Zuversicht bis Zweifel: Wie lange wird die Schließung diesmal dauern?
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Alle haben schon Übung darin, und doch ist der aktuelle Lockdown anders als die bisherigen. Er soll – für Geimpfte – am 13. Dezember enden, nach Möglichkeit bundesweit, doch keiner glaubt so recht daran. Die Zuversicht ist trotz der Förderzusagen bescheiden, sie geht in den besser abgesicherten Bereichen aber auch mit Pragmatismus einher. Auf welches Szenario bereiten sich die Kulturschaffenden und -betriebe also vor? Wir haben uns umgehört.

LITERATUR: Aufschrei, Klagen, Warnungen

Den Buchhandel trifft es jedenfalls hart. Er hat Anfang der Woche als Erstes aufgeschrien und vor schweren Umsatzeinbußen im Weihnachtsgeschäft gewarnt. Die Händler haben zwar wieder auf Click-and-Collect und Onlinebestellung umgestellt, doch gerade das Weihnachtsgeschäft funktioniert über Stöbern und Schmökern.

Nicht nur im Wiener Buchkontor von Ulla Harms ist alles dekoriert. Hier wie anderswo könnten Läden auf ihren Weihnachtsbüchern und Adventkalendern, mit denen sie sich eingedeckt haben, nun aber sitzenbleiben. "Viele Buchhandlungen leben ja nicht nur davon, dass sie die Türen aufsperren und Kunden kommen", sagt Harms weiter. "Wir haben viele Kooperationen mit Kindergärten und Schulen, in denen wir vor Ort bei Elternsprechtagen und dergleichen eine Auswahl unserer Kinderbücher zeigen. Diese Umsätze gehen in die Tausenden Euro und fallen nun ebenso aus."

Von einem Umsatzrückgang von 65 Prozent im stationären Buchhandel spricht der Hauptverband (HVB) für die ersten Tage dieses Lockdowns. Im selben Zeitraum hätten Onlinehändler 25 Prozent Zuwachs verzeichnet. "Der Konsument wartet also nicht, sondern kauft jetzt online", klagt HVB-Geschäftsführer Gustav Soucek. Nach dem 14. Dezember mache man üblicherweise zehn Prozent des Jahresumsatzes, sollte der Lockdown in die Verlängerung gehen, "riskieren wir nochmals eine mittlere Katastrophe".

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KINO: Immer wieder das Publikum zurückgewinnen

In der Kinobranche reagiert man auf den neuerlichen Lockdown mit einer Mischung aus Pragmatismus und Verdrossenheit. Die Abwicklungen innerhalb der Betriebe sind beim vierten Mal bereits vertraut: Wirtschaftshilfen und Kurzarbeit haben bisher den Fortbestand der Kinos gesichert und werden auch diesmal wieder nötig sein. Trotz der Dankbarkeit für finanzielle Unterstützung ist der Frust der Kinobetreiber über das Corona-Missmanagement groß: Es sei schlichtweg schockierend, dass die Entscheidungsträger es erneut so weit hätten kommen lassen, heißt es bei der Diesel-Kette, die bundesweit neun Multiplexe betreibt.

Nachdem sich die Kinos im Herbst mühevoll einen Teil ihres Publikums zurückerkämpft haben und mit dem letzten James Bond Rückenwind verspürten, schmeckt die jähe Schließung vor dem Weihnachtsgeschäft doppelt bitter. In den Wintermonaten seien die Umsätze am höchsten, sagt Renate Wurm vom Salzburger Das Kino, das unlängst mit dem erstmals vergebenen Kinopreis für seine Programmierung ausgezeichnet wurde. Wurm verzeichnete während der Pandemie einen Besucherrückgang von 50 Prozent, durch das Auf- und Zusperren stehe man ständig aufs Neue vor der Herausforderung, das Publikum zurückzugewinnen.

Dazu kommt die Ungewissheit, wie lange der Lockdown dauern wird: Dass vor Weihnachten aufgesperrt werden kann, damit rechnet man nicht, das Niveau der Covid-Fallzahlen sei zu hoch. "Der Kultur- und Veranstaltungsbereich war stets der letzte, der geöffnet hat", sagt Diesel-Kino-Pressesprecher Stefan Riedler. Im von der Pandemie hart getroffenen Oberösterreich ist die Zuversicht am geringsten. "Ich habe meinem Wirt schon gesagt, wir sehen uns zu Ostern wieder", sagt Wolfgang Steininger, der Kinos in Linz und Freistadt betreibt, sarkastisch. Die schwierigen Jahre kommen für ihn erst nach der Pandemie.

