Das Glück war nicht von Dauer: Floria Tosca (Kristine Opolais) und Mario Cavaradossi (Jonathan Tetelman).

Monika Rittershaus

So könnte die Vorgeschichte dieser Tosca lauten: Nach einer verlorenen Wahl stürmt eine wütende Gruppe in einem fernen Land das Parlament, stürzt die Regierung und daraufhin das Land in einen blutigen Bürgerzwist, der zum globalen Krieg ausartet. An dessen Ende landen die Überlebenden einer auch ökologischen Katastrophe im ewigen Winter einer Diktatur. Warm ist hier nur diesem schamanenartig mit Fellmütze und Federschmuck bekränzten Faktotum (Rafal Pawnuk). Es erinnert irgendwie an einen bekannt gewordenen Wirrkopf der Donald Trump liebenden QAnon-Bewegung.

Was immer dem, was zu sehen ist, vorausging: Im Theater an der Wien scheint Puccinis Drama an den Folgen einer zivilisatorischen Katastrophe zu leiden. Die "Dreiecksbeziehung" Tosca/Cavaradossi/Scarpia spielt auf einer hügeligen Schneelandschaft eines zukünftigen Irgendwo. Weit und breit kein Rom, keine Kirche Sant’Andrea della Valle, kein Palazzo Farnese und auch keine runde Engelsburg. All das ist wohl längst zugrunde gegangen.

Dystopische Gesellschaft

Das Zentrum bildet ein kahler Baum, auf dessen Ästen blutende Gliedmaßen baumeln. An seinen Stamm ist ein Torso gebunden, neben dem jenes Marienbild lehnt, das Tosca kniend anbetet. Also: Zusammen mit einem Wohnwagen, in dem Bösewicht Scarpia haust, insinuiert das Ambiente eine dystopische Gesellschaft, in der sich eine Diktatur mit religiöser Indoktrination behauptet (Bühne: Annette Murschetz). Folter, Misshandlung und unterwürfig Beten-Müssen sind Methoden der Repression.

Interessantes Konzept

Das ist subjektiv und ambitioniert gedacht. Martin Kušejs konzeptueller Zugang setzt auf eine Verdichtung des brutalen, düsteren und tödlichen Kerns, den die Oper in sich trägt. Theoretisch. Es erreicht die etwas beiläufige Umsetzung nämlich nie das Niveau des Regieentwurfs. Oft verziert durch vermummte, bewaffnete Exekutive, lässt die Inszenierung zu sehr der Opernkonvention freien Lauf.

Das geniale Werk besitzt natürlich so etwas wie Selbstheilungskräfte: Es führt "Tosca", rein durch die Intensität ihrer Geschichte und ihrer Musik, gewisse Momente, man könnte sagen, in ein szenisches Leben zurück. Im Grunde jedoch bleibt es bei der grellen Bebilderung einer verrohten Gesellschaft, deren Figuren oberflächlich wirken.

Erpresserischer Übergriff

Kušej stößt ideenmäßig Türen auf, durch die er szenisch nicht konsequent hindurchgeht. Die geheimen, aufzudeckenden Beziehungen zwischen den Figuren bleiben insofern vage, halbherzige Andeutung. Selbst die Auseinandersetzung zwischen Scarpia und Tosca mutet wie ein hektischer Versuch an, diese Szene eines erpresserischen Übergriffs auf eine Frau als Episode einer ambivalenten Beziehung darzustellen, in der es womöglich sadomasomäßig "knistert".

In einer Art Striptease umgarnt und besteigt Tosca den machtbewussten Psychopathen. Er hat sich seines Pelzmantels entledigt und schlürft Wein, während außerhalb seines Wohnwagens Cavaradossi unter der Folter stöhnt. Nun ja. Die trivial-plumpe Aufgeilungsepisode endet zwar mit Toscas recht heftigen Messerstichen. Es hilft nichts: In Summe wirkt das alles plakativ und blutig ins Horrormäßige gewuchtet, wo doch konzeptuell versprochen wurde, die Charaktere bis ins Detail durchzugestalten.

Solide Stimmen

Es bleibt bei Oberflächenästhetik: Kristine Opolais gibt als Tosca alles und verfügt über ein etwas herbes Timbre, das zumindest den dramatischen Passagen zugutekommt. Jonathan Tetelman präsentiert sich als Cavaradossi mit passablem Klang. Von der Lautstärke und der Kernigkeit her sind seine Höhen imposant. In den tieferen Regionen wirkt er unscheinbar, was zu seinen Darstellungskünsten passt. Übertroffen wird er nur von Gábor Bretz als Scarpia. Vokal solide, blieb er als "cooler" Sadist am Geschehen irgendwie voyeuristisch unbeteiligt.

Dirigent Marc Albrecht, für den erkrankten Ingo Metzmacher eingesprungen, animiert das ORF-RSO-Wien zwar energisch, aber doch eher zu einer recht farblosen Sicht der wilden Partitur. Irgendwie kühl klang es, passte insofern aber zur Schneelandschaft, in der es natürlich für Tosca keine Möglichkeit gab, von einer Burg in den Tod zu springen. Sie wird von der stummen Figur der Gräfin Attavanti (Sophie Aujesky), welche durch die Inszenierung geistert, erschossen.

Gute alte Tosca

Wer die uralte Inszenierung an der Staatsoper – gefühlterweise – 1000-mal gesehen hat, freut sich grundsätzlich auch über Abwechslung. Diese jedoch hatte kaum Überzeugungscharme. Das Publikum bedachte das Ensemble zurecht mit Applaus und Burgtheater-Direktor Kušej aber mit einem Buhorkan, den er lächelnd mit professioneller Würde entgegennahm. (Ljubiša Tošić, 19.1.2022)