Das Militär tanzt, das Volk leidet: Kim (Vanessa Heinz) hat in einem Akt verzweifelter Gegenwehr Thuy (James Park) ermordet und sieht einer leidvollen Zukunft entgegen.

Foto: Johan Persson

Es ist nicht so, dass mit Musicalmitteln nicht auch heikle Themen würdevoll abgehandelt werden können. "Cabaret" oder "Anatevka" sind etwa Belege einer behutsamen Verzahnung von inspirierter Niveaumusik und der realitätsgerechten Darstellung bedrückender politischer und sozialer Rahmenbedingungen. Bei "Miss Saigon" im Raimund-Theater gehen jedoch alle Ansätze von Subtilität schließlich eher gnadenlos im Revue- und Hubschrauberlärm unter.

Das 1989 in London uraufgeführte Erfolgsmusical, in dem ein guter US-Bürger und -Soldat gerne eine arme Vietnamesin gerettet hätte, es jedoch nicht konnte, leidet dabei auch stark an seinen anämischen Musikmitteln: Komponist Claude-Michel Schönberg – mit Alain Boublil (Buch und Liedtexte) auch für das Musical "Les Miserables" verantwortlich – erweist sich als Routinier der trivialen Umrahmung von Dramatik und Leid.

Melodische Klangwolke

Die Songs, die er an "Höhepunkten" platziert, sind wärmstens TV-Anstalten zu empfehlen, die sicherstellen wollen, beim Song Contest keinesfalls zu gewinnen. ..Entlang der Geschichte von Kim (tadellos und mit mädchenhaftem Timbre: Vanessa Heinz) und Chris (auch tadellos und energisch: Oedo Kuipers) schwebt Schönbergs Melodik als unscheinbare Klangwolke umher und banalisiert alle Ansätze inhaltlicher Ernsthaftigkeit.

Zweifellos wäre es besser gewesen, manche Szene von der Last der Musik zu befreien und das Geschehen dem gesprochenen Wort zu überlassen. Auch musikalische Anleihen bei Puccinis Oper "Madama Butterfly", die ebenfalls von der Novelle "Madame Chrysanthemum" inspiriert ist, wären als niveauhebende Zitate empfunden worden. Zudem wäre es hilfreich gewesen, die Lieder in Originalsprache zu belassen. Michael Kunzes mitunter recht holprig eingedeutschte Liedtexte sind ein Brandbeschleuniger des Trivialen.

Hohler Moment

So ist es nicht verwunderlich, dass als "Hit" dieses Blockbusters eine Hubschrauberszene gilt, in der – nachdem Saigon gefallen ist – US-Soldaten weggebracht werden. Also auch Chris, der die schwangere Kim zurücklassen muss. Ein gigantomanischer hohler Moment ist diese simulierte Landung.

Er zeigt symptomatisch, dass es diese Großproduktion nicht schafft, Revueeffekte ohne plakative Holzhammerästhetik umzusetzen. Natürlich wird auch die Gelegenheit nicht verpasst, Soldaten tanzend marschieren zu lassen, was den Eindruck eines leicht gruseligen Holiday on Ice ohne Ice hinterlässt. Dafür sind die US-Bürger gut und gütig, während ihnen vor allem brutale (James Park als Thuy) und windig-korrupte Vietnamesen wie der Engineer gegenübergestellt werden.

Eine gute Nummer

Natürlich ist die Produktion handwerklich tadellos. Das Stück ist dramaturgisch professionell gebaut und die Inszenierung von Laurence Connor elegant, was die Wechsel der Szenen anbelangt. Tatsächlich gelingt auch eine späte Nummer. "The American Dream" bringt den Charakter des Engineers musikalisch unerwartet raffiniert nahe. Das Porträt eines Opportunisten, der von einem besseren Leben in den USA träumt, wird durch Christian Rey Marbella (die Textdeutlichkeit wäre zu verbessern) auf hohes Niveau gehoben.

In Summe bleibt jedoch der übermächtige Eindruck eines (vom Orchester unter Herbert Pichler gut betreuten) aufdringlichen Musicalmonsters. Es ist ihm natürlich zu wünschen, so lange zu laufen, bis es seine Kosten einspielt. Ansonsten wieder Krise ... (Ljubiša Tošić, 25.1.2022)