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Der Westbalkan ist nach wie vor stark von Kohle abhängig.

Foto: AP/Czarek Sokolowski

Janez Kopač war manchen in Brüssel wohl zu kritisch und unbequem. Der Slowene und bisherige Direktor des Sekretariats der Energiegemeinschaft in Wien, zu der alle sechs Westbalkanstaaten gehören, muss nun das Feld räumen. Sein Nachfolger wird der polnische Diplomat Artur Lorkowski. Die Energiegemeinschaft soll in der Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den Westbalkanstaaten die Energiewende, etwa den Kohleausstieg in Südosteuropa, vorantreiben. Kopač hatte immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die Westbalkanstaaten die Vereinbarungen, etwa wenn es um die staatlichen Beihilfen für Kohleabbau ging, nicht einhielten, und er hatte auch kritisiert, dass die EU-Kommission viel zu wenig darauf reagiere.

Die EU-Kommission – zuständig sind die Generaldirektionen für Energie und Erweiterungsverhandlungen – hat nun Lorkowski in einem komplexen Auswahlverfahren unter mehreren Kandidaten vorgeschlagen. Die Zustimmung der betroffenen Länder – die für sicher gilt – soll beim Treffen der Minister am 30. November erfolgen. Doch die Wahl von Lorkowski sorgt bei Umwelt- und Energieexperten auch für Kritik. Denn Polen ist bekanntermaßen selbst sehr zögerlich, wenn es um den Kohleausstieg geht.

Politische Umsetzung

Die deutsche EU-Abgeordnete und Grünen-Politikern Viola von Cramon-Taubadel, eine Expertin für die EU-Politik in den sechs Westbalkanstaaten, moniert, dass der Westbalkan vergleichsweise sehr stark von Kohle abhängig sei und die Verschmutzung zu schweren Gesundheitsschäden und jährlich tausenden Toten führe. "Es ist daher von größter Bedeutung, dass die Energiegemeinschaft jemanden hat, der die Energiewende politisch durchsetzen kann. Das polnische Beispiel ist aber alles andere als gut. Hoffen wir, dass Herr Lorkowski im Falle seiner Wahl nicht der falsche Mann am falschen Ort ist", sagt sie zum STANDARD.

Cramon-Taubadel verweist auch darauf, dass es in der gesamten EU ein starkes illiberales Bündnis gebe. "Wir sind ziemlich besorgt, dass diese Entscheidung auf einige Hintertürgeschäfte zurückzuführen sein könnte", resümiert sie. Die Grünen-Politikerin zweifelt also an der Transparenz des Auswahlprozesses und geht von politischer Einflussnahme aus. Denn Lorkowski habe unter Experten keine uneingeschränkte Zustimmung gehabt, andere Kandidaten sehr wohl. Ursprünglich habe man zudem zugesagt, dass die Ergebnisse viel früher bekannt würden. Cramon-Taubadel verweist auch darauf, dass das Personalrekrutierungsunternehmen Mercuri Urval, welches in den Prozess eingebunden war, die Ergebnisse des eigenen Auswahlverfahrens erst in zwei Jahren veröffentlichen dürfe.

Technische Antworten

"Das ist absolut inakzeptabel, da es gegen alle Standards einer professioneller Vorgangsweise und Transparenzregeln verstößt. Wenn es nichts zu verbergen gibt, warum sollte man sie dann nicht sofort veröffentlichen, wie in allen anderen Fällen?", fragt Cramon-Taubadel. "Normalerweise sind die Ergebnisse des Mercuri-Urval-Auswahlverfahrens in der Regel fast unmittelbar nach dem Auswahlverfahren bekannt." Auf Anfrage zu dem Thema meint Sofia Hjort Lönegård von Mercuri Urval zum STANDARD: "Aus rechtlichen, vertraglichen und vertraulichen Gründen geben wir keine Informationen zum Auswahlverfahren weiter." Man solle sich an die EU-Kommission oder die Energiegemeinschaft wenden.

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Die rechtspopulistische Regierung in Warschau bringt weiterhin neue Kohlekraftwerke ans Netz.
Foto: Reuters/Pempel

Die EU-Kommission antwortet auf ganz konkrete Fragen des STANDARD technisch: "Das Ernennungsverfahren für den Posten des Direktors des Sekretariats der Energiegemeinschaft läuft noch. Eine Auskunft über das Ergebnis ist daher nicht möglich." Abgesehen davon sei die Arbeit der Auswahlgremien vertraulich. Und Fragen zu Bewerbern würden dem Datenschutz unterliegen. Inhaltlich gibt die EU-Kommission also keine Stellungnahme zu der Postenbesetzung ab.

