In Merce Cunninghams "Duets" zum Sound von John Cage setzten sich sechs Paare in passender Kostümierung mit Farben und Artikulationen aus Ballett und Modern Dance auseinander.

Ashley Taylor

Über einen Mangel an Herausforderungen kann sich das Wiener Staatsballett nicht beklagen. Dessen Tänzerinnen und Tänzer müssen nicht nur klassisches Repertoire intus haben und mit ihrem Chef Martin Schläpfer dessen künstlerisches Werk weiterentwickeln, sondern auch in die Regelwerke anderer Tanzschaffender eintauchen.

Erstaunlich, mit welcher Wandlungsfähigkeit die Wiener Compagnie die Werke so unterschiedlicher Größen wie Anne Teresa De Keersmaeker, Merce Cunningham und Hans van Manen im neuesten Ballettabend Kontrapunkte vorführt. Der enthusiastische Beifall des Publikums bei der Premiere in der Volksoper war hart erarbeitet und wirklich verdient.

Grenzen der Flexibilität

Andererseits hat Flexibilität und Vielfalt auch gewisse Grenzen. Stücke von De Keersmaeker etwa sind in Österreich oft genug zu sehen, sodass der Vergleich zwischen Rosas, der eigenen Tanzgruppe der Belgierin, und der Art, wie das Staatsballett jetzt deren Werk Große Fuge (Musik: Ludwig van Beethoven, Große Fuge op. 133) tanzt, naheliegt. Die Wiener Interpretierenden – unter anderen Fiona McGee und Andrey Kaydanovskiy – haben diese Aufgabe zwar gut bewältigt, konnten aber nicht bis in die Feinheiten von De Keersmaekers äußerst elaboriertem Stil vordringen. Diese Diagnose ist kein Expertenluxus, denn die für jedes Publikum spürbare spezielle Atmosphäre von Keersmaekers Stücken kommt eben aus der Art, wie Rosas deren Bewegungssprache akzentuiert.

Genau richtig war danach die Qualität der Interpretation von Cunninghams Duets zum Sound der Improvisation III von John Cage. Sechs Paare setzen sich, in passender Kostümierung, mit Farben und Artikulationen aus Ballett und Modern Dance auseinander. Dabei spielen minimalistische Perkussion und choreografische Komposition, virtuose Interpretation und lässiger Duktus so überzeugend miteinander, als hätte Cunningham selbst die Tänzerinnen und Tänzer angeleitet.

Tanz der Menschenbilder

Im Vergleich konventionell wirkt als Abschluss des Abends Hans van Manens Four Schumann Pieces aus dem Jahr 1975. So rüstig der niederländische Meister, der kommenden Juli seinen 90er feiert, selbst noch ist, so deutlich weist das Stück nach, dass moderne Ballette erodieren können, auch wenn sie technisch gut gemacht sind. Das Premierenpublikum des Abends hat darüber hinweggesehen und feierte den persönlich angereisten Choreografen mit Standing Ovations.

Die Zusammenführung der drei Tanzgrößen ist aber nicht nur gelungen, weil sie den Wiener Geschmack trifft, sondern vor allem, weil sie ästhetische Unterschiede im Tanz verdeutlicht, die ganz verschiedene Menschenbilder darstellen. Anne Teresa De Keersmaeker lässt über eine Tiefenanalyse der Musik Geschlechterverhältnisse tanzen: Eine Frau behauptet sich unter sieben Männern. Merce Cunningham führt vor, wie gut Witz und Disziplin zusammenpassen, und Hans van Manen setzt Eitelkeiten in Bewegung. Helmut Ploebst, 7.6.2022)