Alexander Tsymbalyuk (Boris Godunow) kann nicht ertragen, was Vitalij Kowaljow (Pimen) ihm erzählt.

Pöhn

Wien – Das passiert selten, es sind aber auch anspruchsvolle Zeiten: Dramaturg Andreas Láng tritt vor den Vorhang, um über die Wiederaufnahme von Boris Godunow einige Worte zu verlieren. Das Werk wäre ja in Polen zurzeit eher nicht aufführbar, da gibt es Verbote russischer Musik. Als wollte die Wiener Staatsoper etwaigen Protesten vorbeugen, schildert also Láng, dass das Werk eigentlich vor langer Zeit angesetzt wurde, vor dem Krieg also. Man müsse Mussorgskijs Meisterwerk nun aber auch im Lichte der aktuellen Ereignisse neu sehen.

Richtig. Es 0schildern die Oper und die Inszenierung von Yannis Kokkos Zwangsherrschaft, Bespitzelung, Paranoia der Mächtigen und die Manipulation der Bevölkerung punktgenau. Das Werk ist als treffsichere Analyse gerade jetzt erhellend.

Stimmlich nicht ausgewogen

Die Stimmen erstrahlen an diesem Mittwochabend allerdings nicht immer in glanzvoller Form: Der schließlich gute Chor muss erst einmal intonatorisch in die Gänge kommen. Die etwas angespannt wirkenden Stimmen des Gottesnarren (Andrea Giovannini) und des intriganten Schuiskij (Thomas Ebenstien) bleiben angestrengt; Isabel Signoret klingt als Godunows Sohn Fjodor herb.

Im Zentrum, als schuldgeplagter und wenn nötig auch skrupelloser Zar Boris, liefert Alexander Tsymbalyuk hingegen ein sehr respektables Porträt eines zerfallenden Autokraten. Seine Stimme ist nobel, verfügt zwar nicht über das ganz besondere etwas, sie bringt die emotionale Verfassung der Figur aber kultiviert zur Geltung.

Und weil Mönch Pimen (Vitalij Kowaljow) und besonders Grigori (heller, markanter Tenor: Dmitry Golovnin) gut bis sehr gut mithalten, wird es eine sehr passable Aufführung. Zumal das Staatsopernorchester unter der Leitung von Michael Güttler (für Sebastian Weigle eingesprungen) subtil klingt. Natürlich hätte man da und dort das Kantige dieser Partitur etwas schärfer darstellen können.

Dass es ein Buh für Boris gab? Rätselhaft. Es sind eben doch spannungsvolle Zeiten. (Ljubisa Tosic, 13.5.2022)