Extreme Luftverschmutzung

Dabei ist der Posten vor allem politisch sehr wichtig. Denn in den sechs Westbalkanstaaten herrscht – vor allem auch wegen der Kohlekraftwerke – extreme Luftverschmutzung. Insbesondere in Bosnien-Herzegowina liegen die Feinstoffwerte oft über jenen in den asiatischen Millionenstädten wie Peking. Auf dem Balkan bräuchte es – so die Meinung vieler Umweltexperten – deshalb entschlossenen und konsequenten Druck auf die nationalen Behörden. Lorkowski wird dieser von vielen nicht zugetraut.

Denn trotz der politischen Einigung auf EU-Ebene, den Kohleausstieg zu vollziehen, bringt die rechtspopulistische Regierung in Warschau neue Kohlekraftwerke ans Netz, plant neuen Braunkohletagebau und hat kürzlich angekündigt, mit staatlichen Beihilfen versuchen zu wollen, den staatlichen Kohlebergbau bis 2049 weiterzubetreiben.

Experte für Klimaangelegenheiten

"Wir sind mit den persönlichen Referenzen von Herrn Lorkowski nicht vertraut, aber sein Hintergrund in der polnischen Regierung wird es ihm sehr schwer machen, die Energiegemeinschaft glaubwürdig zu einer verbesserten Rechtsstaatlichkeit und verstärkten Ambitionen im Bereich nachhaltiger Energie zu führen. Wie genau, denkt die Europäische Kommission, soll das funktionieren?", meint etwa Pippa Galopp von der NGO Bankwatch in Kroatien.

Lorkowski selbst hat als Sondergesandter des polnischen Außenministeriums für Klimaangelegenheiten sicherlich Expertise. Der Mann, der die Warschauer School of Economics absolvierte und von 2013 bis 2017 als Botschafter in Wien fungierte, gilt aber als Technokrat. Zuletzt war er Vizepräsident des Nationalen Fonds für Umweltschutz und Wasserwirtschaft.

Unparteiisches Handeln

Auf Anfrage meint Lorkwoski selbst zum STANDARD, dass ein "endgültiger Ernennungsbeschluss durch den Ministerrat der Energiegemeinschaft noch aussteht". Doch der Rat der Europäischen Union habe die Kommission ermächtigt, "den Entwurf eines Verfahrensakts des Ministerrats zur Ernennung meiner Person zum Direktor des Sekretariats der Energiegemeinschaft ab dem 1. Dezember 2021 zu genehmigen".

Nach der endgültigen Entscheidung würde er sich freuen, über seine Prioritäten zu sprechen, so Lorkowski zum STANDARD. "Dennoch möchte ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass der Direktor unabhängig vom Ergebnis des Ernennungsverfahrens gemäß dem Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft in Ausübung seines Amtes von keiner Vertragspartei Weisungen einholen oder entgegennehmen darf. Er/sie handelt unparteiisch und fördert die Interessen der Energiegemeinschaft."

Kein Kohlelobbyist

Lorkowski selbst war manchen in der EU zuvor kein Begriff, deshalb gab es zu Beginn des Verfahrens auch einen "Prüfvorbehalt", der dann aber nach Klarstellung einiger Nachfragen zurückgezogen wurde. In Österreich gilt Lorkowski nicht als "Kohlelobbyist", manche gehen davon aus, dass ein Pole, gerade weil die Herausforderungen in Polen jenen auf dem Westbalkan ähneln, auch die soziale Situation verstehen könne.

In den Westbalkanstaaten selbst sorgen sich viele – jenseits der Postenvergabe – , dass die Druckmittel zur Energiewende von der EU noch weiter aufgeweicht werden. Zuletzt haben sich Umwelt- und Energieexperten Ende September mit einem Brief an die EU-Kommission gewandt. 18 zivilgesellschaftliche Organisationen kritisierten darin, dass der Maßnahmenplan zur Umsetzung der "Grünen Agenda" in der Region ohne Konsultation mit der Zivilgesellschaft erfolgte und in vielen Bereichen Mängel aufwies.

Ohne Konsultationen mit der Zivilgesellschaft

Der Maßnahmenplan wurde vom Regionalen Kooperationsrat der Westbalkanstaaten verfasst, es fehlten allerdings klare Deadlines, eine klare Aufgabenbeschreibung und Sanktionsmaßnahmen im Falle einer Nichteinhaltung.

Die NGOs fordern klar, dass die EU-Kommission die Westbalkanstaaten für die Einhaltung ihrer Verpflichtungen rechenschaftspflichtig machen müsse. Immer wieder gibt es Kritik, dass in der neuen EU-Kommission auf die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen wenig Wert gelegt wird, etwa in der Generaldirektion für Erweiterungsverhandlungen, die von dem ungarischen EU-Kommissar Olivér Várhelyi, der vom Rechtspopulisten Viktor Orbán entsandt wurde, geführt wird. (Adelheid Wölfl, 26.11.2021)