Eine Mussorgski-Oper in seinem Geiste, aber pandemiebedingt ohne die Macht seiner Bilder: Regisseur Peter Konwitschny.

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Eigentlich hätte man da ja jetzt ein riesiges Kasperltheater sehen müssen, als Bühne für das moralbefreite politische Personal, welches das Volk mit großzügigen Geschenken bei Laune hält: Gold ist geil! Und am Schluss hätte man eine Hüpfburg in Form eines gigantischen Einkaufswagens bestaunen können, dem beim finalen Abtritt des Politobersten die Luft ausgeht und der in sich zusammensinkt wie ein misslungenes Soufflé.

Doch die Inszenierung von Peter Konwitschny, die 2016 erstmals am Staatstheater Nürnberg zu sehen war, hat es nicht nach Wien geschafft. Im Mai 2020, als die Deutung erstmals an der Volksoper gezeigt werden sollte, stand seit zwei Monaten eine Pandemie auf dem Spielplan. Und da stand sie Ende November 2021 immer noch, als man im Haus am Gürtel entschied, "das Risiko einer szenischen Opernproduktion dieser Dimension mit zahlreichen Massenszenen" nicht einzugehen.

Schade? In gewisser Weise schon. Überraschend und unterhaltsam sind die gesellschaftskritischen Arbeiten des in der DDR sozialisierten Regie-Altmeisters eigentlich fast immer. Ob Konwitschny jedoch gerade Mussorgskis "Boris Godunow" für einen lustvollen Ausritt mit seinem thematischen Steckenpferd, der Kritik am Konsumwahn der heutigen Zeit, benutzen musste, sei dahingestellt.

Neudeutsches Libretto

Das zentrale Thema der Oper über den russischen Zaren (1598–1605) ist die dunkle Seite der Macht. Godunow wird mehr und mehr von ihr zerrieben; Verdächtigungen, den siebenjährigen Zarewitsch Dimitri ermordet zu haben, treiben ihn in den Wahn. Albert Pesendorfer singt die Titelpartie mit seinem mächtigen, ein wenig perforierten Bass leider zu gleichförmig, um die Zerrissenheit und die seelischen Qualen der Figur hörbar zu machen.

Als Mönch Grigori, der als falscher Zarewitsch nach Godunows Job strebt, schmettert Vincent Schirrmacher gern und überreichlich, aber der Haustenor der Volksoper kann das auch echt gut. Mit eleganter Geschmeidigkeit punktet Carsten Süss als Fürst und Intrigantenstadlchef Schuiskij – nicht durchgehend, aber oft. Ghazal Kazemi und Elisabeth Schwarz erfrischen als Zarenkinder Fjodor und Xenia. Martina Mikelić gibt eine Schankwirtin von schneidiger Sinnlichkeit, Marco Di Sapia findet als Bettelmönch Warlaam bei ihr Aufnahme und Wein – sowie im neudeutschen Libretto von Werner Hintze drastische Formulierungen: "Verpiss dich!"

An der Volksoper zeigt man Mussorgskis "Boris Godunow" nicht nur in der Urfassung von 1869, sondern auch noch auf pausenlose 105 Minuten gekürzt (ohne die vorletzte Szene mit Kinderchor und Gottesnarr zum Beispiel). Jac van Steen hat diesbezüglich einen guten Job gemacht, der Routinier dirigiert auch vorzüglich und leitet das souveräne Volksopernorchester zu Abwechslungsreichtum an. Konwitschny hätte den Zaren übrigens am Ende statt ins Jenseits auf Urlaub in den Süden geschickt, mit Strohhut und Hawaiihemd. Im schütter besetzten Haus hätte das sicher zur Stimmungsaufhellung beigetragen. (Stefan Ender, 17.1.2022)