Jeder Lockdown bringt zudem einen Rattenschwanz an Verschiebungen mit sich. Der von Karikaturist Manfred Deix inspirierte Animationsfilm Rotzbub, von dem sich viele Kinos einen Weihnachtserfolg erhofften, wurde vom Verleiher bereits ins Frühjahr geschoben, weil die Lage zu ungewiss ist. Immerhin bleiben die internationalen Starts noch erhalten, darunter Steven Spielbergs West Side Story, da in anderen europäischen Ländern die Kinos – bis jetzt – geöffnet sind. (kam)

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MUSIK: Phlegma, Stress, Zuversicht

Lockdown Nummer vier, das bedeutet eine gewisse Routine. Entsprechend phlegmatisch ist man seitens mancher Veranstalter. Kleine Clubs wie das Wiener Chelsea verschieben Konzerte, abgesagt wird wenig. Karten werden zurückerstattet, das ist mühsam, weil dabei für den Veranstalter Gebühren anfallen, erzählt David Krispel vom Chelsea. Das Publikum sei aber verständnisvoll. Ansonsten werden wieder Steuerberater bemüht, wird um Unterstützungen angesucht, Kurzarbeit in Anspruch genommen, alles fast schon Gewohnheit, selbst wenn aktuell noch offene Fragen bezüglich Unterstützung bestehen.

Ein Problem bei Verschiebungen ins Jahr 2022 ist, dass dort bereits die Termine von 2020 hinverschoben wurden. Der Kalender ist also gefüllt. Ähnlich im Großformat: Ewald Tatar vom Branchenriesen Barracuda Music hofft, manches schon im Jänner oder Februar veranstalten zu können. Für Frühjahr und Sommer 2022 ist er aber zuversichtlich: "Resigniert wird nicht." Immerhin hat er Konzerte, die teils seit zwei Jahren ausverkauft sind. Auch für 2023 sind viele große Acts bereits gebucht.

Bei den Konzerthäusern Wiens keine Spur von Phlegma: Stephan Pauly vom Musikverein musste 65 Konzerte streichen (30 Verschiebungen, der Rest entfällt oder wird gestreamt). Der Finanzschaden durch Ticket-Refundierungen sei enorm, lasse sich aber noch nicht beziffern. Ähnliche Umplanungen für Konzerthaus-Chef Matthias Naske: Er fordert – zwecks Schadensbegrenzung – die Beibehaltung des reduzierten Umsatzsteuersatzes von fünf Prozent auf Tickets bis Sommer 2022.

Hochbetrieb herrscht auch im Wiener Porgy & Bess, das ohne Publikum weiterspielt. Ein Teil des Teams muss aber aus kaufmännischer Vorsicht in Kurzarbeit, trotz Mehraufwands. Chef Christoph Huber wünscht sich Gleichbehandlung "mit Handel und Gastronomie plus Unterstützung", etwa die Prolongierung des NPO-Fonds für Gemeinnützige. (flu, toš)

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AUSSTELLUNGEN: Verlängerung des Lockdowns wäre fatal

Das erneute Zusperren kam überraschend. Der Ablauf ist aber mittlerweile eingespielt: Digitale Formate werden hoch-, der Ausstellungsbetrieb heruntergefahren. Ansonsten akzeptiert und hofft man. Vor allem, dass der Lockdown wirklich nur bis 13. 12. dauert oder man wenigstens wieder mit dem Handel (und den Galerien) öffnen kann. Der Lockdown ist für viele Einrichtungen schmerzhaft, eine Verlängerung über die besuchsstarken Weihnachtstage wäre zusätzlich hart.

Neben den Eintrittsgeldern fallen Einnahmen durch Shop-Verkäufe sowie Veranstaltungen und Einmietungen weg. Viele geben sich zuversichtlich, andere stöhnen schon leise auf: Neue Ausstellungen mussten gleich wieder schließen oder konnten gar nicht eröffnen. Verlängerungen, Verschiebungen und Fristen für (internationale) Leihgaben müssen erst geprüft werden.

