Vertanztes Begehren an der Volksoper bei Brittens "Tod in Venedig".

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Das war sie also, die letzte Opernpremiere der 15-jährigen Direktionszeit von Robert Meyer – und vielleicht auch der neuerliche Versuch einer Antwort auf die ewige Frage, was die Volksoper bei der musikdramatischen Königsdisziplin beitragen kann. Sie muss ja stets mit spezialisierteren Häusern verglichen werden. Man darf es aber als Statement werten, dass mit Brittens Tod in Venedig nicht gerade eine Routineaufgabe gewählt wurde (Koproduzent: Covent Garden London). Dabei konnte man ausgerechnet die venezianische Gondel symbolisch interpretieren: allerdings nicht für die Sparsamkeit bei der Ausstattung, sondern für eine ästhetische Reduktion, die auch 2022 an der Volksoper auf den ersten Blick fast revolutionär wirkt.

Die Gondel besteht nämlich nur aus einem Rumpf und wird von zwei Menschen geschoben. Es bleibt jedoch leider unklar: Soll dies die Theaterillusion brechen? Und soll der Schauplatzwechsel durch minimale Verschiebungen von Kulissenelementen (Ausstattung: Vicki Mortimer) Aussagen über die Psyche des Protagonisten treffen? Die Regie von David McVicar ist jedenfalls schulbuchmäßig und schematisch. Die Personen werden konventionell geführt, hübsche Bilder sollen Stimmung machen.

Wunderbarer Tanz

Als besondere Sphäre wirkt der Tanz. Die Choreografie von Lynn Page bietet präzise Formationen von einer Qualität, wie man sie bei Opernaufführungen selten erlebt. Es betört eine abstrakte Formensprache, die den faszinierten Blick des sterbenden Gustav von Aschenbach am Ende noch durch fortgesetzte Bewegung überdauert. Dramaturgisch ist der Tanz wunderbar integriert, ästhetisch bleibt der Bruch zu den Sängern unüberwindbar. Raffiniert, wie etwa sportliche Bewegungsabläufe auf die einzelnen Tänzer aufgeteilt und zur stehenden Bilderfolge geformt werden.

An der Spitze des Tanzensembles steht Victor Cagnin, der sich glaubhaft in den "Knaben" Dadzio verwandelt, die letzte unerfüllte Liebe des Dichters. Als Aschenbach ist Rainer Trost sehr nahe an einer Sternstunde: Er singt gemeißelt klar und doch weich, strahlend und doch differenziert, wortdeutlich und mit einer subtilen Textgestaltung wie bei Schubert-Liedern.

Allerdings: Die deutsche Übersetzung des englischen Originals verunmöglicht die Verschmelzung mit den Orchesterfarben, auch wenn Martin Winkler (der Reisende) in verschiedenen Gestalten bravourös wirkt und Thomas Lichtenecker Apollo eine klangschöne Aura verleiht. Dirigent Gerrit Prießnitz führt das Orchester zu fantastischer, präziser Leistung, der es aber etwas an emotionaler Dringlichkeit fehlte. Selbige erscheint jedoch zum Greifen nahe. Fazit: Die Volksoper kann’s – oder besser: Sie kann’s können.

(Daniel Ender, 16.5.2022)