Eine Bürgerinitiative fordert eine tägliche vegane Speise beim Heer. Man beruft sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

Foto: Bundesheer / Helmut Steger

Drei verschiedene Speisen bietet das Bundesheer jeden Tag an: eine erste, eine zweite und eine fleischlose. Nicht allerdings: eine vegane. Und genau das sorgt aktuell für Konfliktstoff im Militär. Denn vegan lebende Soldatinnen und Soldaten argumentieren, der Veganismus sei eine Weltanschauung – und somit gleichrangig mit einer religiösen Überzeugung wie dem Christentum oder dem Islam. Hintergrund: Angehörige von Religionen erhalten beim Heer bereits entsprechende Verpflegung, Juden und Muslime etwa Speisen ohne Schweinefleisch – strenggläubige Angehörige dieser Religionsbekenntnisse auch Gerichte, die nach entsprechenden Vorschriften zubereitet sind.

Das Bundesheer allerdings pocht darauf, dass die tägliche Zubereitung einer veganen Speise unökonomisch wäre. "Jetzt hat man in der Kaserne Tamsweg vielleicht fünf Veganer", heißt es aus dem Verteidigungsministerium gegenüber dem STANDARD. "Dann müsste man für diese fünf eine eigene Verpflegungslinie aufbauen." Zudem würden vom Ministerium konsultierte Ernährungswissenschafter veganes Essen als "nicht vollwertige Kost" erachten, wie am Dienstag der ORF-"Report" berichtete.

Bußjäger: Verhältnismäßigkeit entscheidend

Allerdings: Rechtlich gesehen gilt Veganismus in der Tat als Weltanschauung – und wird von Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet, geschützt. Der Artikel steht in Österreich im Verfassungsrang. Und dass Veganismus bei entsprechend ernsthafter Überzeugung als Weltanschauung anerkannt wird, ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits ausjudiziert. Es ist also nicht nur legitim, wenn sich vegan lebende Soldatinnen und Soldaten auf ihre Überzeugung als Weltanschauung berufen. Es könnte auch juristisch erfolgversprechend sein, wenn sie zur Durchsetzung den Rechtsweg beschreiten würden.

Der ORF Report über die Forderung nach veganer Kost beim Bundesheer.
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Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger ist im STANDARD-Gespräch dennoch vorsichtig skeptisch, was im Falle des Falles die Erfolgsaussichten anginge. "Es ist wie bei anderen Grundrechten auch. Dass ein Gut schützenswert ist, heißt nicht, dass in den Schutz nicht auch eingegriffen werden kann." Wie immer in solchen Fällen käme es auch bei der schützenswerten Weltanschauung des Veganismus auf die Verhältnismäßigkeit an. Würde das Bundesheer durchgehend eine vegane Option anbieten wollen, könnte das spätestens bei der Übung auf dem Feld zu einem logistischen Problem werden. Diesen Umstand müssten etwa der Verfassungsgerichtshof oder der EGMR entsprechend berücksichtigen, sagt der Jurist.

Bundesheer "kein Gastronomieunternehmen"

Im Verteidigungsministerium formuliert man das ein wenig schärfer: Das Bundesheer sei für den Einsatz ausgerichtet und "kein Gastronomieunternehmen". Alles, was bevorratet und gekocht werde, sei für das Feld vorgesehen. "Da müsste man dann schauen, wo sich jetzt genau der vegane Soldat befindet – der liegt unter der vierten Tanne", ätzt ein Sprecher. Auch beim Einsatz in der Westsahara würde es mit der veganen Verpflegung schwierig werden. Und man könne nicht, um ständig alle Wünsche in den Kasernen zu befriedigen, auf die kriegsbereite Einsatzorganisation des Heeres verzichten.

Jüdische Soldaten erhalten Gutschein für koscheres Restaurant

Bei religiösen Gruppen löst man das Logistikthema bei der Speisenzubereitung laut Ministerium übrigens anders: Streng religiöse Juden oder Muslime, die nicht nur kein Schweinefleisch essen, sondern auch Vorschriften bei der Zubereitung ernst nehmen, würden einfach an einzelne Standorte zusammengezogen. Und streng gläubige Juden gebe es im Bundesheer so wenige, dass man für sie nicht extra koscher kocht. Stattdessen händigt das Militär ihnen einfach Essensgutscheine für ein koscheres Restaurant in der Wiener Innenstadt aus, das in der Nähe des Verteidigungsministeriums liegt. Ähnlich könnte das Heer theoretisch auch bei Veganerinnen und Veganern verfahren. Auch diese ließen sich etwa in einzelnen Kasernen zusammenziehen.

Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte durch eine Bürgerinitiative zur "Bereitstellung einer rein pflanzlichen, wahlweisen Verpflegungsoption im Bundesministerium für Landesverteidigung". Ins Leben gerufen hat sie ein Gardesoldat, der sich seit rund zwei Jahren ausschließlich pflanzlich ernährt. Denn aktuell müssen sich vegane Bundesheer-Angehörige am Mittagstisch häufig mit Beilagen begnügen, wodurch die Proteinanteile in der Ernährung häufig zu kurz kommen. Erreicht die Initiative zumindest 500 Unterschriften, muss sie in einem Petitionsausschuss des Nationalrats behandelt werden. Die Parlamentsparteien sind beim Thema bislang allerdings noch recht zurückhaltend.

Vegetarische Gerichte und Frauen in der Armee

In den – deutlich größeren – Armeen Israels oder Englands ist eine vegane Speiseoption bereits Realität. Hierzulande befürchtet man aber auch einen Präzedenzfall: Sollte das Thema auch in Österreich ausjudiziert werden und etwa der Verfassungsgerichtshof "zugunsten" der Veganer entscheiden, könnte optionale vegane Kost bald auch in öffentlichen Krankenhäusern, Schulen und den Justizanstalten angezeigt sein.

Die Zeiten würden sich jedenfalls ändern, gibt Verfassungsrechtler Bußjäger zu bedenken. Gerade für den Grundrechtsbereich sei das sehr typisch. Man spreche von "law in action". "In zehn Jahren können Dinge völlig anders gesehen werden als heute", sagt er. Wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt, entwickelt sich sukzessive auch das Recht. Und es ist noch nicht lange her, da wurde das heutige tägliche vegetarische Gericht auf dem Bundesheer-Speiseplan von vielen als Affront gesehen.

Selbst Frauen im Militär gibt es hierzulande erst seit 1998. Laute Stimmen in der Öffentlichkeit hatten zuvor von der Schwierigkeit gesprochen, sie organisatorisch zu integrieren – Stichwort getrennte Schlaf- und Sanitärbereiche. 25 Jahre später sind Soldatinnen in Kasernen wie auf dem Feld allerdings eine Selbstverständlichkeit. (Martin Tschiderer, 23.6.2022)