Vor allem große Museen (mit Blockbuster-Ausstellungen) beklagen den nun kompletten Publikumseinbruch. Das KHM Wien kündigt aufgrund der Vollbremsung der Tizian-Sonderschau sowie des ganzen Betriebs einen Verlust von einer Million Euro an. Man werde "das Jahr 2022 ohne zusätzliche staatliche Hilfe nicht aus eigener Kraft schaffen", heißt es auf Anfrage. Auch der Präsident des Museumsbunds Wolfgang Muchitsch ist sich sicher, dass die Bundesmuseen zusätzliche staatliche Hilfe benötigen werden. Durch die verschiedenen Hilfspakete des Bundes seien viele andere Museen bislang finanziell mit einem blauen Auge davongekommen.

Doch auf für mittlere und kleinere Häuser wird es budgetär enger. Kurzarbeit hilft hier erst einmal aus, man hofft aber auf erneute und längerfristige Förderungen – die tatsächlichen Ausmaße sind noch nicht absehbar. Kunstvereine und unabhängige Räume sehen sich bereits unter "enormem Druck" und fordern mehr Unterstützung. Etwas Positives: Der Ausstellungsbetrieb kann vergleichsweise schnell wieder hochgefahren werden. (kr)

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BÜHNE: Kurze Planungshorizonte, krasse Befürchtungen

Das Volkstheater hat den Anfang gemacht: Es kündigt überraschend seine Wiederöffnung erst für den 7. 1. 2022 an. Damit weicht das von Kay Voges geleitete Haus der Unsicherheit über das Lockdown-Ende am 13. 12. aus und gewinnt Planungssicherheit. Diese ist generell vage wegen der konstant hohen Fallzahlen.

Vorerst sind die Bühnen aber mit der Rückabwicklung gekaufter Karten und der Neuadaption ihrer Spielpläne befasst. Das fordert insbesondere große Tanker wie das Burgtheater, deren größtes Problem kurze Planungshorizonte sind. Große Häuser brauchen Vorlaufzeiten; derzeit fühle es sich aber an wie im Vorjahr, die Regierung habe leider nichts dazugelernt. Man will die Evaluierung am 1. 12. noch abwarten. Wenn gespielt werden darf, will man dies auch vor Weihnachten noch tun.

Kleinere Unternehmen wie etwa das Grazer Theater im Bahnhof sind wendiger, aber auch gut vorbereitet: Für Dezember wurde mit niedrigerer Auslastung kalkuliert, zudem setzte man eine Streamingpremiere an. Sollte sich das Veranstaltungsverbot erneut über einen längeren Zeitraum erstrecken, ist für Theater mit ganzjährigen Anstellungsverhältnissen die Möglichkeit der Kurzarbeit das allerwichtigste Instrument. Freischaffende in Gastverträgen oder in projektbezogenen Engagements müssen anderweitig um Hilfen ansuchen, die allerdings kurzfristig viel Bürokratie bedeuten.

Die Volksoper probt indes weiter, hofft, die Premiere von Lady in the Dark am 13. 12. nachzuholen. Außerdem ist man in Verhandlungen mit Betriebsräten, um Mitarbeiter partiell für Kurzarbeit anzumelden. Das Theater an der Wien hofft, seine Premiere Giulio Cesare ab 14. 12. spielen zu können – und vor Publikum. Ansonsten wird, so Intendant Roland Geyer, für TV und DVD aufgezeichnet. Die Verluste bei den Einnahmen beliefen sich zurzeit auf rund 100.000 Euro. Geyer fürchtet nicht nur, dass das Publikum der Kultur entwöhnt würde. Da auch die Vollimmunisierten zur hohen Inzidenz beitragen, befürchtet er, dass die Pandemie noch Jahre dauert.

Im Kabarett hatte man mit einer erneuten Schließung fast gerechnet und sich bereits darauf vorbereitet. Glücklicherweise erholt sich das Kabarett meist rasch, sobald wieder geöffnet wird. Allerdings gingen die Leute zuletzt lieber zu den etablierten Stars als zu Unbekannteren. Subvention für Nachwuchsförderung wird daher umso wichtiger werden. (afze, toš, stew, 28.11.2021)