aussage darüber treffen, in welchem Ausmaß und wie lange Immunität besteht bzw. wie ansteckend man bei einer neuerlichen Infektion sein würde."

Allein ist Kickl mit seiner Forderung, Antikörpertests großflächig einzusetzen, nicht. Auch die Neos forderten bereits Ende März die Regierung dazu auf, ein niederschwelliges System zur Durchführung dieser Tests für die Bevölkerung zu schaffen. Der Antrag wurde abgelehnt.

4. Stimmt es, dass im US-Bundesstaat Maryland 40 Prozent der Covid-Todesopfer geimpft waren?

In Medienberichten ist die Rede davon, dass etwa ein Drittel jener Menschen, die zwischen 1. September und 15. Oktober an Covid-19 starben, geimpft waren. In absoluten Zahlen: 195 von 649 Personen. Kickl liegt mit den 40 Prozent also darüber, die Behauptung ist im Kern aber richtig.

Der lokalen Gesundheitsbehörde zufolge hatten allerdings "viele" der geimpften Todesopfer eine Vorerkrankung. Dazu kommt, dass in Maryland 66 Prozent vollimmunisiert sind, bei den über 65-Jährigen sind es 91 Prozent.

Es ist eine logische Schlussfolgerung, dass mit der Zunahme der Zahl geimpfter Personen auch ihr Anteil an jenen steigt, die eine Covid-19-Erkrankung nicht überleben.

5. Sind die Impfstoffe bzw. die Impfung an sich "experimentell" und nicht gut genug erforscht?

Zunächst einmal ist der Zusatz "experimentell" irreführend. Kickl will damit höchstwahrscheinlich nicht beschreiben, dass die Impfstoffe gut, sondern dass sie unzureichend untersucht wurden.

Die Entwicklung von Corona-Impfstoffen verläuft aufgrund der gegenwärtigen Pandemie in beschleunigter Form. Das Gesundheits- und Sozialministerium beschreibt den Prozess so: "Normalerweise laufen Zulassungsstudien nacheinander ab. Um die Entwicklung zu beschleunigen, werden weltweit derzeit jedoch zahlreiche Studien parallel durchgeführt. Gleichzeitig können die Impfstoffhersteller bereits vor der Einreichung zur Zulassung laufend Daten von der europäischen Arzneimittelbehörde analysieren und bewerten lassen. Das nachfolgende, eigentliche Zulassungsverfahren kann dadurch zeitlich stark verkürzt ablaufen, da wesentliche Teile der Studiendaten bereits im Detail begutachtet wurden."

Trotz des beschleunigten Prozesses sind die Anforderungen an den Impfstoff bezüglich Qualität und Sicherheit aber unverändert. Alle Impfstoffe werden in umfangreichen Studien mit mehreren zehntausend Probandinnen und Probanden auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet. Impfstoffe werden nicht nur vor und während der Zulassung, sondern auch, solange sie auf dem Markt sind, kontinuierlich überwacht.

6. Wie sieht es mit Todesfällen durch die Impfung aus?

Kickl sprach am Donnerstag davon, dass es viele Todesfälle durch die Corona-Impfung gebe. Beim BASG wurden Ende September 177 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Corona-Impfung gemeldet.

Die Analyse dieser Fälle ergab, dass bei vier Patienten nach der Obduktion ein Zusammenhang mit der Impfung ausgeschlossen wurde. Bei 20 Menschen wurde festgestellt, dass die Impfung in die Inkubationszeit einer Covid-19-Erkrankung fiel, im Zuge derer die Patienten starben. Bei 34 weiteren waren vermutlich schwerwiegende Vorerkrankungen todesursächlich. Ein Zusammenhang mit der Impfung wurde bislang bei nur zwei Fällen gesehen. 117 Fälle waren noch in Abklärung. Insgesamt wurden – Stand Freitag – in Österreich bisher 11.649.046 Corona-Impfdosen verabreicht.

7. Übt die Regierung einen "Impfzwang" aus?

Kickl zufolge stellt die Regierung die Causa so dar: Entweder man hole sich die "experimentelle Impfung", oder man lande mit einem schweren Verlauf auf der Intensivstation bzw. riskiere zu sterben. Das sei nicht nur eine Lüge, sondern gar Propaganda und komme Zwang gleich. Eine solche Aussage eines Regierungsmitglieds gibt es nicht.

Der FPÖ-Chef sieht außerdem die Grund- und Freiheitsrechte bedroht. 3G am Arbeitsplatz verglich der Ex-Minister sogar mit Vergewaltigung.

Zwang wäre eine Impfpflicht, die gibt es in Österreich bekanntlich nicht. Was die Regierung über verschiedene Maßnahmen aber schon versucht, ist, die Impfquote in der Bevölkerung zu erhöhen. Der Grund dafür sind die unumstrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung der Impfung. Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit treten 90 Prozent aller symptomatischen Erkrankungen in der Gruppe der ungeimpften Bevölkerung auf. Die Wahrscheinlichkeit für umgeimpfte Menschen, schwer zu erkranken und auf der Intensivstation zu landen, ist laut aktuellen Spitalszahlen ungefähr sechsmal höher.

Österreich liegt mit einem Wert von 66 Prozent, die zwei Dosen erhalten haben, weit hinter den Spitzenreitern in der EU: Malta, Portugal, Spanien und Dänemark liegen alle jenseits der 80 Prozent. Einen bestimmten Wert strebt das österreichische Gesundheitsministerium nicht an, es gehe darum, dass jede Person geimpft werde, für die die Impfung empfohlen ist. Zu den Maßnahmen, die die Menschen zum Impfen bewegen sollen, zählt auch die 3G-Regel am Arbeitsplatz, die seit 1. November in Kraft ist. Die Regel zwingt die Menschen aber auch nicht zu einer Impfung, denn stattdessen können sie dem Arbeitgeber Testnachweise vorlegen. Der Vergleich mit einer Vergewaltigung ist nicht nur deswegen vollkommen unangebracht und wurde zu Recht von Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) scharf kritisiert.

8. Sorgen die geimpften Personen derzeit für die starke Zunahme an Covid-Fällen, weil sie sich nicht mehr testen lassen?

Immer wieder hört man das Argument, dass sich Geimpfte ja selten bis nie testen lassen, man wisse also nicht, wie viele von ihnen infiziert seien. Darin steckt ein Quäntchen Wahrheit. Doch das ist nur bedingt tragisch. Ja, es gibt Impfdurchbrüche, doch das ist normal. Auch viele andere Impfungen schützen nicht komplett vor Infektion. Und ja, die Impfdurchbrüche werden mehr. Aber das liegt daran, dass immer mehr Menschen geimpft sind.

Zur Frage, wie ansteckend Personen mit Impfdurchbruch sind, gibt es jetzt erste gesicherte Daten. Eine britische Studie, die auf dem Preprint-Server medRxiv publiziert wurde, fand heraus, dass diese Personen das Virus definitiv weniger stark verbreiten. Bei der Delta-Variante, die mittlerweile die überall vorherrschende ist, ist die Weitergabe bei Impfdurchbruch nach Biontech/Pfizer um 65 Prozent reduziert, bei Impfdurchbruch nach Astra Zeneca ist sie um 36 Prozent verringert. (Lara Hagen, Pia Kruckenhauser, Gabriele Scherndl, 5.11.2021)