Tausende von Bakterienarten bilden das Darmmikrobiom und könnten dafür verantwortlich sein, wie wir uns gerade fühlen.

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Der Darm ist eine riesige Wohngemeinschaft. Hier leben Tausende von Bakterienarten, die das Darmmikrobiom bilden. Die meisten befinden sich im Dickdarm, wo sie unverdauliche Nahrung fermentieren und so Nährstoffe verfügbar machen. Die Anzahl der einzelnen Bakterientypen hängt dabei von vielen Faktoren ab, wie dem Gesundheitszustand, den Ernährungsgewohnheiten und sogar dem Grad der körperlichen Aktivität. Und wie in einer WG, kommt es auch in unserem Darm auf die richtigen Mitbewohner an, damit wir uns wohlfühlen. Eine aktuelle Studie legt nun nahe, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms mit beeinflusst, ob man sich tendenziell eher erschöpft fühlt oder energiegeladen durch den Tag geht.

Die Ernährungswissenschafterin Lauri Byerley vom Louisiana State University Health Sciences Center nahm mit Kollegen zum einen das Mikrobiom von Probanden unter die Lupe. Zum anderen befragten sie ihre Versuchspersonen, ob sie sich erschöpft oder voller Energie fühlten. Da eine Analyse der Darmflora für eine vollständige Studie kostspielig ist, entschieden sich die Forscher dafür, zunächst eine kleine Stichprobe von jungen, körperlich aktiven Erwachsenen zu untersuchen. Das Ergebnis: Bakterien, die am Stoffwechsel beteiligt sind, scheinen eine Rolle dabei zu spielen, wie energiegeladen wir körperlich und geistig sind. Bakterien wiederum, die mit körperlichen Entzündungen in Verbindung stehen, beeinflussen offenbar, wie geistig und körperlich erschöpft wir sind.

Buttersäure als Energielieferant?

So fühlten sich etwa die Probanden, die mehr von der Bakteriengattung Anaerostipes in ihrem Mikrobiom hatten, energiegeladener. Diese Bakterien produzieren Butyrat, eine kurzkettige Fettsäure. Butyrat entsteht durch Gärung im Bakterienstoffwechsel und zeigt im Darm vielseitige Wirkungen. Es dient den Darmzellen unter anderem als Energielieferant.

Warum aber genau eine bestimmte Zusammensetzung des Mikrobioms mit Energie oder Müdigkeit einhergeht, können die Forscher bislang noch nicht sagen. "Aktuelle Studien belegen, dass Butyrat positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat", sagt Lauri Byerley. "Es wäre aber reine Spekulation zu sagen, dass dieses Bakterium zu mehr Energie führt." Schließlich fanden die Forscher nur einen statistischen Zusammenhang zwischen bestimmten Bakterien und dem Energielevel. Und das sagt nichts über Ursache und Wirkung aus.

Außerdem war die Studie von der Zahl der Probanden her klein. "Wir wissen so wenig über die meisten Bakterien", erklärt Lauri Byerley, "weil wir sie nicht im Labor züchten und ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt und anderen Bakterien untersuchen können."

Bakterien, die gute Laune machen

Zumindest eines weiß man aber schon länger: Der Darm und seine Bewohner haben ein gehöriges Wörtchen dabei mitzureden, wie wir uns fühlen. "Unser Mikrobiom nimmt über Stoffwechselprodukte und Botenstoffe wie das Glückshormon Serotonin Einfluss auf unsere Psyche und Stimmung." Das sagt Gabriele Moser, Fachärztin für Innere Medizin und Psychotherapeutin von der Medizinischen Universität Wien. "Bei Patientinnen mit Reizdarmsyndrom konnten wir anhand des Stuhls und der Zusammensetzung des Mikrobioms erkennen, ob sie gestresst waren oder nicht." Die neue Studie von Lauri Byerley und ihren Kollegen bestätige einmal mehr einen Zusammenhang zwischen Darmbakterien auf der einen Seite und der Psyche und Stimmung auf der anderen Seite.

Was bedeutet das nun für die Praxis? Sollten Menschen, die sich immer niedergeschlagen, gestresst oder erschöpft fühlen, die Zusammensetzung ihres Darms checken lassen? Gabriele Moser hält das für keine gute Idee. Vielmehr beobachtet sie derzeit eine problematische Entwicklung. Viele Patienten kommen mit seitenweisen Ausdrucken der Bakterienzusammensetzung ihres Stuhls aus einem privaten Labor zu ihr und erwarten eine Interpretation des Mikrobioms. "Doch in der klinischen Praxis sind wir noch nicht so weit", sagt Moser. Die Mikrobiom-Forschung sei noch jung. "Welche Zusammenhänge etwa zwischen der Darmflora und der Stimmung genau bestehen, ist noch nicht ausreichend bekannt."

Darmanalyse als Cashcow

Gleichwohl machen Labore ein gutes Geschäft damit, indem sie Analysen der Darmflora anbieten, die die Patienten selbst zahlen müssen. Gabriele Moser vergleicht das gerne damit, wenn man seinen Fingerabdruck einschickt und wissen möchte, ob der normal ist. "Aber es gibt keinen normalen, sondern nur einen individuellen Fingerabdruck", sagt sie. "Und genauso gibt es auch kein normales Mikrobiom." Jeder Mensch habe vielmehr ein individuelles Mikrobiom.

Zudem sind die Tests aus dem Labor lediglich eine Momentaufnahme des Darms. Diese Momentaufnahme bringt dem Patienten nichts. Denn die Darmflora ist ständigen Schwankungen unterworfen. Faktoren wie Ernährung, Alter, Bewegung und Medikamente verändern die Darmflora permanent. Mit dem heutigen Stand des Wissens kann man keinen grünen Bereich bestimmen, der eine gesunde Darmflora bedeuten würde. Was man dagegen weiß: "Wenn die Reichhaltigkeit und Vielfalt des Mikrobioms reduziert ist, kann das zu Erkrankungen, auch psychischen Erkrankungen führen", erklärt Moser. "Aber es ist eben noch zu früh, um in der klinischen Routine aussagekräftige Analysen des Mikrobioms anzubieten." (Christian Wolf, 26.3.2022)